Kulturleben Gegenmittel bei Corona-Blues

Endenich · Zum Rock’n’Roll braucht Laura Cox das Publikum. Die französische Musikerin gab für einem Jahr ein Geisterkonzert in der Harmonie. Sie hofft auf das nächste Crossroads-Festival im Oktober.

  Ein komisches Gefühl: Ohne Zuschauer spielte Laura Cox beim Konzert in der Harmonie, das der WDR aufzeichnete.

 Ein komisches Gefühl: Ohne Zuschauer spielte Laura Cox beim Konzert in der Harmonie, das der WDR aufzeichnete.

Foto: Peter Szymanski

Als Laura Cox und ihre Band im Van nach Bonn saßen, war ihnen nicht klar, dass sie am Abend einen historischen Moment erleben würden. Allerdings einen auf den sie gerne verzichtet hätten. Es war Freitag, der 13. März 2020. Die französischen Musiker waren morgens in Paris losgefahren, um beim Crossroads-Festival in der Harmonie aufzutreten. Unterwegs erfuhren sie, dass ein für den nächsten Tag in Frankreich geplantes Konzert, abgesagt wurde. „Ich habe gedacht: Hoffentlich findet das Crossroads statt“, erinnert sich die Musikerin. „Als wir angekommen sind, haben wir dann erfahren, dass die Show ohne Publikum ist.“ Es war das erste Geisterkonzert in der Geschichte der Sendung Rockpalast.

Sie sei gerade in Portugal, sagt Cox am Telefon. In ihrer Heimat gebe es eine strikte Ausgangssperre, Bar, Restaurants und Kinos seien geschlossen - und blieben es wohl erst mal. „Hier ist zumindest das Wetter besser und ich habe das Meer“, sagt sie. Sie hat ihre Gitarre dabei und schreibt weiter Songs. Shows stehen erst mal keine an, und überhaupt sei unklar, wann es weitergeht - vielleicht ein paar Streams im April.

Auch ihr Konzert in der Harmonie vor einem Jahr übertrug der WDR im Internet und zeichnete es auf. „Es sieht cool aus, was da entstanden ist“, sagt Peter Sommer am Telefon. Der WDR-Redakteur ist die „federführende Kraft“ beim Rockpalast - seine Worte. Statt jubelnder Fans gibt es nach jedem Song den leeren Saal zu sehen. „Die Show war eine Riesen-Herausforderung“, sagt er. Weder er noch seine Mitarbeiter hatten jemals so was erlebt. Er sei aber ein Freund von Pionierarbeit.

Warten auf die gewohnte Normalität

Laura Cox kämpfte mit anderen Empfindungen. „Ich war total gestresst deswegen“, sagt sie. Auch für sie war es die erste Show dieser Art. „Es war ein ganz komisches Gefühl“, sagt Cox. „Aber immer noch besser als gar nicht zu spielen.“ Sie und die Band hätten damals gedacht: „Wir machen das heute Abend einmal und bald ist alles wieder normal.“

Obwohl die Zuschauer draußen bleiben mussten, habe es keinen Frust bei den Bands gegeben, erinnert sich Sommer. „Corona war schon Thema in den Medien“, sagt er. Am Freitagmorgen war dann klar, der WDR will ohne Publikum aufzeichnen. Es war der dritte Tag des viertägigen Festivals. Vier Bands hatten mit Publikum gespielt, die übrigen vier würden vor einem leeren Saal auftreten. Die Enttäuschung bei den Künstlern sei nicht so groß gewesen, erinnert sich Sommer, die Entwicklung sei absehbar gewesen. Er selbst habe drei Wochen vor dem Festival allerdings noch gedacht: „Wenn jede Grippe medial so beleuchtet wird, hätten wir jedes Jahr eine Panik.“ Im Rückblick hätten alle Beteiligten das Festival mit Bravour gemeistert. „Und die Leute finden das Konzert von Laura Cox super“, sagt Sommer. Die Erinnerung schmerze aber auch ein bisschen, weil es der Anfang von so viel Unheil gewesen sei.

