Patti Smith in Bonn Die zu den Bäumen spricht

bonn · Die Schamanin des Pop: Patti Smith hat am Montagabend ein großartiges Konzert auf dem Kunst!Rasen in Bonn abgeliefert und natürlich auch "Because The Night" präsentiert.

Wer Patti Smith zur Freundin hat, braucht sich über einen Mangel an Fürsorge nicht zu beklagen. Sie ist eine große Kümmerin. Die amerikanische Künstlerin hat ein großes Herz für die Lebenden und für die Toten. Und für das große Ganze: die Natur. Auf dem Kunst!Rasen in Bonn am Montagabend hielt sie Zwiesprache mit einem Baum: "Hello, tree."

Auf ihrem neuen, fabelhaften Album "Banga" (inspiriert von Michail Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita") singt Patti Smith den Song "Nine" für ihren Freund Johnny Depp; es war ein musikalisches Geburtstagsgeschenk für Depp, geschrieben in Puerto Rico. Depp spielte übrigens Schlagzeug und Gitarre bei der Aufnahme des Titelsongs "Banga". "This Is The Girl" ist eine Hommage an Amy Winehouse, "Maria" ein Gedenksong für die Schauspielerin Maria Schneider; beide Frauen starben 2011.

Auch das japanische Volk in seiner Not hat Patti Smith nicht vergessen, dafür steht das Lied "Fuji-san" vom Album "Banga". Als Feier der Natur zu Beginn des 21. Jahrhunderts darf man ihre Interpretation des Neil-Young-Klassikers "After The Goldrush" verstehen.

Patti Smith bei Kunst!Rasen
104 Bilder

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Am Montagabend auf dem Kunst!Rasen in der Gronau spielte die neue Platte, die wie das Debütalbum "Horses" in den Electric Lady Studios in New York eingespielt wurde, natürlich eine wichtige Rolle. Smith hatte als Vorgruppe die wunderbaren Walkabouts aufgeboten, die Band von Chris Eckman und Carla Torgerson.

Eckman verriet, wie er sich als 17-Jähriger nach seinem ersten Patti-Smith-Konzert in Seattle gefühlt hatte: wie ein neuer Mensch, "a changed man". Man kann ja nicht in die Köpfe der Menschen schauen, aber die rund 2300 Zuhörer wirkten zumindest gefangen; und sie waren begeistert. Wie auch anders, bereits der erste Song, "Dancing Barefoot", entfaltete eine hypnotisierende Wirkung.

Darin liegt das Geheimnis der Kunst Patti Smiths, die sich thematisch unter anderem aus esoterischer Fantasie sowie Kunst- und Literaturgeschichte speist. Doch sie ist nie akademisch, sondern immer sinnlich, leidenschaftlich, hochemotional. Hypnotisierend eben. Smith und ihre vier Musiker, allen voran Gitarrist Lenny Kaye, trieben die Musik in Richtung Grenzüberschreitung und Ekstase. "Free Money" zum Beispiel war purer Punk. Was für ein genialer Lärm.

Patti Smith wusste, wo sie auftrat: Bonn, das bedeutet Beethoven. Der Musiker war der Lieblingskomponist ihres verstorbenen Mannes Fred Smith. Zum vierten Mal war sie schon im Beethoven-Haus, verriet die Sängerin. Der Beethoven-Kopf, den sie einst für Fred Smith mitbrachte, steht jetzt auf dem Klavier ihrer Tochter: "Ich sehe ihn jeden Tag." Die Toten spielen in Konzerten von Patti Smith immer eine besondere Rolle. Gestern sang sie "This Is The Girl" für Amy Winehouse ("This ist the girl / For whom all tears fall / This is he girl / Who was having a ball": ein zu Herzen gehendes Requiem.

Das Magazin "Rolling Stone" rühmte einmal Smiths "Leidenschaftlichkeit, die Bereitschaft, überschwänglich auf den Putz zu hauen, ein Gefühl für epische Größe und den Glauben an die Musik als revolutionäre Kraft". Die Revolution trug an diesem Abend Bluejeans, T-Shirt und Jackett. Wie immer eigentlich. Patti Smith, deren einziger Hit "Because The Night" war (im Konzert am Montag ein Triumph, versteht sich), muss sich nicht auf Star schminken. Sie ist mehr, als sie scheint. Das Charisma der Frau, die im Dezember 66 wird, ist nach wie vor Ehrfurcht gebietend.

Ihre Stimme, die Kraft, Hysterie und sprachliche Magie ausdrückt und eine ganz eigene Welt zwischen Weisheit und Wahnsinn erforscht, ist so präsent wie ehedem. Wie eine Schamanin des Pop warf sie ein Zaubernetz aus. Dem kannst du nicht entkommen. Selbst wenn es regnet.

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