Interview mit ehemaligem Flüchtling in Bonn "Ihr Deutschen habt uns sehr geholfen"

Bonn · Fünf Jahre nach seiner Flucht ist der Syrer Nidal Rashow in Bonn voll integriert und hat gerade eine Tschechin geheiratet. Er sagt: Deutschkurse und Arbeitsplätze allein reichen für Integration nicht aus.

 Nidal Rashow: "Wer kein Deutsch spricht, wird immer außen bleiben"

Nidal Rashow: "Wer kein Deutsch spricht, wird immer außen bleiben"

Foto: GA

Der Syrer Nidal Rashow kam 2014 als Flüchtling über die Türkei, Algerien und Italien nach Deutschland. In Bonn hat er sich voll integriert, zahlt Steuern und hat es neben der Arbeit schon fast bis zum Bachelor in Sozialer Arbeit geschafft. Wie hat er das gemacht, und was lässt sich aus seinem Fall für die Integration von Geflüchteten lernen? Martin Wein hat nachgefragt.

Herr Rashow, warum wollten Sie nach Deutschland?

Nidal Rashow: Als 2011 der Bürgerkrieg ausbrach, war für mich Auswanderung gar keine Option. Ich habe in Homs in Syrien bis 2012 Englisch fürs Lehramt studiert. Danach hätte ich zum Militär gehen müssen. Ich wollte aber niemanden töten. Ich habe studiert. Ich kämpfe höchstens mit Stiften, um Kindern Lesen und Schreiben beizubringen. Um mir Zeit zu erkaufen, habe ich in Aleppo einen Diplomstudiengang begonnen. Aber 2014 wurde die Lage so schwierig, dass ich weg musste. Von ausländischen Medien wusste ich, dass Deutschland fast das einzige europäische Land war, das Flüchtlinge aufnahm. Auch mein Cousin war schon 25 Jahre in Niedersachsen.

Und wie sind Sie nach Deutschland gekommen?

Rashow: Ich bin über die noch offene Grenze in die Türkei gefahren. Von dort hat uns ein Schlepper mit dem Flugzeug über Algerien und Libyen und über das Mittelmeer nach Italien und Deutschland geschickt. In Frankfurt habe ich mich bei der Polizei gemeldet. Über Gießen und Hemer kam ich am 1. August 2014 nach Bonn und bekam ein Bett in einem Wohncontainer in Dransdorf.

Wie lief das Deutschlernen?

Rashow: Die Grammatik und der Satzbau sind wirklich schwierig! Zum Glück konnte ich Englisch. Man hatte mir in Hemer eine Adresse der Caritas gegeben. Dort bin ich nach einer Woche hingefahren. Ich muss zugeben, ich bin schwarz gefahren. Ich wusste gar nicht, dass man ein Ticket braucht. Es kontrollierte ja keiner oder verkaufte Karten. Weil die Deutschkurse voll waren, hat man mir einen Ehrenamtlichen vermittelt, der mir bis heute in allen Belangen in Deutschland geholfen hat, klarzukommen - mit der Sprache, dem Jobcenter oder dem Ausländeramt.Wir waren im Haus der Geschichte und in anderen Einrichtungen. Schließlich konnte ich auf meine Kosten den Deutschkurs beim Roten Kreuz besuchen. Und weil mir langweilig war, bin ich am Wochenende in den James-Joyce-Pub gegangen und habe dort ein Bier getrunken und einfach Leute angequatscht. Nach vier Monaten habe ich mit dem Englisch aufgehört. Nach einem halben Jahr konnte ich so viel Deutsch, dass ich mich im Alltag gut verständigen konnte.

Nicht alle Flüchtlinge haben sich so aktiv bemüht wie Sie...

Rashow: Bedenken Sie bitte: Praktisch jeder in Syrien hat einen Verwandten verloren. Manche haben Schlimmes auf der Flucht erlebt. Jeder geht anders damit um. Man kann nicht von allen Menschen erwarten, dass sie sich so verhalten wie ich.

Welchen Status haben Sie heute?

Rashow: Ich habe eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Im Februar ist ein Vorsprachetermin für die Einbürgerung. Bei besonderer Integration kann man nach sechs Jahren eingebürgert werden.

Sie möchten also nicht irgendwann zurück in Ihre Heimat?

Rashow: Ich würde den syrischen Pass gerne abgeben. Aber das geht nicht ohne Weiteres. Solange der Diktator Assad noch da ist, kann ich nicht zurück. Ich könnte mir aber vorstellen, in einem der Nachbarländer Libanon, Irak oder Jordanien anderen Flüchtlingen als Sozialarbeiter für eine Hilfsorganisation zu helfen. Immerhin spreche ich jetzt vier Sprachen - Deutsch, Englisch, Arabisch und Kurdisch.

Wie kamen Sie zu einem Job?

