Geschichtsdidaktiker Peter Weiss Dietkirche als Lernort verloren

Interview · Peter Geiss forscht und lehrt an der Universität Bonn zu Geschichtsdidaktik. Er empfindet die Absperrung der Dietkirche in der Nordstadt als herben Verlust für das Geschichtsbewusstsein von Schülerinnen und Schülern. Mit ihm sprach Martin Wein.

Peter Geiss ist Professor für Geschichtsdidaktik an der Universität Bonn.

Peter Geiss ist Professor für Geschichtsdidaktik an der Universität Bonn.

Foto: Volker Lannert / Universität Bon

Die Rekonstruktion der Bonner Dietkirche ist nicht mehr öffentlich zugänglich. Sie haben sich dazu als Geschichtsdidaktiker bei der Redaktion zu Wort gemeldet. Warum?

Peter Geiss: Es gibt einen recht breiten Konsens in der Geschichtsdidaktik zum Mehrwert außerschulischer Lernorte für das Geschichtsbewusstsein von Schülerinnen und Schülern. Das sind Orte, an denen man Einsichten und Bildungsprozesse erreichen kann, die sich im Klassenraum nicht so leicht erzielen lassen. Anhand der Dietkirche, die für die Stadtgeschichte ein zentraler Ort ist, lässt sich eine antike und frühmittelalterliche Befundsituation strukturell in den Stadtraum der Schülerinnen und Schüler einordnen.

Haben Sie selbst die Dietkirche in der Vergangenheit wahrgenommen? Sie war ja nicht explizit ausgeschildert und damit vielen Bonnerinnen und Bonnern kaum bekannt.

Geiss: Ich stamme aus der Gegend um Heilbronn. Auf einer Exkursion ins Rheinland auf den Spuren der Römer habe ich die Dietkirche schon als Schüler besucht. Ich kannte den Ort aus einem Fotoband mit Luftaufnahmen archäologischer Stätten. Darin wurde die Dietkirche als Besonderheit hervorgehoben, weil sie in der Spätantike in eine frühere römische Kaserne hineingebaut wurde. Mich hat damals sehr fasziniert, dass man den Übergang verschiedener Epochen an einem Ort heute noch sehen kann.

Spielt es eine Rolle, dass die Fundamente eine Rekonstruktion sind?

Geiss: In der Literatur wird oft auf die sogenannte „Aura“ des Originals verwiesen. Die kommt in diesem Fall nicht mehr zur Geltung. Im Bonner Norden haben wir dagegen den Vorteil, dass sich die historischen Strukturen des Legionslagers noch exakt an den Straßenverläufen etwa der Nord- und Römerstraße ablesen und abgehen lassen. Entfernungen – etwa die Lage zum Rhein – sind damit konkret erlebbar. Und mittendrin: Die Rekonstruktion der Dietkirche. Mit dem Bronzemodell der ehemaligen römischen Militärbasis lässt sie sich in das strukturelle Raster einordnen.

Sollte die Stadt das römische Erbe, inzwischen Teil des Unesco-Weltkulturerbes, darüber hinaus noch besser sichtbar machen?

Geiss: Ich könnte mir gut vorstellen, dass man den Teil eines Kasernenbaus wieder aufstellt, um die Spuren des Lagers besser sichtbar zu machen. Man braucht dazu keine vollständige Rekonstruktion. Die Vorstellungen dazu verändern sich ohnehin mit den Generationen. Aber Andeutungen wie Teile von Wänden, die die Vorstellungskraft fördern, wären natürlich hilfreich.

Ist der geplante Ausstellungsraum in der Wohnanlage kein adäquater Ersatz?

Geiss: Mit der genauen Konzeption bin ich nicht vertraut. Grundsätzlich ist es aber natürlich etwas ganz anderes, ob ich das Gelände an einem realen historischen Ort im städtischen Raum nutze oder Objekte und Rekonstruktionen in einem Ausstellungsraum versammele, der letztendlich überall sein könnte. Für Letzteres braucht man eigentlich keine eigene Ausstellungsfläche in der Nordstadt. Das geht sehr gut zum Beispiel im Rheinischen Landesmuseum. Die schiere Größe des Legionslagers und seine durchdachte Organisation hingegen kann man in einer Ausstellung nicht erfahrbar machen. Da fehlt die räumliche Dimension.

Wird Ihre Expertise in solchen Fällen genutzt?

Geiss: Ich bin von der Stadt Bonn nicht dazu befragt worden. Den Verlust der Dietkirche als außerschulischen Lernort empfinde ich allerdings als schmerzlich, auch wenn ich kein ausgewiesener Experte dafür bin. Es gibt ja nicht so viele Plätze in Bonn, an denen man das römische Erbe der Stadt noch wahrnimmt und Schülerinnen und Schülern zeigen kann.

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