Interview mit Wissenschaftler Harald Schoelen Doppelhaushalt in Bonn birgt "große Gefahren"

Bonn · Wissenschaftler Harald Schoelen warnt im GA-Interview vor Risiken für die Bonner Stadtfinanzen. Behält er recht, drohen Steuererhöhungen.

Bonns Kämmerin plant den Haushaltsausgleich bis 2021. Glauben Sie, das gelingt mit dem Entwurf?

Harald Schoelen: Er bietet für die nächsten zwei Jahre eine rechnerisch nachvollziehbare Planungsgrundlage. Das Problem ist aber, dass sehr große Gefahren in diesem Haushalt zu sehen sind. Die Einnahmen werden sich möglicherweise nicht so positiv entwickeln, wie sie angesetzt sind. Das gilt vor allem zwischen 2020 und 2021, wenn sie sich laut Entwurf geradezu sprunghaft verbessern sollen. Das betrifft besonders die Steuern und die Landeszuwendungen. Die andere offene Flanke sind die Aufwendungen. Man muss etwa bei den Sozialtransfers befürchten, dass sie stärker steigen werden. Das gilt auch für die Zinslast. Dann wird der Haushaltsausgleich 2021 schwierig.

Die Stadt, die eigentlich Personal einsparen wollte,schafft allein von 2017 bis 2019 rund 85 neue Stellen, für Pflichtaufgaben wie Kitas, aber auch im Ordnungsdienst. Was heißt das für den Etat?

Schoelen: Personalaufwendungen und Pensionen sind ein bleibender Belastungsfaktor für den Haushalt. Je höher der Personalbestand, umso schwieriger wird es für eine Stadt in der Haushaltskonsolidierung. Bonn versucht das mit dem traditionellen Instrumentarium wie befristeten Wiederbesetzungssperren einzufangen. Für gesetzliche Pflichtaufgaben braucht die Stadt natürlich ausreichend Personal. Bei den freiwilligen Aufgaben hätte sie aber schon vor Jahren überlegen sollen, was sie sich leisten muss, will und kann. Diese Aufgabenkritik ist bislang nicht systematisch und konsequent im Haushalt umgesetzt.

Bonn gibt etwa 30 Millionen Euro für Oper und Schauspiel aus, für die Kultur insgesamt über 60 Millionen. Angemessen für eine Stadt dieser Größe?

Schoelen: Die Frage ist, wie sich der Standort definiert. In Relation zum Gesamthaushalt dürfte die Summe für Bonn als Oberzentrum in der Region angemessen sein. Man kann sich bestimmt über Kooperationen unterhalten, um ein hochwertiges Angebot mit angemessenen Kosten sicherzustellen. Aber Bonn muss hier sicher Flagge zeigen, denn Arbeitnehmer und Unternehmen gehen dorthin, wo sie nicht nur einen attraktiven Arbeits-, sondern auch einen reizvollen Wohnort finden. Und ein reichhaltiges kulturelles Angebot gehört dazu.

Wo erkennen Sie im Entwurf wirksame Sparmaßnahmen?

Schoelen: Im Haushaltssicherungskonzept (HSK) sind in der Breite angelegte Konsolidierungsanstrengungen erkennbar, auch im Personalbereich. Die ganz großen Posten, an denen die Stadt strukturell sparen könnte, sehe ich mit sofortiger Umsetzbarkeit nicht. Auf der anderen Seite sind die Ertragsansätze schon absolut ausgereizt.

Kann eine NRW-Kommune mit rund 1,7 Milliarden Euro Schulden überhaupt aus eigener Kraft aus der Verschuldungsfalle kommen?

Schoelen: Das geht, wenn überhaupt, nur sehr langsam. 2020 hat Bonn laut Haushaltsentwurf 2,03 Milliarden Euro Schulden, davon sind rund 670 Millionen Euro Kassenkredite, die keinerlei Substanz aufbauen, sondern nur laufende Ausgaben decken. Das ist so, als würde ein Privatmann komplett vom Dispo leben. Ab 2021 rechnet die Stadt mit einem leichten Überschuss von rund fünf, später 20 Millionen Euro jährlich, wenn es gut läuft – was ich kritisch hinterfrage. Mit diesen Überschüssen würden zuerst die Kassenkredite abgebaut. Bei 670 Millionen dauert schon das lange.

Bringt es da etwas, 140 000 Euro Zuschuss bei einem freien Theater zu streichen, das damit wohl vor dem Aus steht?

Schoelen: Bonn muss strukturell, dauerhaft sparen. Das bedeutet, alle Aufgaben gehören auf den Prüfstand, besonders die fakultativen. Es ist aber auch eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Wenn die beschriebenen Risiken eintreten, also die Zinsen steigen oder die Konjunktur sich maßgeblich abschwächt, wird das Streichen freiwilliger Ausgaben nicht ausreichen. Ein strukturelles Konzept muss konsolidieren, ohne die Kultur – auch das angesprochene Theater – vollständig zu opfern.

