Jahresrückblick 2022 Viele werdende Mütter erleben die Entbindung in Bonn als traumatisch

Bonn · Das Hilfstelefon der Bonner Initiative Mother Hood steht kaum mehr still. Fehlendes Personal in den Kliniken und zu wenig Platz in den Kreißsälen ist nach wie vor ein Problem für werdende Mütter. Betroffene berichten von traumatischen Erlebnissen.

 Der Weg zum Kreißsaal in einem Bonner Krankenhaus blieb einer jungen Mutter versperrt, weil das Personal völlig überlastet war.

Der Weg zum Kreißsaal in einem Bonner Krankenhaus blieb einer jungen Mutter versperrt, weil das Personal völlig überlastet war.

Foto: dpa/Annette Riedl

Auf Emmas Ankunft hatte sich Jessica N. lange und intensiv vorbereitet. Doch die Geburt der Tochter geriet zum Fiasko für die junge Mutter. Sie war am Kreißsaal – obwohl angemeldet – abgewiesen worden.

Nach der Hochzeit vor zwei Jahren wollte sie gemeinsam mit ihrem Mann eine Familie gründen. Mit ihrem Arbeitgeber hatte sich die 34-Jährige bereits über die Rückkehr an ihren Arbeitsplatz geeinigt. In Vorbereitungskursen ihrer Hebamme hatte Jessica N. die entsprechenden Atemtechniken erlernt, um mit dem Wehenschmerz umzugehen. „Doch dann kam alles ganz anders“, berichtet die junge Mutter, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Obwohl ich in einem Bonner Krankenhaus angemeldet war, wurde ich am Kreißsaal abgewiesen, weil es keinen Platz mehr für mich gab. Als ich schließlich nach langer Irrfahrt in Köln aufgenommen wurde, erlebte ich ein Geburtstrauma, das ich nie mehr vergessen werde“, klagt die 34-Jährige. Sie habe sich allein gelassen und in ihren Ängsten vom überlasteten Personal dort völlig unverstanden gefühlt.

Werdende Mütter machen schlechte Erfahrung

Eine Erfahrung, die viele Mütter offenbar teilen. „Die Geburt während Corona war sehr schlimm für mich“, berichtete eine andere Frau, die sich wie Jessica N. an das Hilfstelefon des Vereins „Mother Hood“ in Bonn gewandt hat. Einschränkungen aufgrund der Pandemie, fehlende Hebammen in den Kliniken und zu wenig Platz in den Kreißsälen – die medizinische Versorgung und Begleitung von Gebärenden und Wöchnerinnen hat sich in den vergangenen Monaten in Bonn und der Region dramatisch verschlechtert.

„Die Lage in den Kreißsälen ist nach wie vor extrem unübersichtlich und für Familien unzumutbar”, sagt Katharina Desery von Mother Hood. „Mit Blick auf weitere mögliche Pandemie-Wellen lässt das für Familien nichts Gutes hoffen.“

Das bekommen die Mitarbeiter des Vereins, die das „Hilfetelefon nach schwieriger Geburt“ betreuen, längst zu spüren. Vor zwei Jahren startete das in Deutschland einmalige Hilfsangebot mit dem Ziel, Mütter und Vätern nach einer schwierigen und belastenden Geburtserfahrung eine leicht erreichbare Anlaufstelle zu bieten. In der Zeit von Mai 2021 bis April 2022 führten die Fachberaterinnen des Hilfetelefons 203 Gespräche durch. Das sind 55 Anrufe mehr als im ersten Jahr.

Immer mehr bitten Verein um Unterstützung

„Die Anzahl der Anrufe steigt, unser Hilfsangebot wird sehr gut angenommen“, sagt Katharina Desery vom Vorstand des Vereins Mother Hood. „Das zeigt, wie dringend Menschen Unterstützung brauchen, wenn sie die Geburt ihres Kindes belastet.“ Sie hat das Hilfetelefon gemeinsam mit Paula Diederichs von der „International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine“ gegründet. Die meisten Mütter beklagten in den Anrufen, dass sie vom Klinikpersonal über medizinische Eingriffe nicht angemessen aufgeklärt wurden und sich so ausgeliefert fühlten.

„Eine belastende Geburt kann das Leben von Mutter, Kind und der ganzen Familie sehr lange negativ beeinträchtigen“, erklärt Paula Diederichs in diesem Zusammenhang. Familien fehle es nach solch einem prägenden Erlebnis an leicht zugänglicher Unterstützung. Ihre Bedürfnisse seien dabei vielfältig. Therapieformen, wie Traumatherapie oder Psychotherapie, können genauso helfen wie eine Beratung bei einer Schreibabyambulanz oder eine Familienberatung. Die Beraterinnen des Hilfetelefons informieren, welche Therapieformen in Frage kommen können.

„Die Erfahrungen der Mütter zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen schlecht begleiteten Geburten und psychischer Belastung von Familien besteht”, erklärt Katharina Desery. „Daher brauchen wir dringend Verbesserungen in der geburtshilflichen Versorgung.“ Personalmangel in Geburtskliniken und das oft fehlende Verständnis für die psychischen und körperlichen Folgen von unzureichender Geburtsbegleitung beeinflussen das Wohlbefinden der Mutter und letztendlich auch des Kindes negativ, betont sie. Würden Gebärende zum Beispiel nicht kontinuierlich gut betreut und über medizinische Eingriffe nicht ausreichend aufgeklärt, fühlen sie sich ausgeliefert, gestresst oder übergangen. „Diese Gefühle verschwinden nicht einfach mit dem Baby auf dem Arm“, weiß Paula Diederichs aus langjähriger Erfahrung.

Emma hat sich mittlerweile vom Klinikstress erholt und zu Hause eingelebt. Ihre Mutter ist davon jedoch noch weit entfernt. „Ich erlebe immer wieder die Situation aus dem Kreißsaal. Diese Hilfslosigkeit, diese Sorgen, diese Angst“, berichtet sie. „Die Gespräche mit den Fachberatern des Hilfstelefons haben mir sehr gutgetan. Endlich war jemand da, der mich nicht verurteilt oder sagt: Ach, das ist doch gar nicht schlimm, das wird wieder. Ich habe Tipps bekommen und die werde ich auch umsetzen. Danke, dass es solch eine Möglichkeit gibt, dass man einfach offen sprechen kann und sich auch verstanden fühlt.“

Informationen über das Hilfetelefon unter www.hilfetelefon-schwierige-geburt.de. Die Hotline ist zweimal in der Woche mittwochs von 12 bis 14 Uhr und donnerstags von 19 bis 21 Uhr unter der Rufnummer ☎ 0228/9295 9970 erreichbar.

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