Bonn vor 75 Jahren Erinnerung ans Lager ist lebendig

Bonn · Eine 16-jährige Bonnerin besucht 1941 die internierten Juden im Kloster Endenich. Besonders die jüdische Familie Mamlock ist ihr im Gedächtnis geblieben.

 Helene Meyer (Name geändert) hat bis heute ein Foto des Ehepaares Mamlock aufgehoben.

Helene Meyer (Name geändert) hat bis heute ein Foto des Ehepaares Mamlock aufgehoben.

Foto: Benjamin Westhoff

Es sind traurige Details, an die sich Helene Meyer (Name geändert) auch nach fast 75 Jahren noch genau erinnert. „Dass uns die Anwohner auf dem Weg zum Endenicher Kloster aus den Fenstern heraus alle beobachteten, weil sie genau wussten, wo wir hingingen“, blitzt der heute 89-Jährigen sofort wieder durch den Kopf, die ihren Namen aus Angst vor rechtsradikalen Anfeindungen nicht in der Zeitung nennen möchte.

Sie hatte sich Ende 1941 als 16-Jährige mit den Eltern zum Kreuzberg aufgemacht. Aus dem Kloster hatte Adolf Hitlers Gestapo 150 Maria-hilf-Benediktinerinnen verjagt, um dort die letzten 481 Bonner Juden vor ihrem Gang in den Tod ein Jahr lang zusammenzupferchen. Nur acht von ihnen sollten den Holocaust überleben.

„Ja, das war schon allgemein bekannt, wer da im Kloster gefangen gehalten wurde“, erinnert sich Meyer, die heute in Bad Godesberg lebt. „Wer es wissen wollte, wusste es.“ Sie ist eine der letzten Zeitzeugen, die die Endenicher Internierten noch gesehen hat.

Losgegangen war alles im Sommer zuvor. „Da waren unsere jüdischen Mitbürger über Nacht alle weg, Knall auf Fall.“ Die Kinder aus der jüdischen Schule: alle fort. Auch das Ehepaar Mamlock. Die Geigerin Bertha und ihr Mann Louis Mamlock, ein angesehener Antiquitätenhändler, der immer ein Lächeln auf den Lippen hatte. „Er war auch 1941 noch lebensfroh“, sagt die 89-Jährige. Den drei Töchtern der Mamlocks war noch die Flucht in die USA gelungen, die Eltern wollten sich nicht mehr verpflanzen lassen.

An dem Wintertag Ende 1941 war die junge Helene zum ersten Mal im Lager. Es waren die einzigen Besucher. „Das haben wir niemandem verraten. Das hätte für uns gefährlich werden können. Mein Vater war ein leidenschaftlicher Gegner des Regimes.“ Meyer hält ein Foto der Mamlocks in den Händen. „Sie verloren ihr schönes Haus und saßen nun in einer winzigen Nonnenzelle“, erinnert sie sich. „Ein Bett, ja, ein Bett wird drinnen gestanden haben. Aber sonst war alles nur karg.“

Immerhin habe das ältere Paar ein Zimmerchen für sich gehabt. Andere mussten sich zu vielen in den Räumen drängen. Helene Meyer denkt ein bisschen nach. Und dann weiß sie plötzlich wieder, wo sie Kinder und Jugendliche im Nazi-Lager angetroffen hatte: Sie lagen, als sie vorbeiging, im Foyer. „Ich glaube, sie hatten Matratzen auf dem Boden. Es war alles nur schrecklich.“ Heute erinnert im Kloster ein kleines Mahnmal an die Jüngsten: die 15-jährige Ruth Daniel oder den 14-jährigen Egon Bucki, die wie die Mamlocks im Juni 1942 aus Endenich über Köln in die Vergasungswaggons bei Minsk geschafft wurden.

Die 89-Jährige schweigt. Das Paar in der kalten Zelle sei so unglücklich gewesen. „Wir sollen in Lastwagen zum Deutzer Bahnhof weggeschafft werden“, habe Bertha Mamlock unter Tränen gesagt. „Sie wussten also schon ein halbes Jahr zuvor, dass es in den Tod ging. Was sollten wir dazu sagen? Wir waren doch alle mittendrin und konnten nicht helfen.“

Nicht ohne Grund habe sich Professor Felix Hausdorff kurz vor seiner Zwangseinweisung das Leben genommen. „Endenich ist noch vielleicht das Ende nich“, habe er das begründet, zitiert Meyer. Sie schüttelt den Kopf. „Diese Verbrecher. Diese Rassisten. Ich verstehe nicht, warum heute Rassismus wieder Anhänger findet.“ Sie sei so froh, dass sie nach 1945 den Nachkommen der Mamlocks wenigstens das Kloster mit der Zelle zeigen konnte.

Louis Mamlock, den habe sie übrigens 1942 kurz vor der Deportation noch einmal gesehen, fügt Meyer plötzlich hinzu. „Auf der Straße. Mit einem Besen in der Hand, beaufsichtigt von einem städtischen Arbeiter.“ Der kultivierte Herr Mamlock war noch gezwungen worden, sich in seiner Heimatstadt als Straßenkehrer zu verdingen. „Ich habe ihn gegrüßt. Und ich bin froh, dass ich es trotz Zeugen gemacht habe“, sagt Meyer. Ein letztes Mal habe der freundliche Herr Mamlock sie dankbar angesehen.

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