Zehn Tage Zeit für den neuen Schulplan Gemischte Gefühle zu Schulöffnungen in Bonn und der Region

Bonn · In Bonn und der Region sehen Gemeinden und Verbände die weitere Öffnung der Schulen kritisch. Auch die Stadtschulpflegschaft spricht hierbei von einem Wagnis.

 Leeres Klassenzimmer in einer Grundschule: Der tägliche Regelunterricht in den Klassen eins bis vier soll in NRW ab dem 15. Juni wieder beginnen.

Leeres Klassenzimmer in einer Grundschule: Der tägliche Regelunterricht in den Klassen eins bis vier soll in NRW ab dem 15. Juni wieder beginnen.

Foto: dpa/Arne Dedert

Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung, haben Cindy und Bert in grauer Vorzeit gesungen. Das NRW-Schulministerium hat für weitreichende Entscheidungen nun wiederholt einen anderen Erscheinungstag gewählt: den Freitag. Ministerin Yvonne Gebauer (FDP) verkündete am Morgen in einer Mail an die Grundschulen, dass der tägliche Regelunterricht in den Klassen eins bis vier ab Montag, 15. Juni, beginnen soll – zwei Wochen vor Beginn der Sommerferien. Gleiches soll für die offenen Ganztagsschulen in der Nachmittagsbetreuung gelten.

In Bonn und der Region nahm man die Entscheidung mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis. Immerhin: Während die Grundschulen bei den zurückliegenden Ankündigungen die Schulöffnung für Viertklässler und die folgende tageweise Öffnung für die übrigen Klassen binnen weniger Tage zu organisieren hatten, bleiben dieses Mal zehn Tage Zeit. Zehn Tage, „um die Unterrichtspläne umzuarbeiten, die Zeiten für den Schulbeginn und die Pausen zu staffeln“, sagte Ute Sterr, Schulleiterin an der Beueler Adelheidisschule. „Für die Kinder freut es mich unheimlich.“

Die Rektorin lässt allerdings nicht unerwähnt, dass „es mich traurig stimmt, dass die Schulaufsicht der Stadt und die Schulen vom Ministerium nicht in dessen Entscheidungen eingebunden werden“. Die Schulen würden nun alles tun, um den Unterrichtsbeginn „gut auf den Weg“ zu bringen. Klar ist für sie ebenso wie für Claus Trautmann, Schulleiter der Michaelschule in der Bonner Weststadt, dass es zu einer regulären Fortführung von Musikschulangeboten oder AGs nicht wird kommen können. Trautmann: „Die Räume, die uns zur Verfügung stehen, sind von beschränkter Größe. Wir müssen ja weiterhin gewährleisten, dass die Hygienemaßnahmen erfüllt sind.“

Dokumentationspflicht der Anwesenheit

Hinzu kommen die Vorgaben aus dem Schulministerium. Gebauer teilte die Eckpfeiler mit: Es soll in einem festen Klassenverband unterrichtet werden. Also nicht mehr in getrennten Gruppen, wie es die meisten Schulen bislang taten, um die Mindestabstände einhalten zu können. Anfangs- und Pausenzeiten sind an den Schulen für die Klassen gestaffelt. Statt dem Abstandsgebot sollen die Klassen strikt unter sich bleiben. Möglichst nur der Klassenlehrer soll unterrichten. Eine Maskenpflicht werde es nicht geben. Für die Anwesenheit der Schüler gibt es laut Gebauer eine Dokumentationspflicht. Es stünden 83 Prozent der Lehrer für dies Aufgabe zur Verfügung, herausgerechnet sind die Vorerkrankten.

Aus Sicht der Stadt Bonn muss sie als Schulträgerin „keine weitergehenden Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung des Regelunterrichts“ treffen, wie das Presseamt am Freitagnachmittag auch mit Blick auf die Reinigung und Bereitsstellung von Desinfektionsmitteln mitteilte. „Die Organisation für den Ablauf des Regelunterrichts vor dem Hintergrund der geltenden Hygiene- und Infektionsschutzbestimmungen liegt in der Verantwortung der Schulen“, hieß es.

