"Fridays for Future" So leben die Demonstranten im Klimacamp in Bonn
Bonn · Im Hofgarten hat die "Fridays for Future"-Bewegung ihr Klimacamp aufgeschlagen. Ihre Aktionen polarisieren, stoßen aber meist auf Zustimmung. Viele Bonner unterstützen die Schüler und Studenten bei ihrem friedlichen Protest.
Die schwarze Farbe ist noch feucht. Vor einer halben Stunde lagen die 20 Kreuze aus Sperrholz noch auf den Tischen im Bonner Hofgarten. Jetzt halten Jugendliche sie in ihren Händen. Die Augen geschlossen, regungslos, auf dem Pflaster der Innenstadt. Nur der feste Griff um die Kreuze zeigt den Passanten, dass sie noch leben. "Der Meeresspiegel steigt", ruft Michael Hindert in das Megafon. Nacheinander zählt der 16-Jährige Städte auf, die versinken würden, falls sich der Klimawandel nicht stoppen lasse. Die Metropolen New York und Rio sind dabei - und Bonn.
"Das ist übertrieben", sagt eine andere 16-Jährige, die an der "Fridays for Future"-Gruppe vorbeigeht. Sie lässt sich auf eine Diskussion ein. Die Umwelt sei ihr wichtig, aber müsse man sich deshalb auf den Boden schmeißen? Es scheint, als würden die beiden Parteien aneinander vorbeireden: Die einen, die sich für das Klima einsetzen. Die anderen, die die ständige Präsenz der Umweltthematik nervt.
So präsent wie in diesen Tagen war sie in Bonn noch nie. Erst demonstrierten am Freitag rund 15 000 Menschen, dann schlug "Fridays for Future" sein Klimacamp im Hofgarten auf. Jede Nacht zelten dort 20 bis 30 junge Leute, bereiten Demos vor, veranstalten Konzerte, laden zu Workshops ein.
(Dieses Video gehört zu einer Kooperation von GA und WDR)
Am Montagmorgen stehen die physikalischen Grundlagen des Klimawandels auf dem Programm. Auf den Bierbänken im Zelt und auf dem Sofa sitzen Cornelia, über 60, aber auch Teenager wie Claas. In 20 Minuten hat der Bonner Wissenschaftler Stefan Poll das "einfache Klimamodell" erklärt. Mehr als ein paar ausgedruckte Grafiken braucht er dafür nicht. Zusammengefasst: Der menschgemachte Ausstoß von CO2 verstärke den Treibhauseffekt. Die Erde erwärme sich seit dem Beginn der Industrialisierung. "Das ist Physik", sagt Poll trocken. "Richtig spannend wird es bei den Kippelementen." Wenn beispielsweise Gletscher schmelzen, wärme sich der Boden durch das fehlende Eis noch stärker auf.
Während die Gruppe Poll zuhört, ist Michael Hindert schon mehrere Stunden auf den Beinen. Die ausrangierte Flecktarnhose und das alte, olivgrüne Bundeswehrhemd trägt er aus Überzeugung - "weil die Sachen eine gute Klimabilanz haben." Hindert ist für Technik und Logistik zuständig. Man könnte sagen, er greift gerne beherzt ein. Als am Wochenende ein Müllcontainer brennt, weil Passanten offenbar eine glimmende Zigarette eingeworfen hatten, hält Hindert mit dem Feuerlöscher drauf. Als Sonntagnacht plötzlich die Rasensprenger auf der Hofgartenwiese angehen, deckt er sie ab - bis man den Haustechniker der Uni erreicht und er sie abschaltet.
Warum er sich der "Fridays for Future"-Bewegung angeschlossen hat, ist schnell erzählt: "In der Debatte geht es mir darum, dass die Politik so stur ist und angeblich nichts gegen den Klimawandel ausrichten kann. Wir sind eine Wirtschaftsnation mit viel Einfluss, den sollten wir nutzen und vorangehen." Er hat sehr erwachsene Ansichten. "Dass man nicht komplett auf den Individualverkehr verzichten kann, ist klar. Ich komme aus Wachtberg, ich weiß wovon ich rede." Aber man sollte möglichst darauf verzichten. "Jeder muss aus seiner Komfortzone rauskommen. Entscheidend ist doch, welchen Preis wir zahlen, wenn wir es nicht tun."
