Weihnachtsmarkt Ein Tag als Verkäuferin am Stand von Adeline Schoden

Bonn · Textile Aufrüstung vor dem Kleiderschrank: Über die geringelte Skiunterwäsche kommen ein T-Shirt mit langen Ärmeln, Wollpullover und schließlich ein dicker Steppmantel. Jeans und zwei Paar Socken sollen die Kälte von unten abhalten. Fertig - und aus dem Spiegel blickt mir das Michelin-Männchen entgegen.

 Aushilfe auf dem Weihnachtsmarkt: Am Stand von Adeline Schoden (links) verkauft Gabriele Immenkeppel Pulswärmer, Armstulpen, Mützen und Schals.

Aushilfe auf dem Weihnachtsmarkt: Am Stand von Adeline Schoden (links) verkauft Gabriele Immenkeppel Pulswärmer, Armstulpen, Mützen und Schals.

Foto: Barbara Frommann

Keine Hüfte, keine Taille, die Arme stehen dick wattiert vom Körper ab. Hübsch sieht irgendwie anders aus. Egal. Schließlich habe ich kein Treffen mit George Clooney, sondern eine Verabredung mit Adeline Schoden. "Schuhe mit dicken Sohlen anziehen", mahnte sie noch am Vortag. Schoden muss es wissen. Seit 14 Jahren steht sie auf dem Bonner Weihnachtsmarkt. Bei jedem Wetter, bei jeder Temperatur. An ihrem Stand auf dem Bottlerplatz verkauft sie Pulswärmer, Armstulpen, Mützen und Schals, allesamt von ihr entworfen und in Handarbeit produziert. Die Wolle hat sie eigenhändig eingefärbt und gefilzt.

Einen Tag lang arbeite ich als "Aushilfe" in ihrer Holzhütte. "Auf dem Weihnachtsmarkt duzen wir uns", begrüßt sie mich fröhlich. "Aber deinen Schal ziehst du mal ganz schnell aus", sagt's und legt mir ein großes Tuch aus gefilzter Wolle und Seide in blauen und türkisfarbenen Tönen um die Schulter. "Jetzt noch die passenden Stulpen und wir machen die beste Werbung für uns." Es folgt eine Kurzeinweisung: "Die kosten 20, die 24 Euro. An Mützen und Stirnbändern stehen Preisschilder, wenn sich jemand für die Tücher interessiert, komme ich. Wenn du kassierst, hier ist die Kasse. Große Scheine nehme ich direkt an mich."

Gesagt, getan. Es dauert gerade einmal ein paar Minuten, schon stürmt eifrig schnatternd eine Damen-Reisegruppe aus Köln unseren Stand. "Annemie, du häss doch kahle Uhre. He jitt et Mötze." Annemie lässt sich nicht lange bitten. Und Schoden gibt gleich eine Anleitung: "Die Blume über einem Ohr platzieren, die Mütze tief ins Gesicht ziehen und seitlich ein wenig hochklappen, damit das Innenfutter zu sehen ist."

Ein kurzer Blick in den Spiegel, Annemie zückt das Portemonnaie, ich kassiere. Zum Verschnaufen bleibt keine Zeit. Zwei Touristinnen aus England ("pull the flower over the ear, hat in the face...") lassen sich von Schodens Charme verzaubern, während ich zwei Paar Armstulpen ("Die bekommen meine Töchter zu Nikolaus") einpacke. "Heute läuft es wirklich gut, du bringst mir Glück", freut sich Adeline. Nach vier Stunden werden die Füße langsam kalt, der Rücken schmerzt, und mein Mantel hat den Duft der umliegenden Stände angenommen.

Flammlachs im Rücken, gebrannte Mandeln von rechts, und über allem liegt ein leichter Hauch von Glühwein und Zimt. Aber für Selbstmitleid ist keine Zeit. "Nur mal schauen", wollte die Tagesausflüglerin aus dem Sauerland, konnte dann doch nicht widerstehen. Stirnband, Schal, Stulpen - ich rechne, kassiere und fülle die Auslage gleich wieder auf. "Wenn so viel los ist wie heute, vergeht die Zeit im Flug", versichert meine "Chefin".

Nach fast zehn Stunden geht dann aber gar nichts mehr. "Feierabend", verkündet Adeline, holt die Auslagen rein und verschließt ihre Hütte. Bis sie zu Hause in Rheinbach ist, dauert es noch eine Stunde. "Du hast deine Sache gut gemacht", lobt sie und lacht. "Du kannst bei mir anfangen." Danke für das Angebot! Aber ich freue mich jetzt erst einmal auf einen weichen Sessel und auf ein heißes Bad.

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