Interview zur Corona-Krise Gerd Landsberg: „Steuererhöhung wäre völlig falsches Signal“

Bonn · Gerd Landsberg, Hauptgeschäftführer des Städte- und Gemeindebundes, warnt Bonn und andere Kommunen vor Steuererhöhungen. Im Interview spricht er zudem über die Bonner Finanznot und die Zukunft der Stadt.

 Gerd Landsberg in seinem Bonner Büro: Die Stadtverwaltung, sagt er, hat in der Krise gut gearbeitet.

Gerd Landsberg in seinem Bonner Büro: Die Stadtverwaltung, sagt er, hat in der Krise gut gearbeitet.

Foto: Benjamin Westhoff

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes hat im Blick, wie die Städte und Gemeinden die Corona-Krise bewältigen und was sie in Zukunft erwartet. Mit ihm sprach Lisa Inhoffen.

Wie geht es Ihnen?

GerD Landsberg: Mir geht es gut, obwohl überwiegend im Homeoffice zu arbeiten – ohne ständige Dienst­reisen –, ist für mich eine neue Erfahrung. Wenn wir zum Beispiel ein Gespräch mit der Bundeskanzlerin führen, fand das früher im Kanzleramt statt. Jetzt funktioniert das alles über eine Videokonferenz, spart Zeit, ist sehr konzentriert und auch anstrengend. Die Gespräche am Rande fallen natürlich weg.

Wie haben Kommunen wie die Stadt Bonn die Krise bisher gemeistert?

Landsberg: Gut! Mein Eindruck ist auch, dass das Vertrauen der Menschen in die Kommunalpolitik deutlich gewachsen ist. Das kann ich auch belegen. Es gab gerade eine Umfrage von Forsa, da sagen fast 60 Prozent der Befragten, sie seien mit der Arbeit der Stadtspitzen und der Verwaltung zufrieden. Früher wurde mehr gemeckert: Zu langsam, zu bürokratisch und zu wenig im Sinne der Bürgerinnen und Bürger. Das hat sich deutlich geändert. Das gilt sicherlich auch für Bonn. Es ist eine neue Form des Vertrauens in die Kommunalpolitik entstanden, die ich mir so hätte nicht vorstellen können. Früher waren die Zustimmungswerte für die kommunale Ebene deutlich niedriger.

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Landsberg: Das liegt sicher daran, dass die Kommunen sehr nah dran sind an den Menschen. Die Bürgerinnen und Bürger stellen fest, dass man alles unternimmt, um ihr Leben und auch das der Wirtschaft in schwierigen Zeiten möglichst gefahrlos zu gestalten, um Infektionen und einen weiteren Lockdown zu vermeiden. Natürlich leiden viele Menschen unter den Einschränkungen, sie werden aber weitgehend akzeptiert.

Was machen die deutschen Kommunen anders als Kommunen in anderen Ländern?

Landsberg: Wir haben ein starkes föderales Element in unserem Krisenmanagement. Das ist am Anfang kritisiert worden, nach dem Motto, alles muss zentral vom Bund gesteuert werden. Und da haben wir eine andere Erfahrung gemacht: Die Menschen verstehen sehr wohl, dass in einer Stadt, in der es kaum Infektionen gibt, andere Maßnahmen ergriffen werden als dort, wo es einen größeren Infektionsherd gibt. Der Föderalismus hat sich also auch in der Krise bewährt.

Ist dann der Vorschlag aus Thüringen, die Einschränkungen weitgehend abzuschaffen, richtig?

Landsberg: Wir haben zwar eine starke Regionalisierung, aber es muss ein paar Grundlagen geben, wie etwa das Abstandsgebot, das Maskengebot in Bus und Bahn und in den Geschäften. Denn die Krise ist definitiv nicht vorbei! Das ist ein langer Weg, bis es einen Impfstoff oder eine Therapie gibt. Deshalb sollten die wenigen Mindeststandards bundesweit weiterhin gelten, so habe ich auch die Kanzlerin verstanden.

Wohin geht denn jetzt die Reise für die Kommunen?

Landsberg: Die Bedeutung der Kommunen und der kommunalen Gesundheitsämter wird wachsen. Ich denke, wir werden weiterhin regionale und lokale Infektionsherde bekommen, die zusätzliche einschränkende Maßnahmen erfordern. Das werden wir noch eine Zeitlang durchhalten müssen. Möglicherweise jetzt im Sommer weniger als später im Herbst. Vor wenigen Tagen hat die Koalition einen Rettungsschirm für die Kommunen beschlossen.

Reicht das, damit die Kommunen einigermaßen glimpflich aus dieser Situation herauskommen?

