Bonner Virologe Hendrik Streeck zu Ausgangssperren Räume schaffen, in denen man sich gefahrloser treffen kann

Bonn · Der Bonner Virologe Hendrik Streeck hält Ausgangssperren alleine in der Corona-Krise nicht für zielführend. Im GA-Interview spricht er auch über die Anfeindungen, die er in letzter Zeit erlebt.

 Hendrik Streeck leitet das Institut für Virologie an der Uni Bonn.

Hendrik Streeck leitet das Institut für Virologie an der Uni Bonn.

Foto: Nicolas Ottersbach

In Köln gilt seit dem Wochenende eine nächtliche Ausgangssperre, der Bonner Krisenstab will sie bislang nicht durchsetzen. Und auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck hält sie alleine nicht für ein effektives Werkzeug, um die Infektionszahlen nach unten zu drücken. Im GA-Interview, das am Montag erscheint, teilt er die Meinung von Aerosol-Forschern, dass die Gefahr sich anzustecken, in Innenräumen wesentlich größer sei. Besonders besorgt ist über das Infektionsgeschehen in sozial schwächeren Regionen. „Dort, wo viele Menschen auf beengtem Raum, zum Beispiel in Hochhäusern leben, werden sich die Bewohner bei Ausgangssperren verstärkt innerhalb der Häuser treffen. Wir müssen ihnen Räume schaffen, wo sie sich gefahrloser begegnen können als in den Wohnungen.“

Die Gesellschaft mache zu wenig, um die Situation der sozial schwachen Menschen zu verbessern. „Dabei sind sie nicht nur anfälliger für eine Infektion, sondern auch für einen schweren Verlauf durch häufigere unerkannte und unbehandelte Vorerkrankungen wie Diabetes oder Herzerkrankungen“, sagt Streeck.

Warnungen von Intensivmedizinern ernst nehmen

Mit Blick auf die angespannte Situation in den Krankenhäusern und vor allem den Intensivstationen nimmt er die Warnung der Ärzte ernst. „Ich frage mich allerdings, ob wir nicht ein strukturelles Problem haben, obwohl unser Gesundheitssystem zu den besten weltweit gehört. Das war doch schon im vorigen Jahr das Problem – es geht weniger um die Kapazität der Betten an sich, sondern um das qualifizierte Personal, das an zu vielen Ecken und Enden einfach fehlt.“ Dieser Mangel sei allerdings schon seit Jahren und damit deutlich vor dem Ausbruch der Pandemie bekannt gewesen.

Im Interview äußert er sich auch zu den Vorwürfen seiner Kritiker, mit Prognosen häufig danebengelegen zu haben. „Ich habe kein Problem mit Kritik, und wenn sich Dinge anders entwickelt haben als prognostiziert, dann brauche ich dazu keine Vorwürfe, um dies auch so zu sehen.“ Streeck wurde unter anderem auf Twitter mit dem Hashtag #sterbenmitstreeck angefeindet, weshalb er letztlich sogar Polizeischutz bekam. „Was es aber überhaupt nicht braucht, sind Anspielungen, Vorwürfe und Unterstellungen, die einen bestimmten Zweck verfolgen jenseits dessen, worum es eigentlich geht“, so der Chef-Virologe.

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