Gedenken an den Holocaust Gunter Demnig verlegt 18 Stolpersteine in Bonn
Bonn · Der Künstler Gunter Demnig erinnert mit seiner Aktion an Juden, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Dazu zählt auch die Familie von Jean François Weill.
Als Christoph König von seiner 50 Jahre andauernden Freundschaft mit Jean François Weill erzählt, hebt Weill den Finger und unterbricht. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen korrigiert er: „Nicht 50, sondern 55 Jahre dauert die Freundschaft schon an.“ Begonnen hat sie bei einem deutsch-französischen Schüleraustausch.
Am Donnerstag gestalteten die beiden Freunde an der Berliner Freiheit die Verlegung der Gedenksteine für Weills jüdische Vorfahren mit. Der Künstler Gunter Demnig hat davon mehr als 70 000 in Deutschland und Europa in Straßen und Bürgersteige eingelassen. Weills Vorfahren wurden von den Nationalsozialisten in Konzentrationslagern vergast oder entgingen nur knapp dem Tod. Für Pfarrer König ist klar, dass angesichts des „neuen Antisemitismus in allen Schichten der Gesellschaft“ Widerstand nötig ist. Vor rund 50 Schülern ruft er auf: „Jetzt brauchen wir euch alle.“
Die Nachfahren haben die Geschichten ihrer getöteten Familienmitglieder aufgeschrieben. Beim Leser rufen sie Trauer, Wut und Erschrockenheit hervor. Bereits seit einem Jahr erinnert an der Berliner Freiheit ein Stolperstein an Arthur Weill und die Opfer der Nationalsozialisten. Der Geschäftsmann hat über 30 Jahre in Bonn gelebt und zeitweise ein großes Kaufhaus geleitet. Mit seiner Familie kam er um 1900 nach Deutschland und floh nach der Machtergreifung Hitlers 1933 zurück nach Frankreich. Als die Gestapo ihn, seine Tochter Alice und weitere sechs Männer und eine Frau am 2. März 1944 festnahm, wurde er von seiner Frau Celine und der übrigen Familie getrennt. Nach mehreren Zwischenstationen in Konzentrationslagern und Gefängnissen wurden die Gefangenen in einem Viehwagon nach Auschwitz gebracht. Dort wurde Arthur Weill vergast und verbrannt.
Als Auschwitz im Januar 1945 befreit wurde, verließ Alice Weill das Lager auf einem der Todesmärsche, den sie bei Minusgraden überlebte – ohne Wasser, Essen, warmer Kleidung und Schlaf. Am Ende ihrer Kräfte erreichte sie Berlin, wo die Alliierten im Mai 1945 einmarschierten. So schildert es die Familie. Zu dem Zeitpunkt wog sie nur noch 35 Kilo. Sie wurde zurück in die französische Gemeinde Dausse gebracht, wo sie auch ihren Bruder Ernest Weill und ihren Mann Georges Levy wiedersah, der für die französische Armee gekämpft hatte und 1940 gefangen genommen worden war. Alice überlebte die Strapazen, weil ihr Bruder sie mit Schokolade wieder aufpäppelte, die er aufgespart hatte. Sie starb 1996.
Im Anschluss an die Verlegung der Steine begleiteten zahlreiche Schüler die Familie Weill zur Gedenkstätte nahe der Bonner Universität. Neben dem Carl-Reuther-Berufskolleg aus Hennef schloss sich spontan auch der gemeinsame Geschichts-Leistungskurs der Liebfrauenschule und des Kardinal-Frings-Gymnasiums mit Lehrerin Susanne Sommershof an. „Ich finde es toll, dass die Begegnung mit der Familie noch stattfindet“, sagt die Pädagogin. Die Schüler der 12. Klasse hätten mit 120 Euro den Gedenkstein für Alice Weill finanziert.
Antisemitismus sei auch heute noch ein Problem, sagt Christoph König. Die Stolpersteine seien eine „pädagogische Chance“, die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus zu bewahren. „Es gibt keinen Schlussstrich, die Geschichte geht weiter“, betont er. „Es soll keiner auf die Idee kommen, dass das alles nicht passiert ist.“ Der auflebende Antisemitismus sei „ein Schock“.
Auch in Bonn, so die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Margaret Traub, sei die Entwicklung zu spüren: „Unsere Leute trauen sich nicht mehr, mit Kippa rumzulaufen, es passiert sehr, sehr oft etwas.“ Sie berichtet von verbalen und körperlichen Gewalttaten, nach denen sie den Gemeindemitgliedern empfohlen hatte, keine Kippa mehr zu tragen. „Ich fühle mich schlecht dabei“, sagt sie. Sie betont: Die Anfeindungen kämen nicht hauptsächlich von muslimischen Mitbürgern. Der gesellschaftlichen Verrohung müsse entgegengetreten werden. Und die Geschichten von Arthur, Céline, Alice und Ernest dürfen nicht in Vergessenheit geraten.