Landsberg: Erst einmal sind wir erleichtert, dass die Koalitionspartner einen so klaren Rettungsschirm für die Kommunen formuliert haben. Mit den wichtigen kommunalen Bausteinen des Programms haben die Kommunen, also auch Bonn, den notwendigen Spielraum, um 2020 und 2021 wesentliche Investitionen auf den Weg zu bringen. Die hälftige Kompensation beim erwarteten Ausfall der Gewerbesteuer (11,8 Milliarden Euro) ist wichtig. Richtig und längst überfällig ist auch die zusätzliche Beteiligung des Bundes an den Sozialkosten. Wenn coronabedingt immer mehr Menschen zusätzliche Sozialleistungen geltend machen, muss der Bund einspringen, denn es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. In der Umsetzung kommt es darauf an, dass die Länder ihre Pflichten erfüllen, dass die Gelder schnell fließen und von den Kommunen möglichst unbürokratisch eingesetzt werden können.

 Was sind die größten Schwierigkeiten, die eine Kommune wie Bonn jetzt überwinden muss?

Landsberg: Das ist sicher die Finanzlage. Da ist Bonn in guter Gemeinschaft mit fast allen anderen. Die Einnahmen brechen dramatisch weg, insbesondere die Gewerbesteuer. Die Ausgaben steigen, nicht nur im Gesundheitswesen oder beim Ordnungsdienst, sondern auch im Sozialbereich, weil viele Menschen in Kurzarbeit oder arbeitslos sind. Die Kosten der Unterkunft, die die Kommunen überwiegend tragen, werden steigen. Das ist eine He­rausforderung, die die Städte und Gemeinden nicht allein schultern können. Die jetzt zugesagten Hilfsmittel werden das Problem abmildern, aber sicher keinen vollständigen Ausgleich darstellen können. Über 2000 Städte und Gemeinden in Deutschland sind extrem verschuldet. Altschulden treffen insbesondere die Kommunen in NRW, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Das gilt auch für die Stadt Bonn mit fast 650 Millionen Euro Kassenkrediten. Mit den jetzt geplanten und vom Koalitionsausschuss verabschiedeten Maßnahmen wird die Altschuldenfrage leider nicht gelöst, aber sie bleibt auf der politischen Agenda.

Bonn soll jetzt eine schwarze Null schreiben. Muss die Stadt das Ziel dennoch weiterverfolgen?

Landsberg: Nach meiner Einschätzung wird die Stadt Bonn das wohl sicher nicht erreichen können. Wie alle anderen Städte auch nicht. Die Steuerschätzungen sagen aktuell einen Steuerausfall für die Kommunen von 15,6 Milliarden Euro für 2020 voraus. Keiner weiß, wie die Steuerschätzung im September ausfällt. Ich bin zwar Optimist, aber ich befürchte, dass die Zahlen noch einmal schlechter sein werden. Nehmen wir Bonn. Da fallen Kongressveranstaltungen aus, damit verbunden sind die Hotelbuchungen et cetera. Dann das Beethovenfest, das nicht stattfinden kann. Die zu erwartenden Verluste, und das gilt für Bund, Länder und Kommunen, werden voraussichtlich nur durch neue Schulden aufgefangen werden können.

Werden die Kommunen an Steuererhöhungen wie bei der Gewerbe- oder Grundsteuer herumkommen?

Landsberg: Steuererhöhung wäre im Moment das völlig falsche Sig­nal. Die Menschen haben Sorge um ihren Arbeitsplatz, viele sind ja in Kurzarbeit. Wir können doch froh sein, wenn das Gewerbe einigermaßen wieder ans Laufen kommt. Nehmen Sie mal die Gaststätten in Bonn, die jetzt wieder eröffnet haben. Aber sie haben deutlich mehr Kosten durch die Corona-Auflagen und dürfen längst nicht mehr alle Plätze, die sie bisher zur Verfügung hatten, besetzen.

Wird es nicht doch Druck für Steuererhöhungen geben?

Landsberg: Der Landesrechnungshof in Rheinland-Pfalz hat durchaus thematisiert, ob Kommunen nicht die Grundsteuer erhöhen und Haushaltssperren erlassen sollten. Aus meiner Sicht wäre das der vollkommen falsche Weg. Es löst nicht die Probleme und würde Bürger und Wirtschaft zusätzlich belasten. Es ist immer falsch, in einen Abschwung hinein zu sparen.

Wie wird es weitergehen?

Landsberg: Es muss jetzt darum gehen, die im Koalitionsausschuss beschlossenen Hilfsmaßnahmen für die Kommunen zügig im Gesetzgebungsverfahren umzusetzen. Denn die Städte und Gemeinden brauchen noch im Sommer die entsprechenden Grundlagen, um ihre Haushalte für 2021 aufzustellen. Hier sind insbesondere die Länder wie zum Beispiel NRW gefordert.

Von nichts kommt ja nichts, irgendwo muss das Geld ja herkommen...

Landsberg: Das ist richtig. Am Ende muss alles bezahlt werden. Ich denke, diese Corona-Krise wird uns finanziell als Gesellschaft, als Staat noch viele Jahre lang belasten.

Was kann eine Stadt wie Bonn denn jetzt noch tun?

