Jukebox wird 125 Jahre alt Groschenmusik und Treppenterrier

BONN · Heute trägt jeder im Smartphone oder im MP3-Player den persönlichen Soundtrack seines Lebens mit sich. Wer eine Auskunft möchte, fragt die Suchmaschine, zum Beispiel nach einer Adresse. Und die Wettervorhersage übernehmen kleine nützliche Apps.

 Ein Paar tanzt zu der Musik aus einer Musikbox, aufgenommen Anfang der 1960er Jahre.

Ein Paar tanzt zu der Musik aus einer Musikbox, aufgenommen Anfang der 1960er Jahre.

Foto: dpa

Schwarzseher gibt es heute auch nicht mehr, weil die ehemalige Gebühreneinzugszentrale von vornherein jeden Haushalt abkassiert - Durchschlüpfen schwierig. Vor 60 Jahren war das noch anders. Vier Beispiele:

Die Musikbox: Der GA vom 3. Juni 1955 berichtet über den Erfolg der Musikboxen, die musikalische Wünsche für einen Groschen erfüllen. Ein Jahr zuvor wurde die erste in einem Bad Godesberger Hotel aufgestellt, jetzt sind es im Stadtgebiet schon zehn.

Nach Godesberg kamen die Leute anfangs aus allen Stadtteilen. Vor allem ältere Menschen schätzen die Musikboxen, berichtet der GA. Ein Herr drückt den Knopf, der Greifer schwenkt um und legt die Platte auf den surrenden Teller. Der Tonarm senkt sich, und es läuft "Das kleine Liebeskarussell" und hernach "Man müsste noch mal 20 sein". Alle vier Wochen werden die Platten gewechselt. Am häufigsten werden im Juni 1955 "Das alte Försterhaus" und "Ganz Paris träumt von der Liebe" gespielt.

Der Auskunftsdienst: 160.000 Neugierige bemühen den Auskunftsdienst des Fernmeldeamtes Bonn in einem Monat und fragen nach der genauen Zeit, dem Wetter, nach Küchenrezepten, Kino- und Theatervorführungen. Die schokoladebraunen Ansageplatten im ersten Stock des Fernmeldezentrums laufen Tag und Nacht. Die Stimme kommt vom Band und wird liebevoll "Eiserne Jungfrau" genannt. 1936 ging der erste Sonderdienst mit der Zeitansage im alten Gebäude am Münsterplatz auf Sendung.

Den Küchendienst nehmen anno 1955 im Monat 2350 Hausfrauen in Anspruch. Da es noch keine Onlinedatenbank gibt, informiert sich die Hausfrau am Telefon. Wer Kulturinfos haben möchte, muss sich gedulden. Die von Beamtinnen des Fernmeldeamtes besprochenen Platten laufen ununterbrochen in der gleichen Reihenfolge ab: Börsendienst und Totoansage, Sportwetterbericht im Winter, Apotheken und Ärztedienst. Obertelegrapheninspektor Ludwig Schletz sagt zum Boom des Sonderdienstes: "Zeitmangel und zunehmende Bequemlichkeit des Großstädters führen uns die meisten Kunden zu."

Das Adressbuch: 14 Frauen und Männer arbeiten an Bonns neuem Adressbuch für das Jahr 1956. Für die 84. Auflage soll jeder Mann und jede Frau in dem fünf Zentimeter dicken und zwei Kilo schweren Folianten verzeichnet werden. Dazu haben 32 Erhebungsmitarbeiter 30.000 Listen in Bonn, Duisdorf, Lengsdorf, Ippendorf und Beuel von Haus zu Haus getragen, um genaues statistischen Material für 100.000 Namensnennungen zu bekommen. Neues Material muss mit vorliegenden Unterlagen, Straßen-, Namens- und Gewerbeverzeichnissen, Telefonbüchern, Unterlagen des Einwohnermeldeamtes und des Katasteramtes verglichen werden.

"Die Kleinstarbeit ist das A und O für ein gutes Adreßbuch", schreibt der GA. Die Hauslisten bringen Kuriositäten hervor, die von mangelnder Rechtschreibkunde, aber auch vom Ideenreichtum gekennzeichnet sind. Einige nennen sich "Infalide" oder "Postpfacharbeiter", andere "Schlafstelleninhaber", einer sogar "notorischer Faulpelz".

Der Treppenterrier: Über ein seltsames Tier berichtet der GA im Juni 1955. Der Treppenterrier ist ein technisches Gerät, das die Mitarbeiter des Funkstörungsmessdienstes einsetzen, um "Schwarzseher" zu entlarven, die laut GA "vor dem Bildschirm ihres der Post verschwiegenen Fernsehempfängers unbezahlter Schaulust frönen". Der Treppenterrier besteht aus einer Peilantenne, einem Empfänger, einem Batteriekasten und zwei Kopfhörern. Bis auf eine Entfernung von 20 Metern registriert das Gerät zuverlässig die vom Fernsehempfänger ausgehenden Wellen.

Der Postbeamte schleicht mit dem Gerät in die Treppenhäuser und steigt dem Signal nach immer höher, bis er den mutmaßlichen Gebührenhinterzieher entdeckt hat. Die haben bis zum 1. Juli noch eine Gnadenfrist. "Wer danach immer noch glaubt, kostenlos fernsehen zu können, wird die ganze Schärfe des Gesetzes zu spüren bekommen", droht der GA. Mögliche Folgen: Geldstrafen, Gefängnis oder Geräte-Entzug.

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