Prozess nach Bombenfund in Bonn Ein schleichender Prozess
Bonn · Auch über ein Jahr nach der Eröffnung der Hauptverhandlung geht das Verfahren nur mühsam voran. Ein Mitarbeiter der Bonner Agentur für Arbeit macht die Polizei auf den Hauptverdächtigen aufmerksam.
Die Szene gehört inzwischen fast schon zum Berufsverkehr im Düsseldorfer Süden. Wenn Polizisten für kurze Zeit die Kreuzung Völklinger/Fährstraße sperren, haben vier Limousinen freie Fahrt. Ihre Insassen: SEK-Beamte mit Sturmhauben und die vier Hauptangeklagten im Salafisten-Prozess, die in den Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts gebracht werden.
Etwa 80 Mal war die Situation bislang zu beobachten. Ein Ende ist nicht abzusehen. Dabei hat das Verfahren gerade aus Bonner Sicht zuletzt an Fahrt aufgenommen. Einerseits. Denn seit einigen Wochen geht es ausschließlich darum, was am 10. Dezember 2012 am Hauptbahnhof geschah, wo mittags in einer blauen Tasche jener Sprengsatz entdeckt worden war, für den sich der heute 28-jährige Marco G. aus Tannenbusch verantworten muss.
Andererseits: Als in dieser Woche wieder ein Beamter der Bundespolizei in den Zeugenstand tritt, ist es mit der Hoffnung der Beobachter auf neue Erkenntnisse schnell vorbei. Quälend lang werden Kamerabilder auf die Leinwand projiziert, auf denen der Tatverdächtige mit der blauen Tasche zu sehen ist. Zunächst in der Unterführung vom Bonner Loch zu den Gleisen der Deutschen Bahn, wenig später in der McDonald's-Filiale an Bahnsteig 1. Eine Szene ist der Öffentlichkeit besonders gut bekannt, denn sie diente der Polizei damals für ein Fahndungsfoto.
Eindeutig identifizierbarer Zünder wurde nie gefunden
Eine zentrale Frage bleibt auch in dieser Sitzungswoche offen: War die Konstruktion in der blauen Tasche - mit Klebeband umwickelte Kartuschen und der mit Drähten daran befestigte Wecker - tatsächlich zündfähig? Ein eindeutig identifizierbarer Zünder wurde nie gefunden. Daran ändert vorerst wohl auch die Neun-Volt-Batterie nichts, die bei der Spurensicherung auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig gefunden worden war, nachdem die Polizei die Tasche samt Inhalt mit einem Wassergewehr zerschossen hatte.
Die mit einem Klebeband versehene Batterie, so ein Bombenentschärfer, könnte zu einem Zündmechanismus gehört haben. Könnte. Sie könnte aber auch gar nichts mit der Tasche zu tun haben. Eher beiläufig erwähnte der Beamte, dass er sich an ein Haar erinnern könne, welches sich an dem Klebeband befunden habe. Was mit dem Haar passierte, wurde nicht weiter erörtert. Dem Vernehmen nach soll kein DNA-verwertbares Material daran gefunden worden sein.
Der Umgang mit Beweismitteln ist ein leidiges Thema in dem Verfahren. Die Wucht des mehrere Zentimeter dicken Strahles aus dem Wassergewehr bannte auf dem mittlerweile evakuierten Hauptbahnhof zwar sofort die Gefahr. Sie sorgte aber auch dafür, dass der Sprengsatz in unzählige Einzelteile zerlegt wurde. "Leider sind die meisten Beweismittel von der Polizei vernichtet worden, entweder gesprengt oder zerschossen", kritisierte in der Verhandlung jetzt Strafverteidiger Peter Krieger und spielte damit auch auf die Vorgehensweise der Polizei bei der Durchsuchung der Wohnung von Marco G. an: Dort waren zwar im Kühlschrank verdächtige Substanzen gefunden worden, die aber - sicherheitshalber - ohne vorherige Probe gesprengt worden.
Jobcenter Mitarbeiter geben Hinweis
Dass die Polizei auf Marco G. als Verdächtigen aufmerksam wurde, ist offenbar nicht zuletzt zwei Mitarbeitern des Bonner Jobcenters zu verdanken. Einem 40-jährigen Berater hatte Marco G. vor dem 10. Dezember mehrfach gegenübergesessen. Er schilderte, wie der zum Islam konvertierte Bonner in "typischer Salafisten-Kleidung" und vollbärtig erschien. Er habe "gute Umgangsformen, aber kein Interesse an der Stellensuche" gezeigt. Als der Mitarbeiter des Jobcenters Anfang 2013 die Fahndungsplakate mit dem Bild der Überwachungskamera sah, erinnerte er sich an seinen "Kunden". Er sprach eine Kollegin darauf an, die vor ihm für G.s Betreuung zuständig war. Auch sie stellte eine "gewisse Ähnlichkeit" fest.
Seitens der Prozessbeteiligten fallen die Bewertungen höchst unterschiedlich aus. "Happy Birthday! Wir sind heute kein bisschen schlauer als vor einem Jahr", bemerkte Strafverteidiger Carsten Rubarth lakonisch, als sich die Prozesseröffnung jährte. Allerdings geht es bekanntlich nicht nur um die selbstgebastelte Rohrbombe. Auch sollen G. und seine drei mutmaßlichen Komplizen einen Mordanschlag auf den Vorsitzenden der rechtspopulistischen Partei Pro NRW, Markus Beisicht, geplant und vorbereitet haben, welches die Polizei im März 2013 vereitelte. zwischen den Verteidigern und Senatsvorsitzendem Frank Schreiber schwelt derzeit indes ein Streit darüber, ob ein großer Teil der Abhörprotokolle im so genannten Selbstleseverfahren Verwendung finden, mithin also nicht in öffentlicher Sitzung verlesen oder abgespielt werden sollen.
Ungeachtet dessen sieht Bundesanwältin Duscha Gmel die Anklagepunkte dieses Tatkomplexes inzwischen bestätigt: "Aus meiner Sicht sind wir hier weit vorangeschritten", so Gmel. Ihr haben die angeklagten Salafisten in einem Brief zwischenzeitlich die "ewige Verdammnis" gewünscht. Und auch die Propagandavideos, die auf den Computern der Beschuldigten gefunden wurden, lassen zumindest an ihrer Ideologie keinen Zweifel. "Takbir!" (Allah ist groß), rief Marco G. lauthals in den Saal, als wieder einmal eine Darbietung eines Werbefilms des Islamischen Staates im Gerichtssaal beendet war. Ein Beweis für die Zündfähigkeit der Bombe ist aber auch das nicht.