Besuch in einem Bonner Geburtshaus Für Hebammen gibt es keine Feiertage

BONN · Hebammen in Bonn sind über die Festtage und zwischen den Jahren im Einsatz. Dabei wird es immer schwerer, die Arbeit auszuüben. Denn in den vergangenen Jahren sind die Versicherungsprämien enorm gestiegen.

 Mit ihrem Hebammenstethoskop hört Heike Sroka die Herztöne des Babys durch die Bauchdecke. Die werdende Mutter Sabine Mommer soll dabei tief atmen.

Mit ihrem Hebammenstethoskop hört Heike Sroka die Herztöne des Babys durch die Bauchdecke. Die werdende Mutter Sabine Mommer soll dabei tief atmen.

Foto: Barbara Frommann

Bei der schwangeren Sabine Mommer braucht Hebamme Heike Sroka nicht mehr in die Papiere zu schauen: Das erste Kind der 31-Jährigen war genau zum 24. Dezember ausgerechnet. „Ja, wir haben ein Christkind erwartet“, sagt Sabine Mommer bei der ersten Untersuchung nach Weihnachten. „Aber unser Fröschlein lässt sich ja noch Zeit.“

Längst hat sich die Lehrerin mit ihrem Mann auf einen Namen des Söhnchens geeinigt. „Der wird aber noch nicht verraten.“ Die Geburtshelferin nickt. „Ja, lasst das mal ganz Euer Geheimnis sein.“ Die Atmosphäre im Dottendorfer Geburtshaus ist fast familiär.

Kerzen flackern. Mutter-Kind-Plastiken stehen auf den Tischen. Man duzt sich. Die Schwangere hat zu ihrer Hebamme über Monate Vertrauen aufgebaut. „Das macht mich stark“, sagt sie.

Bei einer Geburt entscheide das Kind selbst, wann es sich auf den Weg mache, sagt Sroka. „Das Baby reift erst aus. Wann immer es soweit ist, sind wir beide bereit.“ Die junge Mutter nickt. Mehr als 20 Jahre Erfahrung hat Sroka gesammelt – die ersten Jahre in einer Klinik, inzwischen als Freiberufliche.

„Es ist immer noch mein Traumberuf, auch wenn es uns durch das Versicherungsproblem und viele Vorgaben schwer gemacht wird, dabeizubleiben“, seufzt die 51-Jährige (siehe Infobox „Haftpflicht für Hebammen" am Ende des Artikels). Mommers Schmerzen vor einer Woche „waren richtig schöne Senkwehen“, sagt die Fachfrau. Das Kind liege genau richtig. Man habe jetzt die Ruhe vor dem Sturm.

Mommer streckt sich bequem aufs Bett und lässt sich den kugelrunden Bauch untersuchen. „Ist das Kind nicht inzwischen zu groß?“, fragt sie zweifelnd. „Ach nein, das ist kein Riesenkind. Alles ganz normal für Deine Größe“, beruhigt die Hebamme.

Mit geübten Griffen fühlt sie da ein Beinchen, da ein Ärmchen. Ein aktives Kerlchen sei der Kleine. Mit einem Hebammenstethoskop hört Sroka die Herztöne des Babys durch die Bauchdecke. Sabine Mommer atmet tief. „Alles bestens“, sagt Sroka. Das will sie jetzt auch mit dem Herztonwehenschreiber belegen. Sroka befestigt den Schallknopf am Bauchgurt und schließt sie an einen Monitor an.

Plötzlich tickt das Herz des Kindes laut und regelmäßig durchs Geburtszimmer. Die werdende Mutter lächelt glücklich. Ihr „Fröschlein“ fühlt sich pudelwohl. Sroka lässt sie bei einem Kräutertee erst einmal alleine.

„Alles schöne Erlebnisse.“

Die Hebamme arbeitet elf Tage am Stück, dazu in 24-stündiger Rufbereitschaft, um dann jeweils drei Tage frei zu haben. Auch mitten in der Nacht kann das Telefon klingeln. Die Tage zuvor hatte Sroka eine Hausgeburt eingeleitet und danach einer Kollegin in einem anderen Fall zuassistiert. „Alles schöne Erlebnisse.“

Heute ist sie seit der Frühe im Einsatz. Die Akten, über die sich die Gemeinschaft aus sechs Hebammen zu den Fällen informiert, müssen auf den neusten Stand gebracht werden. Dann steht eine Schwangere in der Tür, für die ein Zuckerbelastungstest fällig ist. Anrufe kommen herein. Sroka bestätigt drei Wochenbettbesuche. Bis zum frühen Abend wird sie noch unterwegs sein.

