Initiative auch in Bonn aktiv Fotograf macht Abschiedsfotos von Sternenkindern

Bonn · Stefan Wiede fotografiert für die Initiative „Dein Sternenkind“ Babys, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben. Der 48-Jährige spricht über seine Erfahrungen, sein ehrenamtliches Engagement und den Umgang mit den Eltern

Wie sind Sie zu „Dein Sternenkind“ gekommen?

Stefan Wiede: Ich fotografiere schon länger, allerdings eher in Richtung Sport und Musik. Außerdem wollte mich schon immer ehrenamtlich engagieren. Also habe ich mich gefragt, wie ich das, was ich kann, sinnvoll einsetzen kann. In einer Fotografengruppe auf Facebook habe ich dann etwas über Dein Sternenkind gelesen.

Seit wann sind Sie dabei?

Wiede: Seit Anfang des Jahres.

Wie war Ihr erster Einsatz?

Wiede: Es war im Malteserkrankenhaus, und es handelte sich um das Kind einer syrischen Flüchtlingsfamilie, das unerwartet tot geboren worden ist. Die Mutter war noch im OP, der Vater wollte nicht dabei sein. Ich habe ihn danach nur kurz gesehen. Deshalb war es vielleicht einfacher, weil man sich nur auf das Fotografieren des Kindes konzentrieren konnte. Meistens sind die Eltern dabei.

Wie ist das Zusammentreffen mit den Eltern?

Wiede: Das empfindet jeder unterschiedlich. Das sieht man auch in unserem internen Forum, wo wir Fotografen uns austauschen.

Wie gehen Sie damit um?

Wiede: Man versucht, einen professionellen Abstand zu halten – vor allem aus Selbstschutz. Man kann sich nicht vollkommen auf die Situation einlassen, sonst geht man kaputt. Aber trotzdem muss man die Empathie haben, um auf die Eltern einzugehen. Sie sind ja in einer Situation, in der sie nicht Herr ihrer Sinne sind. Da muss man etwas anleiten. Manche wollen reden, andere sprechen fast gar nicht.

Gelingt es immer, die Distanz zu halten?

Wiede: Man nimmt immer etwas mit. Es gibt Einsätze, die einem mehr zu schaffen machen als andere. Ich bin unter anderem dazu gekommen, weil unsere mittlere Tochter mit 16 Monaten plötzlich gestorben ist. Wenn man dann Kinder fotografiert, die schon einen oder zwei Monate alt sind, hat man das ein oder andere Déjà-vu. Das finde ich besonders anstrengend und belastend.

Wie verarbeiten Sie das?

Wiede: Ich spreche mit meiner Frau darüber. Sie kann das ja auch nachempfinden. Es gibt auch Gesprächsangebote bei Dein Sternenkind. Unter anderem sind ausgebildete Trauerbegleiter dabei, die psychologisch geschult sind.

Wann ist Ihre Tochter verstorben? Was ist geschehen?

Wiede: Das war 2002. Wir haben nie so ganz erfahren, woran es lag. Sie war kerngesund. Dann hat sie sich ein Virus eingefangen. Sie war schon wieder einigermaßen genesen, da fing sie an zu husten und bekam keine Luft mehr. Der Kinderarzt dachte an Keuchhusten. Wir sind wieder Hause gefahren. Plötzlich brach sie zusammen, und am Abend war sie tot. Wir haben sie nicht obduzieren lassen, weil es am Ende nichts bringt. Sie vermuten, dass es Pneumokokken waren. Man weiß dann so ein bisschen, wie die Eltern sich fühlen.

Haben Sie jemals daran gedacht, bei „Dein Sternenkind“ aufzuhören?

Wiede: Das Gute ist, dass man selbst aussuchen kann, ob man den Auftrag annimmt. Es gibt Tage, an denen man schlecht drauf ist, dann geht es nicht.

Wie reagiert Ihr Umfeld auf das⋌ Engagement?

Wiede: Positiv. Die zweite Reaktion ist aber oft: Das könnte ich nicht. Ich sage dann: Das weißt du nicht. Man kann mehr, als man glaubt. Einige sind auch schockiert: Wie, du fotografierst tote Kinder? Aber wenn man erklärt, was man macht und was es für die Eltern bedeutet, dann finden sie es toll.

Welche Bedeutung haben die Fotos für die Eltern?

Wiede: Es ist oft ihre einzige Erinnerung an das Kind. Manche haben noch ein Stofftier oder einen Stein. Wenn die Kinder älter sind, hat man 1000 Fotos von Geburtstagen oder ähnlichem. Und diese Eltern haben halt gar nichts. Manche machen selbst ein Handyfoto, oder die Hebamme macht eins. Aber das ist etwas anderes.

