Praxistest in der Elektro-Wüste Wieso der Umstieg von Diesel auf E-Autos in Bonn schwierig ist

Bonn · GA-Reporter Nicolas Ottersbach lässt seinen Diesel eine Woche lang stehen und steigt auf ein E-Auto um. Dabei muss er sich auf ein völlig neues Fahrgefühl einstellen - und seine Strecken vor allem besser planen.

Der GA-Reporter Nicolas Ottersbach tauscht seinen 30 Jahre alten Mercedes-Diesel gegen einen modernen Elektro-Audi.

Der GA-Reporter Nicolas Ottersbach tauscht seinen 30 Jahre alten Mercedes-Diesel gegen einen modernen Elektro-Audi.

Foto: Benjamin Westhoff

Strom ist fast immer verfügbar. Droht das Handy auszugehen, sucht man eine Steckdose oder klemmt die Powerbank an. Und wenn der Akku vom Elektroauto leer ist? Dann parkt man neben der nächsten Ladesäule und hat nach 20 Minuten genug getankt, um die nächsten 200 Kilometer weiterzureisen. So stellt man sich Elektromobilität im Jahr 2019 in Deutschland vor.

Die Realität holt einen dann auf der Raststätte Königsforst an der A 3 ein. Sturmtief Mortimer weht kurz vor Mitternacht die Blätter über den Parkplatz und lässt den Regen auf den Hightech-Audi prasseln. Fahrassistenzsysteme, LED-Licht, Sitzheizung, edle Ledersitze - dem Elektro-SUV E-Tron für rund 100.000 Euro fehlt nichts. Bis auf Strom. Und den gibt es gerade nur in der düstersten Ecke des Rastplatzes für 7,95 Euro. Zumindest ist egal, wie viel Kilowattstunden man lädt. In diesem Fall gilt: Je größer die Batterie, desto günstiger fährt man.

Das ist aber ein Einzelfall. Herkömmliche Ladestationen rechnen wie der heimische Stromzähler pro Kilowattstunde ab - nur meist teurer. Je nachdem welchen Anbieter man sich mit welchem Tarif bei welcher Batteriegröße aussucht, sind es zwischen 20 Cent und 2,40 Euro pro Kilowattstunde. Einheitliche Preise oder Lademodelle? Fehlanzeige. Man sollte sich gut überlegen, wo man Strom tankt. Hilfreich sind Apps, die man auf das Handy spielt - mit ihnen kann man auch bezahlen.

E-Auto: Funktioniert Elektromobilität im Alltag?

 Der Umwelttechniker Enno Remmers fährt seit fünf Jahren elektrisch. Als Firmenwagen nutzt er aber zusätzlich einen Diesel

Der Umwelttechniker Enno Remmers fährt seit fünf Jahren elektrisch. Als Firmenwagen nutzt er aber zusätzlich einen Diesel

Foto: Nicolas Ottersbach

Im Ordner "Elektro-Mobilität" auf dem Handy von Enno Remmers sind es gleich zehn. Der Umwelttechniker aus Ruppichteroth setzt seit fünf Jahren auf Elektroautos. Neben seinem Wohnhaus hat er sich ein Carport aufgestellt, in dessen Dach Solarpanelen eingelassen sind. So kann er seinen BMW i3 direkt mit Strom aus Sonnenenergie betanken. "Alles andere wäre kein ehrlicher Umweltgedanke. Sonst kommen die Abgase nicht aus dem Auspuff, sondern aus dem Kohlekraftwerk", sagt er. Denn der deutsche Strommix setzt sich nur zu etwa 40 Prozent aus erneuerbaren Energien und zu 60 Prozent aus konventionellen Energieträgern zusammen. Ein Drittel entfällt auf Kohle und Erdgas.

Remmers tüftelt nicht nur beruflich gerne. Das batteriebetriebene Auto ist für ihn ein Experiment. Funktioniert Elektromobilität im Alltag? "Ja, theoretisch komme ich mit dem BMW problemlos bis nach Düsseldorf und zurück." Obwohl die Batterie nur 22 Kilowattstunden fasst, was nicht gerade viel ist. Die Reichweite liegt, je nach Außentemperatur und Fahrweise, bei etwa 120 Kilometern. Für den Notfall hat der Wagen einen kleinen Zusatzmotor an Bord. "Wenn er anspringt, klingt das wie eine Nähmaschine unter dem Sitz", erzählt Remmers. Aber das Surren nehme einem die Angst, liegen zu bleiben.

Das ist eine der Sorgen, die Udo Kastner regelmäßig vom Kunden hört. Der Volkswagen-Verkaufsleiter bei Auto Thomas in Bonn versucht dann, mit seiner Praxiserfahrung zu beruhigen - fast jeden Tag fährt er mit einem der Vorführmodelle zur Arbeit, noch nie ist ihm der Saft ausgegangen. "90 Prozent der Zeit steht ein Auto herum. Sobald man länger steht, sollte man es laden", sagt er. Mit einem Elektro-Golf der neusten Generation kommt man rund 200 Kilometer weit, mit dem Audi E-Tron etwas mehr als 300 Kilometer. Für das tägliche Pendeln und die Fahrten von der GA-Redaktion zu Terminen reicht das locker, mehr als 150 Kilometer kommen nicht zusammen - inklusive einer Fahrt zum Tanztraining nach Köln.