Rashow: Im Flüchtlingsheim war mir etwas langweilig. Da sonst keiner Englisch sprach, habe ich für Mitbewohner übersetzt und Kinder zum Fußball oder Theaterspielen vermittelt. Das hat großen Spaß gemacht. Das wollte ich beruflich machen. Die Caritas hat mir 2016 zu einem Praktikum in einem Jugendzentrum geraten. Ich war dann auch im Amt für Soziales und Wohnen. Dann habe ich mich auf eine im Internet ausgeschriebene Stelle bei der Stadt Bonn beworben. Und es hat tatsächlich geklappt.

Und studiert haben Sie auch noch?

Rashow: Ja, zwei Monate später bekam ich einen Studienplatz für Soziale Arbeit in Köln. Jetzt habe ich parallel zur halben Stelle alle Module fertig und schreibe meine Bachelor-Arbeit über Fluchtschicksale.

Sie hatten gute Voraussetzungen, weil Sie Englisch sprachen und aktiv auf Menschen zugehen. Was sind die größten Hemmnisse für eine Integration?

Rashow: Es wird zu viel Wert auf die äußerliche Integration gelegt - auf Deutschkenntnisse, eine Wohnung, einen Job. Aber wir müssen die Menschen auch in ihrem Innersten integrieren. Das kann man nicht einfach einfordern. Man kann nur helfen. Wer sich hier nicht wohl fühlt, der wird hier kein Zuhause finden. Denken Sie an Mohammed Atta. Der sprach Deutsch, studierte auf Master in Hamburg. Trotzdem war er bei Al-Kaida.

Haben Sie das Gefühl, in Bonn willkommen zu sein?

Rashow: Wenn etwas mit Flüchtlingen passiert, breiten die Medien das breit aus. Sie sollten auch positive Beispiele zeigen. Manche Deutsche haben sonst Angst vor Flüchtlingen. Das kann man nicht leugnen. Hier in Bonn ist es deutlich anders. Ich habe mich hier immer freundlich aufgehoben gefühlt.

Und Sie haben sogar die große Liebe gefunden...

Rashow: Ich habe vor vier Jahren eine Freundin aus Tschechien gefunden. Während meines Studiums war ich drei Monate in England. Da habe ich sie sehr vermisst. Als ich nach Bonn zurückkam, habe ich mich mit ihr richtig zu Hause gefühlt. Jetzt haben wir gerade geheiratet.

Nur wenige Flüchtlinge integrieren sich so intensiv wie Sie in die Gesellschaft. Woran liegt das? Bei meinem kurdischen Friseur spricht keiner mehr Deutsch als nötig - auch nicht mit deutschen Kunden.

Rashow: Wenn ich mit meinen Verwandten spreche, reden wir auch Kurdisch. Wir können uns in der Muttersprache am besten ausdrücken. Manchen ist es vielleicht auch peinlich, dass ihr Deutsch noch nicht so gut ist. Einigen fällt es wirklich schwer zu lernen. Die geben beim Niveau B1 auf. Aber das ist natürlich ein Problem. Wer kein Deutsch spricht, wird immer außen bleiben.

Es gibt viele Menschen, die es nicht gut finden, wenn Muslima verschleiert durch die Öffentlichkeit gehen. Was sagen Sie als jemand dazu, der die westliche und die islamische Gesellschaft gut kennt?

Rashow: Wir müssen auch den Muslimen mehr erklären, warum das Deutsche stört. Es wäre aber gut, wenn das nicht Deutsche übernehmen, sondern Menschen wie ich, die das besser vermitteln können.

Sind wir Deutsche zu unduldsam oder sind wir vielleicht auch etwas naiv? Wir haben gedacht, wir lassen die Leute alle kommen und ein Jahr später arbeiten die bei uns, als wäre nichts gewesen.

Rashow: Ihr Deutschen habt uns sehr geholfen. Manche von uns wären sonst jetzt tot. Nun müssen auch wir etwas geben, indem wir hier arbeiten und Steuern zahlen. Ich zahle längst Steuern und bin stolz darauf. Bei vielen meiner Freunde ist es ähnlich.

Was müsste getan werden, um die Lage in Syrien zu verbessern?

Rashow: Liefern Sie keine Waffen mehr in die Region - auch nicht in die Türkei! Als ich gesehen habe, dass die Türkei mit deutschen Panzern in meiner Heimat Afrin eingerückt ist, war ich sehr ärgerlich. Wie soll ich Deutsch lernen, wenn die Deutschen mithelfen, meine Leute zu töten? Den syrischen Diktator kann man nicht so einfach absetzen. Es gäbe dann ein Vakuum wie in Libyen oder in Afghanistan. Alle haben Interessen dort - die USA, Russland, die Türkei, auch wir Kurden. Für Syrien wird eine stabile Lösung sehr schwierig. Damit müssen wir alle leben.

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