Flüchtlinge in Bonn Familiennachzug: Zahl der Klagen überfordert die Gerichte

Bonn · Ein Syrer in Bonn hofft seit zwei Jahren, dass seine Frau und die beiden Kinder nachkommen dürfen. Es ist einer von aktuell vielen Fällen für die Gerichte.

Ghassan al-Takriti hat es selbst miterlebt. Im Sommer 2015 übergaben viele seiner syrischen Landsleute ihre Söhne an der türkischen Südküste windigen Schleppern, damit die Kinder in Europa ein neues Leben beginnen könnten. Dabei reiste zumeist die Hoffnung mit, die Eltern und Geschwister dürften demnächst legal folgen. Doch viele der Jugendlichen ertranken.

Ghassan al-Takriti wollte das seinem Sohn Khalid (15) nicht antun. Er selbst klebte sich Ausweis und 400 Euro in einer Tüte an den Bauch und schwamm die fünf Kilometer zur griechischen Insel Samos. Seit Oktober 2015 ist er im Rheinland. Der 56-Jährige hat ein Apartment in Poppelsdorf. Er spricht leidlich gut Deutsch und hat ein Praktikum bei einem Physiotherapeuten gemacht. Nur auf seine Familie wartet er bislang vergeblich. „Ich würde die drei so gerne endlich wiedersehen“, sagt er.

Nur 312 Menschen in Bonn aus den Hauptfluchtländern Syrien, Afghanistan, Irak und Eritrea hatten nach Angaben der Stadtverwaltung Ende Juni eine Aufenthaltsgenehmigung, die Familiennachzug zulässt. Das geht nur bei denen, die dauerhaft Asyl oder Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention erhalten haben oder den sogenannten subsidiaren Schutz für drei Jahre.

200 000 Verfahren in diesem Jahr erwartet

Vielen Syrern hat das Bamf nur subsidiaren Schutz für jeweils ein Jahr zugesprochen. Auch Ghassan al-Takriti hat solch eine Bescheinigung. Dahinter steckt offiziell die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage in ihrer Heimat, die eine Rückkehr möglich macht. Aber die Praxis war auch eine Reaktion auf die Flüchtlingswelle 2015, als die Politik den Zuzug weiterer Familienmitglieder verhindern wollte.

Insbesondere viele Syrer wehren sich juristisch gegen diese Praxis. Die Zahl der Klagen von Flüchtlingen bei deutschen Verwaltungsgerichten hat sich von 2015 auf 2016 auf 100.000 verdoppelt, berichtet der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Robert Seegmüller. In diesem Jahr rechne man sogar mit 200.000 neuen Verfahren. Im Sommer 2016 reichte der Bonner Anwalt Jens Dieckmann beim Verwaltungsgericht Köln auch Klage für al-Takriti ein, nachdem das Bamf dessen Widerspruch mehr als sechs Monate unbearbeitet ließ.

Seither heißt es warten. Denn auch das Kölner Gericht ist völlig überlastet. Noch im Herbst könnte es einen Termin geben, hofft der Flüchtling. Doch selbst wenn die Richter ihm dann den begehrten dreijährigen subsidiären Schutzstatus zuerkennen, wäre ihm akut noch nicht geholfen. Die Bundesregierung hat im Frühjahr 2016 den Familiennachzug für Syrer mit subsidiärem Schutz für zwei Jahre ausgesetzt. Erst im März 2018 läuft dieser Bann aus – falls der Bundestag ihn nicht erneut verlängert.

Ghassan al-Takriti ist dennoch voller Hoffnung. Das Jobcenter hat ihm 300 weitere Deutschstunden bewilligt, damit er bald den B1-Sprachtest besteht und eine Arbeit aufnehmen kann. „In meinem Alter ist das etwas schwieriger als bei den vielen jungen Leuten“, erklärt er. Seinen Entschluss zur Flucht hat er nicht bereut.

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