Der Bund hat seine Zahlungen bei den Sozialkosten erhöht. Müsste er sie nicht eigentlich voll finanzieren?

Schoelen: Gute Frage. Tatsache ist, dass der Bund seit einigen Jahren viel mehr Geld für die Kommunen bereitstellt als früher. Wünschenswert wäre die vollständige Umsetzung des Konnexitätsprinzips – also: „Wer bestellt, der bezahlt.“ Der Druck vor Ort im sozialen Bereich wird jedenfalls steigen, und auf stetig weiter wachsende Zuwendungen sollte man nicht setzen: Die gesetzliche Schuldenbremse verpflichtet das Land NRW, ab 2020 eine schwarze Null zu schreiben, was sich über den dort anfallenden Konsolidierungszwang auch auf die Kommunen auswirken kann.

Die Stadt steht vor einer Pensionierungswelle, hat aber so gut wie keine realen Rückstellungen für Pensionen. Wie soll das gehen?

Schoelen: Diesen so genannten Versorgungsaufwand führt die Stadt für 2018 mit 32,8 Millionen Euro auf; dazu kommen die eigentlichen Personalaufwendungen mit 308 Millionen. Das ist eine immense Belastung, die in der Bilanz das Eigenkapital der Stadt mindert. Finanzmathematisch lässt sich das alles wunderbar lösen, aber im Haushaltsvollzug müssen die Aufwendungen durch Erträge gedeckt werden – und dies dauerhaft. Deswegen ist die Frage der nachhaltigen Personalentwicklung auch so elementar. Die Stadt sollte versuchen, an durch die Aufgabenkritik bestimmten Stellen gegebenenfalls mit weniger Personal auszukommen. Personal mit der Rasenmähermethode zu reduzieren, ist keine gute Idee.

Die 32,8 Millionen stehen nur auf dem Papier. Also Pensionen auf Pump?

Schoelen: Wenn die Stadt ihren Haushalt nicht dauerhaft konsolidieren würde – und hierzu gehören insbesondere die gesamten Personalaufwendungen – steigen auch die Kreditlasten. Das ist klar.

Und damit die Kassenkredite, das schlimmste Kassengift überhaupt...

Schoelen: Langfristige Aufgaben mit kurzfristigen, volatilen Krediten zu finanzieren, ist immer ein Problem. Die Pensionsrückstellungen sind in der kommunalen Bilanz aber auch erst seit der Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements vor etwa mehr als zehn Jahren zu bilden. Das ist ein relativ kurzer Zeitraum, und viele Kommunen tun sich damit noch schwer.

Der Sanierungsstau an Gebäuden und Infrastruktur dürfte bei mehr als einer Milliarde Euro liegen. Was wäre jetzt die richtige Strategie?

Schoelen: Bonn versucht, den Substanzverfall aufzuhalten, indem die Stadt auch über das neue Kommunalinvestitionsförderungsgesetz stark investiert. Die Bruttoinvestitionen sind 2019 in der Summe deutlich höher als die bilanziellen Abschreibungen. Das ist gut. Aber es bedeutet eben auch, dass die Investitionskredite, die 2021 schon bei 1,4 Milliarden Euro liegen sollen, noch weiter anwachsen. Da die Zinsen mittelfristig steigen werden, ist ein Schuldenabbau, der nachhaltig sein soll, vor diesem Hintergrund nicht möglich. Den hat die Kölner Regierungspräsidentin Gisela Walsken aber in der Genehmigungsverfügung zum letzten Doppelhaushalt ganz klar eingefordert.

Ist die nächste Grund- und Gewerbesteuererhöhung unvermeidbar?

Schoelen: Eine HSK-Kommune wie Bonn ist verpflichtet, unterjährig an die Kommunalaufsicht zu berichten und nachzusteuern. Die Risiken im Haushaltsentwurf sind groß, und wenn sie eintreten, wenn Deutschland zum Beispiel den Wachstumspfad verlässt, muss Bonn wahrscheinlich über die Erträge nachsteuern, weil man die Aufwendungen gar nicht so schnell zurückfahren kann. Die Ouvertüre ist schon gemacht: In ihrer Haushaltsrede hat die Kämmerin angedeutet, dass man über alles sprechen müsse, also auch über die Erträge. Die einzigen Erträge, die Sie ganz schnell nach oben schieben könnten, sind Gewerbe- und Grundsteuer. Die letzte Grundsteuererhöhung um 150 Punkte ist allerdings erst drei Jahre her. Diese Sprünge tun extrem weh und sind eine definitive Belastung für Bürger und Wirtschaft. Und bei einer Gewerbesteueranhebung belastet man gerade jene, die für die Konsolidierung des städtischen Haushalts substanziell sind.

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