Katastrophe in der Türkei und Syrien Bonner bangen nach Erdbeben um Angehörige

Bonn · Die Kurdin Hayam Karaja hat Angehörige und Bekannte in der Erdbebenregion. Noch nicht von allen hat sie ein Lebenszeichen bekommen. Bonner befürchten, dass Spendengelder nicht ankommen.

Die Wurzeln von Hayam Karaja liegen im Erdbebengebiet. Im Hintergrund ist Schih zu sehen, das zu Afrin gehörende Heimatdorf ihres Mannes.

Die Wurzeln von Hayam Karaja liegen im Erdbebengebiet. Im Hintergrund ist Schih zu sehen, das zu Afrin gehörende Heimatdorf ihres Mannes.

Foto: Benjamin Westhoff

Die Erdbeben in der Türkei und Syrien sind Tausende Kilometer entfernt. Trotzdem sind viele Menschen aus Bonn und der Region betroffen: Dort leben Verwandte, Bekannte, Freunde. Dementsprechend groß ist derzeit die Anteilnahme. Viele Privatleute, Vereine und Institutionen bereiten Hilfen vor. Es gibt aber auch Bedenken, dass Sachspenden und Gelder wegen der politischen Lage nicht ankommen.

Am Montagmorgen, um 5.30 Uhr, erwachte Hayam Karaja nach unruhiger Nacht. Sie ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was sie eine halbe Stunde später in den Nachrichten erfahren sollte: dass in der Türkei und ihrer in Nordsyrien gelegenen Heimat ein Erdbeben gewütet hatte, dem im Laufe des Tages weitere folgten. „Das Schlimmste ist, dass wir so weit weg sind. Dass wir helfen wollen, aber nicht helfen können“, sagt die Kurdin, die vor 24 Jahren ihrem Mann nach Deutschland folgte. In Auerberg ist die Familie heimisch geworden, von Auerberg aus versucht Karaja nun in Erfahrung zu bringen, wie es Bekannten und Angehörigen im 3600 Kilometer entfernten Afrin und in Aleppo geht.

Noch kein Lebenszeichen von einer Tante

Am Montagabend hat sie ein Lebenszeichnen ihrer Tante aus Afrin erhalten, das zum Gouvernement Aleppo gehört. „Sie ist mit den anderen aus dem Haus gelaufen, als das Beben anfing“, erzählt Karaja, die seit drei Jahren dem Bonner Integrationsrat angehört. Derzeit herrschten in Afrin Minustemperaturen. In manchen Gegenden liege Schnee. Als die Familie kurz zurück wollte in die eigenen vier Wände, um die in der Eile vergessene Jacken herauszuholen, hätten Diebe das Haus bereits ausgeräumt gehabt. Soweit Karaja Kunde hat, sei die Tante nun bei Verwandten in der Gegend untergekommen. Mehr weiß sie nicht. Von einer weiteren Tante fehlt bisher jede Nachricht. Sie wohnt in Aleppo, eine Autostunde entfernt von Afrin. „Es kann sein, dass sie keinen Strom hat. Wir hoffen, dass sie sich bald meldet.“

Was Karaja an Informationen erreicht, sind neben journalistisch aufbereiteten Nachrichten, Fotos und Videos aus dem Erdbebengebiet, die über die sozialen Netzwerke in Umlauf sind. Zu sehen sind fünfstöckige Gebäude in Aleppo, die von jetzt auf gleich in sich zusammenfallen. Bilder von einer Brücke, die Afrin mit den umliegenden Dörfern verbindet. Durch deren Mitte verläuft ein breiter Riss. Menschen sind zu sehen, die mit Tellern und Töpfen versuchen, das Erdreich wegzuschaffen in der Hoffnung, darunter Überlebende zu finden.

„Was die Leute jetzt brauchen, sind Bagger und schweres Gerät, um schneller arbeiten zu können. Und Zelte für die Überlebenden“, sagt Karaja. Mit jeder Minute schwinde die Hoffnung, weitere Überlebende zu finden. Die Kurdin hat, wie sie erzählt, in den vergangenen Jahren mitbekommen, wie sich nach der Besetzung von Teilen Nordsyriens unter der Führung des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdoğan die Lebensumstände der Kurden dort verschlechtert haben. „Ich befürchte, dass die Kurden in Afrin vergessen werden könnten.“ Diese Einschätzung teilt sie mit Jürgen Repschläger vom Bonner Solidaritätskomitee Kurdistan, der appelliert: „In der jetzigen Situation darf es bei den Hilfen keine Unterschiede geben zwischen den Nationalitäten der Opfer.“

Mit dieser Sorge ist er nicht alleine. „Man weiß nicht, ob die Spenden nicht doch in Erdogans Wahlkampf umgeleitet werden könnten“, sagt eine Helferin, die sich derzeit für die Erdbebenopfer engagiert. Selbst Sachspenden könnten an der Grenze abgefangen werden.

Spenden nicht blind überweisen

Auch Binnaz Öztoprak, die Vorsitzende des Bonner Integrationsrats, hat versucht, Bekannte zu erreichen. „Mittlerweile weiß ich über Kontakte, dass sie wohl überlebt haben. Ich konnte sie selbst nicht anrufen, weil es keinen Empfang gibt“, erzählt sie. Wenn man sich engagieren möchte, sei aktuell der beste Weg, Geld zu spenden. „Es gibt keinen Flughafen. Es ist schwierig, Waren dorthin zu bringen.“ Öztoprak warnt davor, Geld blind zu überweisen. Sie rät zu anerkannten deutschen Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz oder der Aktion Deutschland hilft. Beispielsweise sei die Gefahr bei Erdogan- oder regierungsnahen Einrichtungen groß, dass die Spenden nicht dort ankommen, wo sie sollen.

Bei der Kurdischen Gemeinschaft Rhein-Sieg/Bonn gehen derzeit viele Anrufe ein. „Es melden sich Menschen aus der Region, aber auch überregional. Sie fragen unter anderem, ob wir Sachspenden annehmen“, sagt Mitglied Zelal Ataman. Von eigenen Warenlieferungen sehe man aktuell noch ab, weil man nicht wisse, wie die Verteilung vor Ort ablaufe. Stattdessen sammele man Geldspenden, die dann über Vertrauenspersonen in die Krisenregion gelangten. „Wir haben ein gutes Netzwerk aufgebaut und können so garantieren, dass die Hilfe ankommt und nicht abgeschöpft wird“, sagt Ataman.

Dabei wolle man sich nicht nur auf die großen Städte, sondern auch die ländlichen Regionen konzentrieren, von denen man befürchte, dass sie nicht die nötige Aufmerksamkeit bekämen. Ataman war selbst schon in einer Krisenregion, als der Islamische Staat damals im Irak wütete. „Dort starteten wir dann Kaufaktionen vor Ort“, erzählt sie. So etwas sei auch jetzt wieder denkbar, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt. „Wir müssen nun abwarten, wie sich die Lage entwickelt.“

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