GA-Serie "100 Köpfe" Engelbert Decker betreibt Medizin und Kunst mit Leidenschaft

BONN · Morgens muss er in seiner Arztpraxis seinen Patienten beibringen, dass der Krebs weiter in ihren Körpern wuchert. Abends steht der Radiologe Engelbert Decker am liebsten auf den Bühnen der Region. Und singt deutsche Kunstlieder. Oder rezitiert Tucholsky, Büchner und Goethe.

 Engelbert Decker am Klavier: Bei seinen Auftritten singt er deutsche Kunstlieder und zitiert Texte von Büchner bis Goethe.

Engelbert Decker am Klavier: Bei seinen Auftritten singt er deutsche Kunstlieder und zitiert Texte von Büchner bis Goethe.

Foto: Barbara Frommann

Dessen Verse im "Faust" könnte der 63-jährige Arzt und Diplomsänger auch für sich zitieren: "Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust". Die des engagierten, mitfühlenden Mediziners und die des leidenschaftlichen Musikers und Rezitators. "Ich sehe in meiner Praxis unendlich viel Leid bei Patienten und Angehörigen", sagt der Doktor leise.

Er versuche, die Patienten mit möglichst wenig Strahlen zu belasten, sich in deren Psyche zu versetzen und ihnen die Ängste zu nehmen. Abends auf der Bühne, da schaffe er es für sich selbst, das Bedrückende seiner Tumorambulanz mit seinem künstlerischen Ausdruck abzustreifen, in Kontakt mit dem Publikum zu treten, es mit Musik und Literatur anzusprechen.

Wenn es still werde im Raum und das Licht nur auf ihn und seinen Pianisten fokussiert sei, wenn die Zuhörer dann klatschten, "dann bin ich zu den Herzen vorgestoßen", beschreibt Decker die Wucht des künstlerischen Erlebens. "In der Kunst werde ich von Jahr zu Jahr freier", fügt er hinzu. Ihm ist die Passion für seine Texte und Melodien anzusehen.

Wobei seine Programme hart erarbeitet sind. "Aber ich liebe es, nach einem stressigen Tag an meinen Schreibtisch zu Hause zurückzukehren und für meine Programme bei Büchner zu recherchieren, bei Baudelaire oder Francois Villon." Angefangen hat alles im Haushalt eines Bad Godesberger Kinderarztes.

Das fünfte von sieben Kindern, der kleine Engelbert, wollte nach dem Abitur partout Opernsänger werden. "Doch ich konnte mich nicht gegen den Vater durchsetzen, der es gut mit mir meinte", erinnert sich Decker. Also erst Medizin studieren. "Und dann geriet ich durch eine wunderschöne Medizinstudentin, die ebenso schön sang, an ihre Gesangslehrerin."

Der angehende Arzt nahm mit Ehrgeiz ebenfalls Gesangsstunden, die er sich durch Nachtschichten in einem Kölner Krankenhaus finanzierte. Durch das Singen, das bald mehr als ein Hobby wurde, gelangte Decker nach Freiburg zu seinem nachhaltigsten musikalischen Förderer Professor Xander Haagen - und lernte dort seine spätere Frau Tomoko kennen, ebenfalls eine Sängerin.

Als die beiden eine Familie gründeten, als zwei Töchter geboren wurden, fand der musikalische Doktor zum Brotberuf zurück. Decker praktizierte unter anderem im Waldkrankenhaus. "Aber nebenbei waren meine Frau und ich immer auf Kirchenkonzerten aktiv." Der Bass Decker sang den Sarastro der Zauberflöte und den Christus in den diversen Passionen.

Bis er mit Kommilitonen in der Truppe "Operetta con boa" "herumtingelte" und schließlich mit Soloauftritten zu brillieren begann. 2004, in Folge einer Krebserkrankung, arbeitete er sich durch die große Weltliteratur hindurch. "Und da fand ich so viele, die meine Gedanken schon Jahrhunderte vorher ausgeformt hatten."

Engelbert Decker wagte es, nun auch zu rezitieren. Es komme ihm dabei so vor, als steige er in einen Aufzug und besuche die Künstler, in deren Werken er sich selbst wiederfinde. "Das Tolle ist, dass mein Publikum immer mitzieht. Dass ich mit meinen Programmen nicht nur mir, sondern auch anderen Balance geben kann."

Decker strahlt. Und imitiert auf hinreißende Art selbst den alten Ruhrpott-Nörgler Jürgen von Manger. "Den habe ich in meiner Jugend in der Stadthalle erlebt. Ich verehre ihn für seine Menschlichkeit." Im Frühling wird er mit seinem Von-Manger- und anderen Programmen auch in Bonn gastieren, im Bad Godesberger Kunstverein und in der Parkbuchhandlung.

Info: Termine unter www.engelbertdecker.de

Typisch bönnsch

An Bonn gefällt mir die Lage am Rhein. Und die Mentalität. Wenn dir auf dem Markt nachgerufen wird: "Nimm doch drei Kilo für den Preis von einem. Kann ich doch nichts dafür, wenn du das nicht aufkriegst."

Typisch bönnsch ist für mich der Stau auf den Brücken. Egal auf welcher, egal zu welcher Tageszeit.

Mein liebster Platz ist in meinem Garten unter dem Apfelbaum.

In Bonn vermisse ich das Meer mit seinem sommerlichen Leuchten sowie einen Baggersee zum Schwimmen zwischendurch.

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