Kommunalwahl 2020 Diese Probleme gibt es bei neuen Gewerbeflächen in Bonn
Analyse | Bonn · Seit Jahren ist die Rede davon, Bonn müsse sich beim Bau neuer Gewerbegebiete mit dem Umland verbünden. Von kleinen Erfolgen abgesehen, lässt der große Wurf weiter auf sich warten. Auch die Parteien sind offenbar noch auf der Suche nach dem Durchbruch.
Vor der Kommunalwahl am 13. September analysiert der General-Anzeiger in lockerer Folge Schwerpunktthemen, die für die Zukunft der Stadt wichtig sind. Heute geht es um die Ansiedlung von Gewerbegebieten und Kooperationen zwischen Bonn und ihren Nachbarkommunen.
■ Das ist die Situation: Es gibt diese Art von Sätzen, die der Politik ihre eigene, wohlklingende wie unverbindliche Würze geben. Läuft es für den Urheber halbwegs gut, so versenden sie sich im Tagesgeschäft und geraten in Vergessenheit. Es sei denn, man hat sie schriftlich hinterlegt, etwa in einem Koalitionsvertrag. „Nur eingebettet in die Region kann Bonn die Herausforderungen der Zukunft sicher und erfolgreich angehen“, heißt es im Abkommen, das CDU, FDP und Grüne am Anfang der nun abgelaufenen Ratsperiode formulierten. Und weiter: „Wir drängen daher auf eine Etablierung eines gemeinsamen Standortmarketings und die Vermarktung eines abgestimmten Angebotes für Wohnungs- und Gewerbeflächen.“ In das gleiche Horn stieß vor fünf Jahren Oberbürgermeister Ashok Sridharan: „Ich denke“, stellte er fest, „dass insbesondere auch die stärkere Zusammenarbeit mit umliegenden Kommunen das Gebot der Stunde ist.“
Wohlweislich vermieden es die Ratsfraktionen ebenso wie das Stadtoberhaupt, sich auf Fristen oder gar konkrete Zeitpunkte festzulegen. Und so köchelte das Thema interkommunale Zusammenarbeit auf der Energiesparplatte weiter vor sich hin, doch bis auf den Aperitif konnten Politik und Verwaltung bislang nicht viel servieren.
Dabei besteht weitgehend Einigkeit darin, dass die Entwicklungsmöglichkeiten in Bonn räumlich begrenzt sind: Sie reichen, so klagen örtliche Wirtschaftsverbände seit Jahren, nicht einmal für bestehende Betriebe, die gern expandieren würden. Und so liegt es im Wortsinne nahe, solche Flächen im Umland zu suchen, wofür es an Ideen, Konzepten und Gutachten nicht mangelt. Allein der Durchbruch lässt auf sich warten. Dem inzwischen wachsenden Alfterer Gewerbepark, einem Gemeinschaftsprojekt von Bonn, Alfter und Bornheim, haftet vor diesem Hintergrund allenfalls der Nimbus eines Vorspiels an. Denn hier haben, Kooperation hin oder her, eindeutig die Alfterer den Hut auf: Während die Vorgebirgsgemeinde sämtliche Investitionen trägt und später auch allein die Steuereinnahmen einstreicht, bleibt Bonnern und Bornheimern lediglich ein Mitspracherecht bei der Ansiedlung einzelner Firmen. Eine Zusammenarbeit „unter Gleichen“, wie sie seit Jahren mit der Stadt Rheinbach geplant ist, befindet sich hingegen nach wie vor im Planungsstadium.
Gleichwohl: Unternehmen, die nicht in Bonn, wohl aber im nahen Alfter unterkommen, müssen nicht in die Peripherie wie das nahe Rheinland-Pfalz ausweichen. Sie siedeln oder bleiben – ebenso wie die Kaufkraft ihrer Mitarbeiter – immerhin vor der Haustür der Bundesstadt. Kleinreden lassen wollen sich die Verantwortlichen in Bonn den ersten Schritt allerdings nicht, wiewohl der Bürger Bund Bonn mit Blick auf Alfter postwendend die Befürchtung aufwarf, außer zusätzlichem Verkehr werde die Stadt vom benachbarten Gewerbepark nichts haben. Auch der Umstand, dass die Gewerbesteuer bei den Nachbarn satte zehn Prozentpunkte unter der von Bonn liegt, könnte einen falschen Anreiz zur Abwanderung bieten, so lautet ein weiterer Kritikpunkt.
Bezieht man Lebensqualität und Wohnwert in die Kalkulation ein, ergibt sich mitunter eine andere Bewertung: Wo die Arbeit zu den Menschen käme, die etwa im Bonner Umland wohnen, brächte das nicht nur Beruf und Wohnort in Einklang, sondern dezimierte auch einen beträchtlichen Teil der morgendlichen und abendlichen Staus.