Landsberg: Bonn wird wie alle anderen Städte aus dieser Krise viel lernen. Wir werden die Gesundheitsämter personell verstärken müssen, die Ärzte dort müssen besser bezahlt werden. Die Digitalisierung der Verwaltung muss vorangetrieben werden, auch muss die Kommune über ausreichend lebensnotwendige Medikamente und Schutzausstattungen verfügen, oder einen entsprechenden Zugang haben. Ich denke, wir werden eine Renaissance der kommunalen Selbstverwaltung erleben. Die Erwartung der Bürger ist doch, dass die Stadt für sie sorgt. Und das ist doch wie das Beispiel Bonn zeigt, in dieser Krise gut gelungen.

Sollte es eine zweite Welle geben, wäre ein erneuter Lockdown für die Kommunen noch verkraftbar?

Landsberg: Ich denke, einen flächendeckenden Lockdown werden wir nicht mehr bekommen. Da müsste es schon eine dramatische Infektionswelle in ganz Deutschland geben. Es kann natürlich in einzelnen Kreisen, in bestimmten Regionen Situationen geben, wo erneut Kitas und Schulen, Geschäfte und Freizeitangebote geschlossen werden müssen.

Hotspots für Neuinfektionen sind ja vor allem Einrichtungen, wo Menschen besonders dicht beisammen sind. Wie in Flüchtlingsunterkünften oder Pflegeheimen. Was raten Sie?

Landsberg: Wir müssen gerade in diesen Einrichtungen viel mehr testen. Das ist die beste Methode. Dann müssen diese Einrichtungen – auch wenn es vielleicht schwierig ist – so verändert werden, dass die Menschen dort nicht ganz so dicht beieinander wohnen.

Corona hat extreme Auswirkungen auf den ÖPNV. Die Fahrgastfrequenz ist drastisch zurückgegangen. Was müssen die Verkehrsunternehmen tun?

Landsberg: Der Rückgang hat zwei Gründe aus meiner Sicht. Zum einen arbeiten viele Menschen derzeit im Homeoffice. Dann haben natürlich viele Menschen Angst, sich in Bus oder Bahn anzustecken. Aber wir brauchen mehr ÖPNV, schon allein, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Aus meiner Sicht muss vor allem die Taktung erhöht werden, damit weniger Leute in einem Bus oder einer Bahn sitzen. Die Leute müssen sich sicher fühlen. Klar, auch das Fahrrad ist ein wichtiger Baustein für die Verkehrswende. Dazu muss man ehrlich sagen, jetzt bei dem schönen Wetter macht das auch Spaß, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Aber bei Kälte, Schnee und Eis fahren nicht mehr so viele mit dem Fahrrad. Es ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung zum ÖPNV.

Wie bewerten Sie als Bonner die Erreichbarkeit der Innenstadt?

Landsberg: Wir werden uns da­rauf einstellen müssen, dass der Individualverkehr bestimmte Innenstadtbereiche in Zukunft nur eingeschränkt erreichen kann. Das heißt nicht, dass es gar nicht gehen wird, aber es wird schwieriger werden. Die Zahl der Leute, die zum Beispiel mit dem Rad in die Stadt fahren, die nimmt doch täglich zu. Auch in Bonn sollten wir weiter an der Vernetzung von Fahrrad, Bus und Bahn arbeiten. Dazu gehören auch mehr sichere Abstellmöglichkeiten für Räder.

Wie steht es um die Sicherheit in Bonn?

Landsberg: Mir ist in dieser Krisenzeit positiv aufgefallen, wie stark die Präsenz von Polizei und Ordnungskräfte in der Stadt sein kann. Das habe ich vorher nicht für möglich gehalten.

Sollte das beibehalten werden?

Landsberg: Ich glaube, dass es vielen Menschen ein enormes Gefühl an Sicherheit gibt. Dazu gehöre ich auch. Ich beobachte übrigens in Bonn – im Gegensatz zu Berlin, wo ich mich beruflich auch viel aufhalte –, dass sich die Masse der Leute in Bonn unglaublich diszipliniert verhält.

Wie ist aus Ihrer Sicht der Stand der Digitalisierung bei den Kommunen?

Landsberg: Es gehen in vielen Lebensbereichen auf einmal Dinge digital, wie wir sie uns vorher nicht vorgestellt haben. Den Schub für die Digitalisierung durch Corona müssen wir jetzt unbedingt nutzen. Die Ergebnisse kommen schneller, und es ist vor allem für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gut. Es muss der Grundsatz gelten: Nicht die Bürger, sondern die Daten sollen laufen. Ich hoffe sehr, dass Bund und Länder nicht nur zusätzliche Finanzmittel bereitstellen, sondern den Rechtsrahmen so verändern, dass fast alle Behördengänge in Zukunft digital erledigt werden können. Dann wird es die Schlangen vor den Türen des Dienstleistungszentrums nicht mehr geben. Bonn hat sicher wirtschaftlich, digital und als internationaler Standort eine gute Zukunft.

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