GA-Serie: Sicher leben Gefangen in einem Albtraum

Bonn · Ein Albtraum. Anders lässt sich die Situation kaum beschreiben, in der Cordula Berg (Name von der Redaktion geändert) gefangen ist. Ihr Ex-Freund will die Trennung einfach nicht akzeptieren. Und terrorisiert sie fast täglich mit Anrufen, SMS, E-Mails - mal liebevoll, mal beleidigend, mal romantisch, mal pornografisch. Die 50-Jährige ist das Opfer eines sogenannten Stalkers. Eines Mannes, der sie belästigt, bedroht, ihr nachstellt.

 Stalkingopfer leiden häufig unter Angstzuständen. Die Täter setzen sie nicht nur unter Druck und bombardieren sie tagsüber und nachts mit Anrufen, sie lauern ihnen auch zu Hause auf.

Stalkingopfer leiden häufig unter Angstzuständen. Die Täter setzen sie nicht nur unter Druck und bombardieren sie tagsüber und nachts mit Anrufen, sie lauern ihnen auch zu Hause auf.

Foto: dpa-Zentralbild

Dabei hatte alles so harmonisch begonnen. Vor acht Jahren lernten sich die Königswintererin und der Frankfurter kennen. Sie führten eine Fernbeziehung, besuchten sich so oft es ging und verbrachten ihre Urlaube gemeinsam. Doch irgendwann machte sich der Alltag breit, es gab kleine (und größere) Meinungsverschiedenheiten. Cordula Berg merkte, dass sie ihren Lebensgefährten nicht mehr liebte. "Ich wäre gerne bis an mein Lebensende mit ihm zusammengeblieben, aber es hat halt nicht gereicht", erzählt sie. Was vorher nicht erkennbar war, setzte ein, nachdem sie den Schlussstrich gezogen hatte: Hartmut Müller (Name geändert) begann, seine Ex-Freundin zu terrorisieren.

Zunächst kamen bis zu 30 SMS und E-Mails täglich, dann klingelte tagsüber und nachts das Telefon. Und das nicht nur bei ihr, sondern auch bei ihren Eltern, ihrem Bruder und ihrer Nichte. "Er hat allen die Schuld an der Trennung gegeben. Sie hätten mich beeinflusst, mich dazu gebracht, ihn zu verlassen", sagt die 50-Jährige. Auch sie bekam Vorwürfe zu hören, wurde verbal und schriftlich beleidigt. Nur um Minuten später von Liebesbekundungen überschüttet zu werden. "Permanent hat er gefragt, warum ich ihn verlassen habe." Und das, obwohl sie beim Trennungsgespräch die Gründe geliefert hatte. Aber: "Ich glaube, er hat es bis heute nicht wirklich verstanden."

Als die Nachstellung immer massiver wurde, wandte sich Berg an die Polizei und an eine Beratungsstelle. Der Tipp: "Ich sollte ihn ignorieren. Das habe ich von Anfang an gemacht. Das war wohl instinktiv." Gebracht hat es indes nichts. Müller machte immer weiter - bis heute. Er lauerte der Krankenschwester auf, lief neben ihr her, wich nicht mehr von ihrer Seite. "Ich habe dann keine andere Möglichkeit gesehen, als mit ihm zu sprechen", sagt die 50-Jährige. "Das war aber ein Fehler, wie ich hinterher bemerkt habe."

Einmal stieg er gegen ihren Willen in ihr Auto ein, als sie es auf dem Klinikparkplatz aufschloss. Nur weil sie geistesgegenwärtig umdrehte und ihn verdutzt zurückließ, hat er den Wagen wieder verlassen. "Einmal habe ich in der Stadt aus dem Augenwinkel eine Kollegin gesehen. Ich drehe mich um, um sie zu grüßen - und sehe ihn hinter ihr stehen. Er hatte einen beigen Pullover an", erinnert sie sich genau. Denn seitdem zuckt die 50-Jährige zusammen, wenn sie Männer sieht, die einen Pullover in der Farbe tragen. Zum Glück hatte Berg ihr Umfeld über das Stalking informiert, sodass die Kollegin perfekt reagierte: "Sie hat mich gefragt, ob ich mit ihr wie verabredet einkaufen gehen wollte. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen. Aber ich bin erleichtert mitgegangen." Überhaupt stehen Familie und Freunde, Kollegen und Bekannte geschlossen hinter ihr. "Sie haben viel Verständnis und bieten ihre Hilfe an. Niemand ist ablehnend", sagt Berg und lächelt.

Resignation stellt sich ein

Nicht so glimpflich wie in der Stadt ging es aus, als Müller plötzlich vor ihrer Haustür stand und sie in den Flur zurückdrängte. In ihren eigenen vier Wänden hielt er sie fest, ließ sie nicht mehr gehen. Telefonieren konnte sie auch nicht. Telefon und Handy hatte er ihr abgenommen. "Ich habe gemerkt, dass ich nur weiterkomme, wenn ich mit ihm spreche." Die Strategie hatte zum Glück Erfolg: Müller ging.

Doch wie fühlt man sich, wenn man nie weiß, wann der nächste Anruf kommt? Wann der Stalker vor der Tür steht? Wen er als Nächstes einbezieht? "Ich bin fassungslos und wütend", sagt Berg. Und nach einer kurzen Pause: "Richtige Angst habe ich aber nicht." Doch spurlos geht das alles nicht an ihr vorbei. Sieht sie ein Auto mit Frankfurter Kennzeichen, schaut sie genauer hin. "Ich gucke immer hinein, um zu sehen, wer am Steuer sitzt. Manchmal zucke ich auch zusammen."

Wenn nachts das Telefon klingelt, ist sie hellwach. Und kann meist nicht mehr einschlafen. "Das ist kein schönes Gefühl. Aber ich kenne andere, die richtige Nervenbündel sind. Das bin ich nicht." Ihr Verhältnis zu Männern hat sich im täglichen Miteinander nicht verändert. Wird es intensiver, dann schon: "Ich merke, dass ich sehr aufmerksam und vorsichtig bin und die Männer scharf begutachte. Das habe ich vorher nicht gemacht."

Irgendwann war der Leidensdruck zu groß. Die 50-Jährige hat einen Gewaltschutzantrag eingereicht, dem bereits kurze Zeit später stattgegeben wurde. Ihr Ex-Freund darf sich ihr nicht mehr nähern, keinen Kontakt aufnehmen. Eine Tatsache, die Müller nicht verkraften kann. Weiterhin schickt er E-Mails, Briefe und kleine Geschenke. "Das ist ein Straftatbestand, aber ich habe es nicht der Polizei gemeldet. Es war nicht so schlimm, und ich wollte Ruhe in die Sache hineinbringen." Die Rechnung ging nicht auf: Eines Tages fand sie im Aufenthaltsraum der Klinik einen Umschlag. Darin lagen bearbeitete Fotos und ein Kleidungsstück - samt eines beleidigenden Briefes und Bergs Telefonnummer. "Da war für mich wieder frisch der Ofen aus", sagt die Königswintererin, die daraufhin zur Polizei ging. Mit dabei hatte sie sämtliche Dinge, die er nach Erlass des Näherungsverbots geschickt hatte. Das hatte sie zum Glück alles aufgehoben. "Ich habe ihn bewusst nie gesperrt, ich wollte Beweise sammeln." Die liegen jetzt bei der Staatsanwaltschaft. Ein Ergebnis gibt es allerdings noch nicht.

Immerhin: Die Nachstellungen sind seltener geworden. Dass es aber eines Tages ganz aufhört - daran glaubt Cordula Berg nicht mehr.

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