■ Das ist das Kernproblem: Gerade die gerechte Verteilung von Nutzen und Lasten ist es, die das zu bohrende Brett zu einem dicken macht. Planungsrechtlich hat Bonn im Idealfall die Möglichkeit, Gewerbeflächen, für die in der Bundesstadt kein Platz ist, in der Nachbarschaft nachzuweisen. Vernachlässigt wird bei allen Gedankenspielen, die der Genehmigung durch die Bezirksregierung bedürfen, zuweilen ein ganz anderer Aspekt: Auch bei den 19 Kommunen des Rhein-Sieg-Kreises handelt es sich nicht um eine Prärie, die nur auf die Besiedelung Bonner Unternehmer wartet. Ein Blick auf manche Ratsdebatte der vergangenen Jahre in den kleineren Nachbarstädten zeigt, wie mühsam auch dort und in alleiniger Verantwortung um jeden Hektar Gewerbegebiet gerungen wird. Nicht ohne Grund verweist Rhein-Sieg-Landrat Sebastian Schuster darauf, dass „aufgrund der erfolgreichen Vermarktung und hohen Nachfrage nach Gewerbe- und Industriestandorten“ sowohl im Rhein-Sieg-Kreis als auch in Bonn das Angebot an verfügbaren Grundstücken nur noch sehr gering sei. Auf satte 684 Hektar beziffern jüngste Zahlenwerke entsprechend den Gesamtbedarf an Gewerbe- und Industrieflächen in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis. Lediglich eine rechnerische Größe stellen demgegenüber bislang die 614 Hektar sogenannter Suchräume dar, die grundsätzlich für Gewerbe und Industrie geeignet erscheinen.
■ Das sind die Lösungsansätze: „Alles wird geteilt. Eigentlich ganz einfach und fair“, beschreibt der aus dem Amt scheidende Rheinbacher Bürgermeister Stefan Raetz bereits seit Jahren die grobe Marschrichtung, die – ähnlich einem einst diskutierten Steuermodell – Platz auf einem Bierdeckel fände: Denmach würden alle Lasten und Erfolge für neue Gewerbegebiete paritätisch aufgeteilt. Bonn zahlt für den zusätzlichen Flächenanteil, der eigentlich der Bundesstadt zusteht, aber außerhalb realisiert wird, die Hälfte der Kosten für Ankauf und Erschließung. Im Gegenzug erhält die Bundesstadt die Hälfte des Verkaufspreises und die Hälfte der zusätzlichen Gewerbesteuer. Verfolgt werden solche Ansätze seit Jahren auf vielfältige Weise. Da sind etwa die regelmäßigen Dienstbesprechungen der Hauptverwaltungsbeamten beim Landrat, bei denen auch Bonns Oberbürgermeister zweimal im Jahr zugegen ist. Da ist das neue regionale Kooperationsprojekt NEILA, an dem seit Herbst 2018 neben der Stadt Bonn der Rhein-Sieg-Kreis, der Kreis Ahrweiler und weitere Verbundpartner beteiligt sind. Aus Mitteln des Bundesforschungsministeriums werden für fünf Jahre gar drei Vollzeitstellen finanziert.
Ziel ist die Entwicklung eines „abgestimmten Siedlungskonzeptes“ für die Region, um Herausforderungen wie dem Zuzugsdruck besser gerecht werden zu können. Und da sind Konzepte wie das nach jahrelanger Arbeit endlich vorliegende Gewerbeflächengutachten für Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis, das allein für die Bundesstadt bis zum Jahr 2030 einen Bedarf von rund 250 Hektar identifiziert. Als Reserven und Potenziale stehen ihnen lediglich 80 Hektar gegenüber. Richten soll es aus Sicht der Stadtverwaltung nun eine „Drei-Baustein-Strategie“, um Unternehmen kurzfristig ein Angebot an verschiedenen Standorten unterbreiten zu können: Parallel würden neben der Entwicklung neuer Flächenpotenziale „die Weiterentwicklung und Qualifizierung von Gewerbegebieten im Bestand“ sowie die beschriebenen interkommunalen Projekte verfolgt, heißt es seitens der Stadt. Voraussetzung hierfür sei die „freiwillige Bereitschaft zur Kooperation“, stellt die Stadt dazu treffend fest und verweist auf die Zielsetzung des Regionalplans.
■ Warum es noch keine Lösung gibt: Ein „Letter of Intent“, wie er seit zwei Jahren für den Rheinbacher Standort „Wolbersacker“ vorliegt, ist nun einmal kein neues Gewerbegebiet. Die Absichtserklärung spricht vor diesem Hintergrund ebenso für sich wie die aktuelle Feststellung aus dem Stadthaus, es seien „zur Klärung verschiedener Fragen hinsichtlich möglicher Formen der Kooperation, der Aufteilung von Kosten und Nutzen sowie der Vermarktung der Grundstücke noch einige rechtliche Fragestellungen zu klären“. Verschiedene Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sollen ihre Konzepte dazu „in Kürze“ vorstellen. Bis dahin bleibt es wohl bei Gewerbegebieten in Papierform.
Dass sich unter Wirtschaftsvertretern Ungeduld ausbreitet, erscheint nachvollziehbar. „So haben wir leider den einen oder anderen Betrieb etwa in den Landkreis Ahrweiler verloren“, konstatierte IHK-Geschäftsführer Stephan Wimmers bereits vor einiger Zeit. Doch auch die Lösungsansätze der Kommunalpolitik, zusammengefasst auf dieser Seite, lassen kaum neue, bahnbrechende Impulse erkennen. Als im März mehr als 80 Kommunalpolitiker für eine Tagung zum Projekt NEILA zusammenkamen, war aus Bonn keiner der Einladung gefolgt. Der Durchbruch lässt auf sich warten.