„Als ich auf die Bühne gegangen bin, war ich besorgt“, sagt Laura Cox. Nie zuvor sei sie aufgetreten, während alle Zuschauer zu Hause vor den Bildschirmen saßen. „Aber am Ende lief alles super.“ Sie sei froh, dass sie die Show gespielt habe. Viele ihre Lieblingsbands seien beim Rockpalast aufgetreten. Sie hofft, dass sie vielleicht noch mal zurückkommen kann – dann mit Publikum. 

Auseinandersetzung mit den Corona-Bestimmungen

An dem Freitag im März erfuhren die Zuschauer über die sozialen Medien und das Netz, dass sie abends nicht in der Harmonie dabei sein können. „Die Leute mit Karten waren relaxed“, sagt Wolfgang Koll von der Harmonie am Telefon. Niemand stand vor der Tür und machte Ärger, böse Anrufe blieben aus. „Seit 45 Jahren mache ich Konzerte“, sagt Koll. „Ich dachte, ich hätte alles erlebt.“ Aber dieser Tag sei eine ganz neue Erfahrung gewesen: eine Mischung aus Stress und Spannung. „Wir hatten Hunderte Karten verkauft, der WDR war im Haus und wir waren vertraglich verpflichtet, Konzerte zu liefern“, sagt Koll. „Aber es war überhaupt nicht klar, was wir dürfen.“ Was die Corona-Bestimmungen bedeuteten, musste Koll innerhalb von ein paar Stunden mit dem Ordnungsamt klären. „Das lief sehr unbürokratisch“, berichtet er. „Und am Ende hatten wir die Genehmigung für Konzerte ohne Publikum.“

Koll fand es toll, wie professionell sich die vier Band verhielten. „Und wenn du die Aufzeichnungen der Shows siehst, könntest du fast denken, es ist Publikum da.“ Im Netz gibt es nicht nur die Mitschnitte der Auftritte, sondern auch Interviews mit den Künstlern. In einem davon sagt Cox, wenn es wegen Corona finanziell knapp werde, verkaufe sie einfach ihre Gitarren. Ist es so weit gekommen? „Ich habe ein paar Gitarren verkauft“, sagt Cox. „Aber nicht wegen des Geldes, ich habe einfach zu viele.“

Im vergangenen Jahr haben Cox und ihrer Band nur ein paar Auftritte gespielt. „Die Leute mussten sitzen und Maske tragen“, sagt sie. „Da ist von der Energie des Rock’n’Roll nichts zu spüren.“ Für dieses Jahr sehe es derzeit mit Konzerten auch nicht besonders gut aus. Sie hofft, dass es im Sommer vielleicht einige Festivals gibt. In der Zwischenzeit nimmt sie Cover von Rock-Songs auf und lädt sie auf Youtube hoch - so wie sie es am Anfang ihrer Karriere machte. „Es ist eine andere Art, Musik zu machen und zu teilen. Aber es sorgt dafür, dass ich motiviert bleibe“, sagt Cox. Sie macht derzeit nicht nur andere Musik, sondern hört auch andere Songs als sonst. „Softere Sachen wie Neil Young, The Band oder The Eagles“, sagt sie. „Die helfen mir, zu entspannen.“

Musikalisch ruhiger lässt es auch Wolfgang Koll angehen. „Ich habe heute schon mehrmals Exposed to You von Sister Double Happiness gehört“, verrät er. Ein eher langsamer Song, wie vieles, was derzeit bei ihm als Gegenmittel zum Corona Blues läuft. „Anfangs haben weder wir noch die Künstler gedacht, dass diese ganze Sache ein Jahr dauert“, sagt er. „Einige Konzerte haben wir schon fünfmal verschoben.“ Ohne die Live-Auftritte fehle einfach etwas. Musiker und Veranstalter stünden aber jetzt in den Startlöchern. „Und ich glaube, die Konzertbesucher sind ausgehungert“, sagt Koll. „Es wird bestimmt ein sehr geiles Erlebnis, wenn es dann endlich wieder losgeht.“

Das Crossroads findet voraussichtlich vom 3. bis 9. Oktober statt. Nicht wie gewohnt an vier, sondern an sieben Tagen. Auf der Bühne stehen unter anderem: Vola, Trixsi, Massive Wagons, L.A. Salami und The Hangmen.

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