Das Fahren von E-Autos bedeutet Umstellung

Soweit die Theorie. In der Praxis bedeutet der Umstieg auf Elektro eine drastische Umstellung, vor allem beim Fahrgefühl. Keine Motorgeräusche mehr, höchstens ein Summen. Durch den Elektromotor ist immer Schub verfügbar. Der alte Diesel braucht immer eine paar Sekunden, bis das Gas an der Achse ankommt - und dann gleicht die Beschleunigung einer Wanderdüne. Der E-Tron drückt einen hingegen in den Sitz und gewinnt fast jeden Sprint. Das verleitet zum Gasfuß, ist aber schlecht für die Reichweite. So siegt nach anfänglichen Spielereien die Vernunft. Wirtschaftlichkeit vor Fahrspaß. Irgendwann packt einen dabei der Ehrgeiz. Durch vorausschauendes Fahren lässt sich nämlich nicht nur Energie sparen, sondern sogar zurückgewinnen: Beim seichten Bremsen wird die Bewegungsenergie durch sogenanntes Rekuperieren in Strom verwandelt.

Auch wenn der E-Tron nicht durch einen lauten Auspuff auffällt, ist er ein Paradiesvogel im Verkehr. Auf dem Parkplatz sprechen einen die Menschen darauf an. Und zu Hause, wenn er in der Einfahrt steht. "Du hast dir wirklich ein Elektroauto zugelegt?", ist die ungläubige Standardfrage an den passionierten Diesel-Fahrer. Jeder will mal Platz nehmen, eine Runde mitfahren. Das Fazit ist durchweg positiv, selbst bei der 91-jährigen Großmutter. "Der hat nur einen Gang? Den könnte ich ja auch noch fahren."

So einfach ist es dann doch nicht. Durch die riesige Batterie (93 Kilowattstunden) dauert es fast zwei Tage, bis der Audi an der heimischen Steckdose vollgeladen ist. Das SUV ist mächtig: Von den zweieinhalb Tonnen Gewicht entfallen alleine 500 Kilogramm auf die Batterie. Enno Remmers Heim-Ladesäule hat mehr Leistung, seine kleineren Batterien sind binnen weniger Stunden voll. Am Verlagshaus des General-Anzeigers gibt es keine Ladesäule - sie soll aber kommen. Die einzige außenliegende Steckdose muss man sich mit dem E-Bike eines Kollegen teilen. In ganz Ruppichteroth kann man nirgendwo öffentlich Strom tanken.

Die Stadtwerke Bonn haben bislang 24 Ladesäulen in Betrieb, bis Ende nächsten Jahres sollen es sogar doppelt so viele sein. "Wir bauen kontinuierlich aus", sagt SWB-Sprecher Michael Henseler. Irgendwann sollen auch Schnellladesäulen folgen, die einen Akku in 20 Minuten aufladen. "Da steigen wir aber erst ein, wenn es einheitliche Richtlinien gibt." Ansonsten laufe man Gefahr, viel zu investieren, was dann aber wieder teuer umgebaut werden müsste. Die Bonner Stationen gehören zum Tank-E-Netzwerk, das auch in Köln, Solingen und teilweise im Rhein-Sieg-Kreis ausgebaut ist. Troisdorf und Siegburg haben wieder eigene Modelle, genauso wie die Anbieter an Raststätten. Die verbreiteten Ladesäulen des US-Autobauers Tesla können nur die eigenen Wagen nutzen.

Die Infrastruktur für E-Autos fehlt noch

"Es werden mehr, aber es gibt zig verschiedene Zugänge", sagt Remmers. Das ärgert ihn am meisten. Die Technik funktioniere, aber die Infrastruktur fehle und werde nur schleppend weitentwickelt. "Manchmal hat man das Gefühl, dass die Energiewende gar nicht gewollt ist." Die Skandinavier seien da viel weiter: Sogar an Laternen gebe es Steckdosen.

Wenn er in Bonn unterwegs ist, kommt dann ein anderes Problem hinzu. "Die Ladesäulen sind gerne mal von Falschparkern belegt", sagt Remmers aus Erfahdung. Statt ihr Auto aufzuladen, stellen die Fahrer ihren Verbrenner auf den reservierten Flächen ab. "Weil sie nicht an der Säule laden, wird die in der App auch als frei angezeigt." Zwar gibt es eine Notruf-Nummer vom Ordnungsamt. "Aber eh die da sind und das Auto weg ist, vergeht so viel Zeit, dass ich lieber woanders hinfahre." Kostenlos kann man beispielsweise an Ikea- und Kaufland-Filialen laden, ebenso wie an manchen Raststätten. "Das rechnet sich dann natürlich richtig."

Trotz aller Begeisterung für Elektromobilität: Als Firmenwagen fährt Enno Remmers einen Diesel-Kastenwagen. "Der ist zuverlässig und bietet genug Platz für Transporte." Und der Test-Audi geht nach einer Woche zurück zum Händler - so lange, bis das Ladesäulen-Netz besser ausgebaut ist.

Nicolas Ottersbach (30) ist Redakteur in der Bonner Lokalredaktion des General-Anzeigers und lebt in Ruppichteroth.

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