Sie ist eine grazile Frau mit kräftigem Händedruck, spricht freundlich und überlegt. „Die Schwangere kann ruhig täglich ein Dampfsitzbad nehmen“, bestätigt sie einer Anruferin, über ihr eine Kopie des berühmten Pablo-Picasso-Gemäldes einer stillenden Frau.

Ach nein, drei Tassen Himbeerblättertee seien nicht zu viel, beruhigt Sroka eine andere Frau. „Der lockert das Gewebe auf.“ Sie arbeite naturheilkundlich, aber auf dem neusten Stand der Wissenschaft. „Also nicht nur mit Räucherstäbchen.“

Über dem Bett hängt in großen Lettern der Rat „Atme, meine Liebe.“ Das wird die Hebamme Sabine Mommer bei der Geburt sagen. Sich nicht zu verkrampfen, auch laut zu werden: Das alles sei Gold wert. „Mit Ahs und Ohs kann sich der Muttermund öffnen.“

Mit ihren Kolleginnen betreut Sroka jährlich rund 265 Frauen von der Schwangerschaft bis zum Wochenbett oder zum Ende der Stillzeit. „Die Wahlfreiheit, ob Frauen zu Hause, in der Klinik oder in einem Haus wie unserem entbinden, muss auch in Zukunft gewahrt bleiben“, meint sie kämpferisch.

2015 sind 100 Babys im Geburtshaus zur Welt gekommen, so Geschäftsführerin Elke Dickmann-Löffler. Für die Hälfte der Mütter war es die erste Geburt. 22 Prozent hätten sich zu weiteren Schwangerschaften mit Hebammenbetreuung entschieden. 27 schwierige Fälle habe man vorsorglich ins Krankenhaus verlegt. Nur 6,3 Prozent dieser Babys seien dort durch Kaiserschnitt zur Welt gekommen. Somit hatten 93,7 Prozent der Frauen, die zuerst zu den freien Hebammen kamen, eine vaginale Geburt.

Persönliche Ansprechpartnerinnen

Gerit Sonntag, die Bonner Stadtkoordinatorin des Elternvereins Mother Hood, sagt: „Frauen, die kontinuierlich von Hebammen betreut werden, erleben die Geburten mit weniger Interventionen.“ Hebammen seien die persönliche Ansprechpartnerinnen, die viele Frauen sich wünschten. Durch Kreißsaalschließungen, Personalmangel in Kliniken und Lücken in der Hebammenversorgung stehe aber inzwischen leider diese wichtige Versorgung auf dem Spiel.

Eine 29-jährige angehende Mutter wird ihr erstes Kind wohl Anfang Januar bekommen. Sie wechselt bei den Tests wie die anderen Frauen jeweils von der Hausarztpraxis zur Hebamme. Sroka hat sie zur Akupunktur bestellt. „Das stimuliert die Wehen. Damit können wir die erste Geburtsphase verkürzen“, verspricht die 51-Jährige. Obwohl: Man könne letztlich nie vorhersagen, wie die Entbindung laufe. „Aber solange ich entspannt bleibe, kannst Du das auch sein.“

Bei Sabine Mommer und dem verspäteten „Christkind“ prüft die Hebamme die vom Herztonschreiber aufgezeichneten Kurven. „Alles im grünen Bereich.“ Sie habe mit werdenden Eltern schon so viele schöne Momente erlebt, wird sie in einer Pause erzählen.

Doch vereinzelt gibt es auch tragische Momente: So hatte sich eine Schwangere mit angeblichen Wehen bei Sroka gemeldet. Sie habe dann festgestellt, dass das Herz des Kindes nicht mehr schlug. Sofort ging es zur Klinik. „Wir lassen keine Frau allein. Sie musste ja noch das gestorbene Kind gebären.“

Sabine Mommer soll sich nun melden, sobald wieder Wehen spürbar sind. Sofort. Da ist es dann auch egal, wenn es vielleicht an Silvester ist. Das Kind wird sich melden.

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