Können die Eltern auch später noch auf die Bilder zugreifen?

Wiede: Wir haben einen Server, auf dem laden wir die Bilder hoch. Wenn die Eltern feststellen, dass sie die Bilder noch einmal brauchen, dann können sie „Dein Sternenkind“ anschreiben. Dann bekommen sie sie wieder. Wir selbst dürfen die Bilder nicht behalten.

Ist Ihnen ein Fall besonders in Erinnerung geblieben?

Wiede: Mein letzter Fall. Vielleicht, weil es ein älteres Kind war. Es war ein zwei Monate alter Zwilling. Dem Bruder geht es gut, die Schwester war von Anfang an ein Sorgenkind. Dann hat sie sich zusätzlich eine Infektion eingefangen. Die hat das Herz innerhalb von zwei Wochen so geschädigt, dass es schließlich ganz versagt hat. Die Eltern waren total verzweifelt. Das nimmt einen schon mit.

Wie fühlt es sich an, wenn eine Alarmierung eingeht?

Wiede: Man ist erst einmal total nervös, gerade beim ersten Einsatz. Vermutlich, weil man nicht weiß, was auf einen zukommt. Es gibt grundlegende Infos wie das Alter des Kindes. Aber nicht viel mehr. Man fragt sich dann, wie die Eltern sind und ob man es hinbekommt. Emotional, nicht technisch. Eine Routine entwickelt sich aber nicht wirklich.

Wie funktioniert die Alarmierung?

Wiede: Manchmal kontaktieren uns die Eltern, meist aber das Klinikpersonal. Es wird ein Alarm über das Telefon, das Internet oder die App abgesetzt. Dort müssen dann die wichtigsten Dinge eintragen. Die Infos gehen an unsere Koordinatoren. Sie sehen den Alarm, rufen zurück, erfragen Einzelheiten und geben den Einsatz an den örtlich zuständigen Fotografenpool, den sogenannten Alarmkreis. Es gibt zum Beispiel einen für Köln/Bonn, ein anderer geht bis Leverkusen. Wir können den Einsatz akzeptieren oder ablehnen.

Gibt es genug Fotografen?

Wiede: Im Köln-Bonner Raum sind wir schon eine Menge Fotografen. Trotzdem kann es Engpässe geben. Deswegen bin ich schon nach Aachen gefahren, obwohl es mir eigentlich zu weit ist. Aber es war keiner aufzutreiben. Dann macht man es halt. Es gibt Leute, die fahren auch noch weiter. Darum suchen wir immer wieder Fotografen, die mitarbeiten möchten.

Wer kann mitmachen?

Wiede: Wir sind nicht alle Profi-Fotografen. Man kann sich bewerben auf der Webseite von „Dein Sternenkind“. Wird man angenommen, trägt man sich in die Alarmkreise ein. Bei einigen dauert es dann Wochen oder Monate, bis sie den ersten Einsatz haben. Bei anderen ist es am selben Tag. Bei mir waren es zwei, drei Tage.

Wie viele Einsätze hat man durchschnittlich?

Wiede: Das ist ganz unterschiedlich. Ich bin seit diesem Jahr dabei und hatte bisher 17. Aber ich habe keine Vergleichszahlen. Es gibt Kollegen, die sind jede Woche unterwegs, andere haben drei bis vier Einsätze pro Jahr. Es kommt darauf an, in welcher Region man aktiv ist. Hier ist relativ viel los, weil wir die Uniklinik samt Neonatologischer Intensivstation haben.

Wo werden die Fotos gemacht?

Wiede: In der Regel im Krankenhaus, auf der Station oder im Kreißsaal. Ich war noch nie woanders. Es gibt aber Kollegen, die beim Bestatter fotografiert haben. Dann nämlich, wenn die Eltern sich erst später überlegen, dass sie Fotos haben möchten.

Hat die Aufgabe Ihre Sicht auf die Dinge verändert?

Wiede: Ja. Nach einem Einsatz ist man wieder geerdet. Man weiß wieder, wie gut man es hat und wo die wirklichen Probleme liegen. Man war zum Beispiel abends bei einer Familie auf der Intensivstation, die die Geräte abschalten ließ. Und am nächsten Tag bei der Arbeit regt sich jemand fürchterlich auf, weil der Drucker nicht funktioniert. Dann reagiert man anders. Mir hat es noch keiner gesagt, aber ich glaube, ich bin in dieser Hinsicht etwas ungeduldiger geworden.

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