Analyse kommunaler Finanzen "Flucht aus dem Budget"

Bonn · Wenn der Kämmerer einer Gemeinde oder Stadt wieder einmal die Kassenlage in tiefroten Farben an die Wand malt und Bürger und Politiker erschreckt, ist das oft weniger als die halbe Wahrheit.

Kommunale Schulden.

Kommunale Schulden.

Im Bundesdurchschnitt sind im Rathaus noch nicht einmal die Hälfte aller Schulden einer Kommune versammelt, denn der Kämmerer berichtet nur zum Kernhaushalt, nicht über die Haftungsrisiken und Schulden für die vielen kommunalen Unternehmen, Fonds, Einrichtungen und Beteiligungen (FEU). Weil sich da im Verborgenen eine größere Verschuldungsspirale dreht als öffentlich wahrgenommen, erkunden immer mehr Forscher das nebulöse Terrain.

Bereits im umfangreichen Bertelsmann-Report (s. Text oben) zum Finanz- und Schuldengebaren in NRW steht der Satz: "Wie groß die Bedeutung der ausgelagerten Bereiche für die Erfüllung der Daseinsvorsorge ist, machen die Haushaltsdaten deutlich. 2006 tätigten die kommunalen Unternehmen im Durchschnitt aller NRW-Gemeinden etwa 44 Prozent der gesamten Personalausgaben und sogar 56 Prozent der gemeindlichen Investitionen." Diese Tendenz bestätigt die jüngste Studie vom Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler (BdSt) mit dem Titel "Kommunale Schattenhaushalte - versteckte Schulden und Haftungsrisiken".

Danach weisen deutsche Kommunen 122 Milliarden Euro an Kernschulden aus und ignorieren 139 Milliarden in Schattenhaushalten. BdSt-Präsident Reiner Holznagel schreibt im Vorwort zur Studie: "Zu den tragenden Säulen der parlamentarischen Demokratie gehören Transparenz, Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Ohne Transparenz ist es den Bürgern schwer möglich, das politische Geschehen zu verfolgen, eine objektiv-fundierte Wahlentscheidung zu treffen und Verbesserungsvorschläge aufzuzeigen."

Aber auch diese Studie kann nicht den gesamten Keller ausleuchten, weil etwa Beteiligungen der öffentlichen Hand unter 50 Prozent "nicht berichtspflichtig" seien. Somit bleibt das Haftungspotenzial aus Minderheitsbeteiligungen eine Mine unbekannter Höhe. Auch wurden Kassenkredite der FEUs, so die Volkswirtin Karolin Herrmann, Autorin der Studie, nicht berücksichtigt, weil diese "nicht zu den statistisch erfassten Schulden kommunaler Auslagerungen gehören".

Somit sei "die Verschuldung der kommunalen Schattenhaushalte in NRW noch größer" als errechnet. Die steigende Anzahl der Schattenhaushalte in NRW lassen, so Herrmann, "eine Verschiebung von Schulden zu Lasten kommunaler Auslagerungen vermuten". Die Experten sprechen in diesem Zusammenhang von einer "Flucht aus dem Budget", um Schulden unsichtbar zu machen. Ein anderes Motiv sei die "Verschleierung von Staatstätigkeit" mit der Folge, dass privatwirtschaftliche Aktivitäten verdrängt werden. Andererseits können durch Auslagerungen Kostenvorteile entstehen.

Die NRW-Kommunen reagieren einstweilen behäbig: Bis Ende 2010 waren sie gesetzlich verpflichtet, einen Gesamthaushalt vorzulegen. Laut der Studie hatte bis Mitte 2011 nur ein Bruchteil diese Pflicht erfüllt. Und Bonn bis heute auch nicht. Die Stadt bietet nach wie vor nur einen Beteiligungsbericht. So ist Bonn - zum Beispiel - mit 66,66 Prozent an der Internationalen Beethovenfeste Bonn gGmbH beteiligt oder mit 74,81 Prozent an der Autoschnellfähre Bad Godesberg/Niederdollendorf GmbH. Komplett gehören der Stadt hingegen die Stadtwerke Bonn GmbH (SWB), während das Theater Bonn, die Seniorenzentren der Bundesstadt Bonn und das Städtische Gebäudemanagement (SGB) sogenannte eigenbetriebliche Einrichtungen sind.

Wer sich unter www.bonn.de durchklickt, erfährt etwa die Beteiligungen der Bonner 100-Prozent-Tochter SWB. Es sind insgesamt 25. So gehören den SWB (und damit der Stadt) 49,6 Prozent der Flugplatzgesellschaft Hangelar mbH oder 1,9 Prozent der Trianel Kohlekraftwerk Lünen GmbH & Co KG. Sprudeln Gewinne oder schlummern Schulden? Folgt man Studie und Gesetz, gehört das alles zum Gesamthaushalt des "Konzerns Bonn".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort