In der Schuldenfall, Teil 12 Gesucht: Lobbyisten für gesunde Finanzen

Bonn · Was sind die Grundbedürfnisse eines Bürgers? Sicherheit auf der Straße und auf dem Konto, gute Luft, nächtliche Ruhe und um die Ecke Einkaufsmöglichkeit, Kita, Grundschule und eine Haltestelle von Bus oder Bahn. Vielleicht. Was sind die Grundbedürfnisse von Kommunalpolitikern? Kein Nothaushalt, gutes Stadtimage, zufriedene Bürger, gute Wiederwahl-Aussichten, ausreichend Steuer-Einnahmen für "Gestaltungsmöglichkeiten". Vielleicht.

 Bonn hat viele Aufgaben: Von Straßenbau über Kindersport und Senioren bis Müllabfuhr - und alles kostet. Parteien plakatieren indes, wofür sie sind und wofür nicht.

Bonn hat viele Aufgaben: Von Straßenbau über Kindersport und Senioren bis Müllabfuhr - und alles kostet. Parteien plakatieren indes, wofür sie sind und wofür nicht.

Foto: Voler Lannert

Nothaushalt: Es kann sein, dass er in Bonn kurz bevorsteht; es kann aber auch sein, dass im Zahlenlabyrinth jede Menge Speck verborgen liegt, wie etwa CDU/Grüne vermuten. Ebenfalls denkbar ist, dass die teils turnusgemäße, teils vorzeitige Verlängerung der Intendantenverträge für Theater und Kunstmuseum untrügliche Zeichen dafür sind, dass die Haushaltsrisiken größer sind als veröffentlicht.

Somit hätte Bonn für den Fall, dass die Schuldenlawine die eigene Hoheit über die Finanzen wegspült, "seine Schäfchen", zentrale Bausteine der Kulturstadt Bonn, in Sicherheit gebracht. Würde der Regierungspräsident eines Tages mit dem Rotstift anklopfen, könnte man ihm bei Theater und Kunstmuseum mit den Verträgen zuwinken. Vielleicht.

Kein Vielleicht steht über Bonns bedrohlicher Haushaltssituation. Sicher ist auch, dass es den Bürger nicht gibt, allenfalls als statistische Kunstfigur des rechnerischen Durchschnitts. Aber die existiert nur auf dem Papier. So verschieden jedoch alle Menschen sind und unterschiedliche Angebote der Stadt unterschiedlich intensiv nutzen, reagieren alle mit Unverständnis, wenn man ihnen etwas wegnimmt.

"Generell ist es schwierig, sich von Leistungen zu verabschieden, an die Bürgerinnen und Bürger sich gewöhnt haben", sagt der Bonner Stadtkämmerer Ludger Sander. Bemerkenswert sei, "wie sehr sich jeder Lobbyist hinter seine Sache klemmt. Noch bemerkenswerter ist jedoch, dass wenn alle sich erfolgreich für ihre Sache einsetzen, das im Gesamtergebnis zum Nothaushalt führt. Dann verlieren alle und müssen in ihrem Bereich noch größere Einschnitte hinnehmen."

Doch die Formel "Wenn alle gewinnen, verlieren alle" trägt kein Lobbyist als Handlungsanweisung im Kopf. Jeder kämpft für seine Interessen und Klientel. Bonns Bürgerbefragungen im Internet ("Bonn packt's an") war ein Versuch, dem Volk den Puls zu fühlen - und ein Stück Demokratie, Kritiker sagen "Pseudo-Demokratie". 2011 machten fast 13 000 Bürger mit, ein Jahr später nur rund 1 600 (von 320 000 Einwohnern).

Jeder durfte auch eigene Sparvorschläge machen und sie zur Abstimmung stellen. "Nachts die Ampeln ausstellen" war der Renner, aber ist rechtlich nicht machbar. "Bonn packt's an" wurde nicht zum großen Wurf, was aber auch niemand erwartet hatte. Der Bürgerhaushalt ist ein fernes Ziel. Die Beteiligung bestätigt, "dass Bürger nur ein sehr eingeschränktes Interesse an der Haushaltspolitik im Allgemeinen haben", so Professor Lars Holtkamp vom Institut für Politikwissenschaft der Fernuniversität Hagen. "Sie beteiligen sich lieber an konkreten Projekten."

Die Suche nach dem Gemeinwohl bleibt schwierig. Und wie will man es definieren? Zahlen können als Steigbügelhalter dienen. Welche Subvention aus der Steuerkasse stiftet den größten Nutzen? Wenn Bürger eine mit städtischen Zuschüssen subventionierte Einrichtung häufig oder selten nutzen und dafür viel, wenig oder nichts zahlen ("Abstimmung mit den Füßen"), kann man aus den Zahlen einiges ableiten.

Subvention pro Einwohner, Subvention in Euro pro Nutzung (s. Grafik) - man kann es so versuchen. Jedoch: Mathematisch lässt sich nur eine klarere Sicht gewinnen, jedoch kein Durchblick, denn in einem städtischen Haushaltsplan steht - zum Beispiel - nicht, dass das Beethoven-Orchester mit seinen Opernauftritten sich mit Millionen quersubventioniert. Zudem übersieht der reine Zahlenblick: Eine Gesellschaft muss alle fördern: Ein Kind, das für die Violine geboren scheint, ebenso wie das Rechtsaußen-Talent.

"Ehrlich gesagt", meint Sander, "bräuchte ich auch Lobbyisten für die städtischen Finanzen." Da steht er nicht allein. "Spar-Lobbyisten" bräuchten alle, wo die Motoren für die öffentliche Billionen-Verschuldung rotieren - Bund, Land, Kommunen. Auch spart die Verwaltung durchaus auch an sich selbst: Seit 1993 hat sie, so Sander, durchschnittlich 59 Stellen pro Jahr eingespart, insgesamt 1134. "Andererseits", so Sander, "mussten etwa für Feuerwehr, Rettungsdienst und den U3-Kita-Ausbau 652 neue Stellen geschaffen werden."

Manchmal versucht er, Spielräume zu nutzen und budgetiert statt 2,1 "nur" 2,0 Millionen für die Offenen Ganztagsschulen. Sofort regt sich Widerstand. Sander sagt, man müsse die öffentliche Diskussion angemessen begleiten. "Man könnte dem Bürger ja erklären: “Seht her, andere vergleichbare Städte geben dafür noch nicht mal 2,0 Millionen aus, also ist die Kürzung okay„." Eine Haushaltskonsolidierung, "die kein Bürger spürt, gibt es nicht".

Einstweilen wird die Genehmigungsfähigkeit des Bonner Haushalts 2013/14 nur erreicht, indem Unternehmen (Gewerbesteuer) und Hauseigentümer wie Mieter (Grundsteuer B) ab 2013 mehr zahlen. Zumindest ist das so geplant. Mitte Dezember stimmt der Stadtrat darüber ab.

Weil es mit den großen, harten und mutigen Einsparschnitten wohl nicht klappt, denkt Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) in seiner Halbzeitbilanz über radikale Steuererhöhungen nach: "Möglicherweise werden wir die Bürgerinnen und Bürger 2014 mit der Frage konfrontieren, ob sie in einem einmaligen Kraftakt dazu beitragen wollen, dass wir keine neuen Schulden machen müssen." Der Kraftakt: Verdoppelung der Grundsteuer B. Womit - wieder einmal - bestätigt wird: Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.

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