Andreas Beutgen, Vorsitzender der Bonner Stadtschulpflegschaft, betonte zur Ankündigung, „dass es innerhalb der Stadtschulpflegschaft ganz unterschiedliche Meinungen gibt: von katastrophal bis genau richtig“. „Ich frage mich persönlich schon, warum ausgerechnet zwei Wochen vor den Ferien der tägliche Unterricht wieder beginnen soll.“ Ihn störe zudem die Äußerung der Ministerin, die gesagt hatte: „Wenn es um die Bildung unserer Kinder geht, zählt jeder Tag.“ Beutgen findet, dass die wichtigste Aufgabe der Schulen ist, die Bedeutung der Gesellschaft zu vermitteln.

Nun wieder in den Klassenverbänden zu unterrichten, um so eine Durchmischung zu vermeiden, sieht Hinrich Pich, Vorsitzender der Stadtschulpflegschaft in Sankt Augustin sehr kritisch. Es sei schwierig zu vermitteln, dass im Klassenraum die Abstandsregel außer Kraft gesetzt werde, sie sehr wohl aber außerhalb der Klasse einzuhalten sei. „Mit Blick auf die Gesundheit der Kinder, Lehrer und Eltern halte ich das Ganze für extrem gewagt.“

Für die Eltern, die eine Betreuung bräuchten, sei die Entscheidung positiv. „Aber für die Kinder, die zur Risikogruppe gehören, ist das der Horror schlechthin“, so Pich. Es wäre geschickter, den Regelbetrieb nach und nach einzuführen. Die Aufnahme könne dazu führen, dass Schulen, wie in Göttingen geschehen, wieder geschlossen werden müssten. Er bewertet die Entscheidung der Landesregierung als Experiment auf Kosten der Gesundheit aller Beteiligten. „Ich würde mich aber sehr freuen, wenn ich mich irre“, sagte Pich.

Videokonferenz zur Unterstützung

Martin Herkt, Beigeordneter der Stadt Hennef, sieht die Entscheidung „ein Stück weit auch als Probe für einen Regelbetrieb nach den Sommerferien“. Die allgemeine Lage ermögliche das auch. Es sei schwer, die Schulen nicht in den Regelbetrieb zurückzuführen, wenn der bei allen Kitas wieder laufe. „Für uns als Schulträger sehe ich aber keinen größeren Handlungsbedarf, zu dem, was wir bisher geleistet haben“. Es sei aber gut möglich, dass man kleinere Anpassungen bezogen auf die Hygieneintervalle vornehmen müsse.

Die Stadt Hennef bietet den Schulleitungen am Montagvormittag eine Videokonferenz an, um die neue Situation zu besprechen und notwendige Maßnahmen einzuleiten. Auch die Siegburger Schulverwaltung steht bereit, wenn die Grundschulen bei der Umsetzung des Konzeptes Hilfe brauchen. „Die Hauptlast in dieser besonderen Situation liegt bei den Schulen, und die kriegen das bisher gut hin“, sagte Stadtsprecher Jan Gerull.

Der Verband Bildung und Erziehung zeigte sich „fassungslos“ über die neuen Pläne. „Abstandsregeln und die Vermeidung von Infektionsketten sollen keine Rolle mehr spielen“, monierte die Lehrergewerkschaft. Die hart erarbeiteten Konzepte mit einem Mix aus tageweisem Präsenzunterricht und Lernen auf Distanz würden nun umgeworfen. Das stehe angesichts von nur noch zwei Wochen bis zum Beginn der Sommerferien „in keinem Verhältnis zum Nutzen“, sagte der NRW-Vorsitzende Stefan Behlau.

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