Das imponiert wohl auch seinen Lehrern, die ihn unterstützen. Sie wissen, dass er für das Klimacamp den Unterricht schwänzt. Der Deal: Er besucht die Schulstunden, die wichtig für ihn sind. Mathe und Physik zum Beispiel, denn in den nächsten beiden Wochen stehen Klausuren an. Um unentschuldigte Fehlstunden braucht er sich keine Sorgen machen. "Die werden nicht auf dem Zeugnis eingetragen. Das ist eine Grauzone, die Schulen entscheiden selbst."
Was Hindert am Camp besonders mag, ist die Gemeinschaft. Die Teilnehmer kochen und essen zusammen, diesmal gibt es Asianudeln "mit viel Öl". Wer kann, gibt eine kleine Spende. Denn einige Lebensmittel müssen gekauft werden. Das meiste stammt jedoch von der Organisation Foodsharing und aus Spenden. Die Tische im Verpflegungszelt sind jedenfalls reichlich gedeckt. Es ist so viel, dass die zwischen 20 und 35 Camper, zu denen auch Studenten gehören, es kaum selbst essen können. Deshalb wird auch gerne für Gäste mitgekocht.
Zum Problem werden dagegen die Toiletten. Wer die gewöhnungsbedürftigen Kompost-Klos nicht nutzen möchte, kann in die sanitären Anlagen der Universität. Nach Mitternacht geht es in Schnellrestaurants - oder Hotels, die noch geöffnet haben.
"Wir finanzieren uns mit Spenden", erklärt der Bonner Fridays-Sprecher Luca Samlidis. So stellen Hilfsorganisationen Zelte zur Verfügung, die Uni hat eine Trinkwasserleitung gelegt - für den Fall, dass der Wasserwagen der Stadtwerke Bonn nicht kommen kann. Von der Stadt Bonn gibt es knapp 5000 Euro durch die Richtlinie zur Förderung der Jugendarbeit. "Beim großen Freitagsstreik kamen sogar mehrere Tausend Euro zusammen." Zu den größten Kostenpunkten gehört die gemietete Musikanlage, die jeden Abend für Konzerte oder Poetry Slams genutzt wird.
Viel Unterstützung gibt es von den Bonnern, die den Campern immer wieder etwas vorbeibringen. Mal einen veganen Kuchen, mal Gemüse aus dem Garten. "Das ist eine gute Sache, das muss man unterstützen", erzählt die Frau, die 20 Wärmflaschen spendiert. "Für die kalten Nächte." Vor allem ist es aber Bewunderung, die den Schülern und Studenten entgegenschlägt. "Ich gehöre zur 68er-Generation. Wenn ich mein junges Ich mit den jungen Leuten hier vergleiche, dann sind die viel schlauer als wir damals. Sie eignen sich unglaublich viel Wissen an. Dieses Wissen ist Macht", sagt Karla Götze.
Beschwerden gibt es selten. Als bei der Demo auf der Adenauerallee für mehrere Minuten der Verkehr blockiert wird, tritt ein Mann aufs Gas, während sein Wagen steht - die Antwort auf die Bitte, das Auto auszustellen und zuzuhören. "Ich hab einen Termin und fahre jedes Jahr Tausende Kilometer mit dem Rad. So eine Aktion ist unnötig", sagt der Mann. Im Hofgarten schreitet Samstagnacht die Polizei ein - weil die Musik zu laut ist. Montagnacht stört die Musik niemanden mehr: Bis 2 Uhr dauert die Jamsession. Dann werden die Fridays-Musiker müde.
Die Müdigkeit sieht man den Schülern am nächsten Morgen an. Aber auch den unbedingten Willen, weiterzumachen. Was nach Freitag passiert, wenn das Camp geräumt wird? "Ausschlafen", sagt eine Aktivistin. Aber nicht lange. Denn am Wochenende steht eine Aktion in einer anderen Stadt an. Und die Klimaziele sind auch noch nicht erreicht.