Vor 30 Jahren: Demo zum Weltwirtschaftsgipfel Eine Explosion der Gewalt

BONN · Es waren die wahrscheinlich heftigsten Krawalle, die Bonn als Bundeshauptstadt erlebte: An einem Samstag vor 30 Jahren lieferten sich vermummte Autonome des "Schwarzen Blocks" und Polizisten eine Straßenschlacht auf dem Münsterplatz.

 Szenen der Gewalt: Bei Straßenschlachten gehen Demonstranten brutal gegen einen Polizisten vor und schlagen und treten auf den am Boden liegenden Beamten ein.

Szenen der Gewalt: Bei Straßenschlachten gehen Demonstranten brutal gegen einen Polizisten vor und schlagen und treten auf den am Boden liegenden Beamten ein.

Foto: Werek

Anlass war eine Demonstration gegen den G7-Gipfel am 4. Mai 1985 mit mehr als 10 000 Teilnehmern, die auf dem Münsterplatz friedlich enden sollte. Doch die Lage eskalierte binnen weniger Minuten: Steinwürfe zerstörten die Schaufensterfassaden des Kaufhofs, schockierte Kunden sahen hilflos zu, wie Maskierte die Auslagen plünderten.

Mittendrin: Pressefotograf Claus Stuthoff, der für die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) vom G7-Gipfel aus Bonn berichtete. Kürzlich entdeckte der 75-jährige Mainzer zu Hause einige Notizen, die er damals verfasste. Er erinnert sich: "Ich habe oft über das Demonstrationsgeschehen aus der früheren Bundeshauptstadt der 1980er Jahre berichtet, einen derartigen Gewaltausbruch mitten in Bonn aber so noch nie erlebt".

Wie der GA am 6. Mai 1985 berichtete, marschierten die Demonstranten in zwei Blöcken vom Hauptbahnhof und Bonner Norden zum Münsterplatz. Stuthoff berichtet, dass es schon auf dem Weg dorthin Zwischenfälle gab und Vermummte Schaufenster zerstörten. In seiner Erinnerung war die Polizei auf dem Münsterplatz überraschend schwach vertreten, obwohl rund 8000 Beamte aus Bund und Ländern an den Gipfeltagen im Einsatz waren.

"Auf einmal gab es eine regelrechte Explosion der Gewalt", berichtet der Fotograf. Die anfangs wenigen Polizeikräfte auf dem Münsterplatz trugen zwar Helme, waren aber nicht wie heute mit Körperschutz ausgerüstet und standen, so Stuthoff, den gewaltbereiten Vermummten recht wehrlos gegenüber. "Die jungen Beamten der Bereitschaftspolizei hatten keine Schutzschilde mitgeführt und wurden mit Steinwürfen und Schlägen attackiert", berichtet Stuthoff. Er hat noch das Bild eines Polizisten vor Augen, der sich einen Stiefel auszog und das darin gesammelte Blut ausgoss.

Wie der GA berichtete, herrschte auf dem Münsterplatz von Anfang an "gespannte Stimmung", gegen 15.45 Uhr gingen die Krawalle los: "Anlass war nach Augenzeugenberichten, dass die Demonstranten dem Beethoven-Denkmal eine brennende US-Flagge in die Hand gedrückt hatten. Ein Bürger wollte diese vom Denkmal herunterholen. Dabei wurde er rüde aus beträchtlicher Höhe von Vermummten zu Boden geworfen. Als Polizisten den Mann schützen und Krawallmacher aus der Menge greifen wollten, kam es zu Konfrontationen." Es flogen Pflastersteine, die teils direkt aus dem Münsterplatz gebrochen wurden. Claus Stuthoff erinnert sich, wie Autonome mit Motorradmasken die Kaufhofscheiben zerstörten und zu plündern begannen.

Szenen, die er aus Berlin und Frankfurt, nicht aber aus Bonn kannte. Die Polizeiführung reagierte und schickte das Spezialeinsatzkommando (SEK) in die vorderste Linie, Stuthoff dazu: "Die Spezialeinheit, in ihren grauen Einsatzanzügen als solche erkennbar, stürmte mit Schlagstöcken in die riesige Menge, war dieser aber zahlenmäßig deutlich unterlegen".

Das Ziel, die Masse der Gewalttäter auseinanderzutreiben, misslang, es folgten minutenlange Prügelszenen, ein SEK-Beamter ging zu Boden und wurde mit Schlägen und Tritten massiv traktiert. Die Menschen, auch Journalisten, hatten Angst, so Stuthoff. Viele der vermummten Schläger kamen nach seiner Erinnerung aus den radikal linken Szenen bundesweit. "Ich hatte selbst massive Angst, weil ich blöd stand", beschreibt der Fotograf. "Als Bildjournalist muss man darauf achten, dass man nicht zwischen die Fronten gerät."

Er blieb unverletzt. Im Gegensatz zu 20 anderen Menschen, wie der GA berichtet. 50 radikale Demonstranten hatten erheblichen Schaden verursacht. Kaufhof-Geschäftsführer Josef Thissen sprach von bis zu 120 000 Mark für 14 zerbrochene Schaufenster und zerstörte oder geplünderte Auslagen. Die Kommunalpolitik um OB Hans Daniels diskutierte über ein Demonstrations- und Vermummungsverbot in der Innenstadt.

NRW-Innenminister Herbert Schnoor machte die Grünen als Veranstalter der Demo und des "Tribunals gegen den Gipfel" indirekt für die Gewalttaten verantwortlich: Sie hätten sich nicht deutlich genug von den potenziellen Gewalttätern distanziert. Bonns Polizeipräsident Hans Wilhelm Fritsch und Schnoor bewerteten die Sicherheitsmaßnahmen zum Weltwirtschaftsgipfel insgesamt als erfolgreich. Fritsch erklärte: "Der Rest war unangenehmes Beiwerk im Griff der Polizei."

Als gefährlich beschlagnahmt

Die Polizei beschlagnahmte am Vorabend der Demo bei Fahrzeugkontrollen im Umfeld des "Tribunals gegen den Gipfel" viele Gegenstände, die sie als gefährlich einstufte. Darunter waren nicht nur Flaschen mit Salzsäure und Kanister mit Benzin und Diesel für Brandsätze. Die Polizei fand in den Autos auch Helme und Sturmhauben, Hieb- und Stichwaffen und mit Blei gefüllte Totschläger. Überdies wurden Tischbeine, Bambusstäbe und Ketten als gefährliche Werkzeuge sichergestellt sowie Stahlkugeln und Kugelschleudern, leere Batterien als Wurfmaterial, Klappspaten, Beile, eine Säge, Seile und Knallkörper. Und ein Transparent mit Hakenkreuz.

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