Neue Dialogstation im Bonner Stadthaus Ein Eisbrecher für Geschichte

Bonn · Eine sogenannte Dialogstation soll im Stadthaus zur Beschäftigung mit Bonns Geschichte und ihrem Erbe anregen. Jeder kann sich einbringen – auch bei den kontroversen Themen.

Lisa Groh-Trautmann und Maren Dürr haben die mobile Dialogstation zu kontroversen Aspekten der Stadtgeschichte entwickelt.

Lisa Groh-Trautmann und Maren Dürr haben die mobile Dialogstation zu kontroversen Aspekten der Stadtgeschichte entwickelt.

Foto: Martin Wein

Mit der Erinnerung ist das so eine Sache. Sie kann trügen und sich im Lauf der Zeit verändern. Vor allem erlebt jeder das Geschehen, aus dem Geschichte wird, anders. Nicht individuellen Erfahrungen und Erlebnissen, sondern dem kollektiven Gedächtnis der Stadt spürt deshalb seit März 2022 das Projekt „Aktive Erinnerungskultur“ des Zentrums für Stadtgeschichte und Erinnerungskulturen nach.

In den kommenden Monaten setzen die beiden Projektmitarbeiterinnen Maren Dürr und Lisa Groh-Trautmann, die sich bis Ende 2023 eine Projektstelle teilen, auch auf eine selbst entwickelte mobile Dialogstation. Am Freitag wurde sie im Stadthaus vorgestellt.

„Aktive Erinnerungskultur“ ist konzeptionell womöglich ein wenig hochgegriffen. Konkret geht es – das zeigt die Installation, vor allem um Straßennamen mit historisch fragwürdigen Bezügen und um Hinterlassenschaften der kurzen deutschen Kolonialgeschichte. Exemplarisch können sich Besucher über die Herrmann-Löns-Straße informieren – benannt nach dem von den Nazis vereinnahmten Heide- und Heimatdichter (1866-1914). Oder über die Langemarckstraße, die an ein verlustreiches Gefecht zu Beginn des Ersten Weltkriegs in der Nähe des gleichnamigen Ortes bei Ypern in Belgien erinnert. 60 zwischen 1933 und 1945 benannte Straßen gebe es noch in Bonn, verrät Groh-Trautmann.

Auf einem Stadtplan sind überdies Orte mit Bezug zur Kolonialzeit vermerkt wie das Grab des Schutztruppenkommandeurs Lothar von Trotha auf dem Poppelsdorfer Friedhof. Von Trotha hatte 1904 den Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika befohlen. In Bonn wurde von Trotha nur zufällig beigesetzt, weil er hier 1920 verstorben war.

Auf Tafeln können Bonner Bürger ihre Gedanken und Anregungen zu beiden Themen aufschreiben. „Wir fotografieren alles ab und werden es am Jahresende in einer großen Ausstellung dokumentieren“, erklärt Groh-Trautmann, die Historikerin im Team. Ihre Kollegin Maren Dürr ist auf interkulturelle Kommunikation spezialisiert.

Inhaltliche Empfehlungen zum Umgang mit den historischen Hinterlassenschaften werde es am Projektende nicht geben, betont Phillipp Hoffmannm, der im Zentrum für Stadtgeschichte nunmehr für das Stadtarchiv, das Stadtmuseum und die NS-Gedenkstätte verantwortlich zeichnet. Im zurückliegenden Jahr habe man vor allem die jeweiligen Zuständigkeiten innerhalb der Stadtverwaltung aufgearbeitet und Idealvorstellungen dazu entwickelt. Die Bürgerschaft solle sich über Aktionen wie eine Befragung über das Portal „Bonn macht mit“ oder die Dialogstation aktiv einbringen. Neue Erkenntnisse präsentiert die Station deshalb nicht. Hoffmann sieht sie vor allem als Eisbrecher, um ins Gespräch zu kommen. Dazu ist sie bis zum 27. Februar im Stadthaus aufgebaut. In den Folgemonaten wird sie in weiteren Institutionen im Stadtgebiet zu sehen sein.

Viele Hundert Beiträge in „fantastischer Qualität“ seien im Dialog mit den Bürgern bereits zusammengekommen, berichtet Hoffmann. Am Ende schwebt ihm eine Koordinierungsstelle vor, die bei allen geschichtsbezogenen Themen die passenden Akteure hinzuzieht.

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