Debatte über Sterbehilfe Hospize kritisieren das Urteil des Bundes

Bonn · Das Bundesverfassungsgericht hat Ende Februar ein weitreichendes Urteil zur Sterbehilfe gefällt. Bonner Palliativeinrichtungen und Hospize kritisieren diese Entscheidung.

 Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot organisierter Hilfe beim Suizid aufgehoben.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot organisierter Hilfe beim Suizid aufgehoben.

Foto: epd/Werner Krueper

Das Bundesverfassungsgericht hat Ende Februar ein weitreichendes Urteil zur Sterbehilfe gefällt. Die Karlsruher Richter erklärten den Strafrechtsparagrafen 217, der geschäftsmäßige Sterbehilfe verbietet, für nichtig. Was sagen die Bonner Palliativeinrichtungen und Hospize dazu?

Mit einem ausführlichen Leserbrief hatte sich Anfang März Lukas Radbruch als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) sowie Professor und Direktor an der Klinik für Palliativmedizin am Uniklinikum Bonn (UKB) an den GA gewandt: „Der häufigste Grund für einen Sterbewunsch ist nach meiner Erfahrung, dass man anderen Menschen nicht zur Last fallen will. Natürlich muss ich als Palliativmediziner auch einen solchen Grund akzeptieren, aber was sagt das über unsere Gesellschaft aus, wenn wir einen solchen Grund einfach so akzeptieren, und nicht stattdessen dafür sorgen, dass Menschen in einer solchen Situation sich nicht als Last empfinden müssen?“

Viele Menschen seien sich über die Möglichkeiten im Unklaren

Im Alter oder bei schwerer Erkrankung sei eine Depression nicht leicht zu erkennen. Wie könne man dabei sicherstellen, dass nicht statt einer Behandlung der Depression die Suizidhilfe durch den Sterbehilfeverein gewählt wird, fragt Radbruch und kommt zu dem Fazit, dass viele Menschen gar nicht wüssten, welche Möglichkeiten sie zum Beispiel bei schweren und leidvollen Erkrankungen auch bisher schon mit dem Abbruch oder dem Verzicht von lebenserhaltenden Behandlungsmaßnahmen hatten. „Selbst eine künstliche Beatmung muss nach geltendem Recht beendet werden, wenn der betroffene Patient dies wünscht. Wir brauchen deshalb mehr Informationen über die alternativen Möglichkeiten, keine offene Tür für geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid“, so der Palliativmediziner.

Radbruch erklärt außerdem, dass Sterbehilfe in der letzten Lebensphase für ihn durchaus eine Option ist. Er legt jedoch Wert auf die Feststellung, dass man in seiner Klinik etwas anderes unter dem Begriff Sterbehilfe verstehe. „Wir bieten Hilfe beim Sterben an und nicht Hilfe zum Sterben.“ Er habe für sich klargestellt, dass er keine Suizidhilfe leisten kann, weil dies seinen ethischen und moralischen Überzeugungen als Arzt widerspreche: „Ich bin Arzt geworden, um zu heilen, zu lindern oder zu trösten, aber nicht um den Tod herbeizuführen.“

Wenn ein von seiner Klinik betreuter Patient einen Sterbewunsch äußere, was manchmal die Frage nach Tötung auf Verlangen, manchmal aber auch nur den Wunsch, es möge bald vorbei sein, beinhalte, dann würden oft schon Informationen über die Möglichkeiten der Symptomkontrolle (zum Beispiel bei der Angst vor dem Ersticken) helfen. Radbruch habe jedoch keine Probleme damit, dem Sterben seinen Lauf zu lassen. Es sei sogar ein wesentlicher Teil der Palliativversorgung, dass lebenserhaltende Behandlungsmaßnahmen beendet werden können, wenn Patienten sie nicht länger wollten. Das gelte für die künstliche Beatmung genauso, wie wie bei dem freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken. Doch er erlebe es immer wieder, dass schwerstkranke Menschen, mit denen solche Optionen besprochen würden, sich dann doch gegen einen Behandlungsabbruch entscheiden.

Aufklärung stehe im Vordergrund

Auch Achim Spreer, der stellvertretende Vorsitzende des Beueler Hospizvereins, sieht Information und Aufklärung Schwerstkranker an vorderster Stelle. Für ihn macht es sich der Staat zu einfach, indem er die aktive Sterbehilfe freigibt. Statt nach den Motiven zu fragen, die jemand zu dieser Maßnahme greifen lasse, sollte eine intensivere Aufklärung über die Möglichkeiten der Palliativmedizin sowie der Integration in eine Gemeinschaft stattfinden. Ausreichende finanzielle Versorgung im Alter, eine fördernde Familienpolitik sowie eine sozialverträgliche Arbeitswelt seien dazu dringend erforderlich. „Ich bin davon überzeugt, dass die Anzahl der Suizidwünsche dann deutlich zurückginge und Lebensqualität und -freude bis zum Schluss erhalten bleiben könnten“, sagt Spreer auch als Vorstandsmitglied der Alzheimer-Gesellschaft Bonn-Rhein-Sieg.

Für Hospizvereine macht er deutlich, dass sie keine Sterbehilfevereine sind, sondern Begleiter. Ihnen obliege auch nicht die Verabreichung von Medikamenten, schon gar nicht in tödlichen Dosen. Sie klärten über Abläufe in den letzten Tagen und Stunden des Lebens auf und minderten dadurch die Ängste von Sterbenden und ihrer Angehörigen. Man sperre sich nicht gegen die Gabe von Opiaten oder anderen Medikamenten, die zur Leidensminderung dienten, auch wenn sie in Einzelfällen das Leben verkürzen könnten.

„Wir respektieren die Wünsche der Menschen am Lebensende, auch wenn sie vielleicht nicht immer mit der eigenen Einstellung konform gehen“, so der Internist Spreer. Für ihn wäre es eine Bankrotterklärung unserer Gesellschaft, wenn die Aufhebung des Gesetzes zu einer Kommerzialisierung der Sterbehilfe in einer Gesellschaft führte, die für sich in Anspruch nehme, eine humane zu sein.

Kinder akzeptieren eigene Einschränkungen eher

Für Brigitte Hunke, die Koordinatorin des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes Bonn, habe sich durch die neue Gesetzeslage nicht viel verändert: „Es gab in der Palliativmedizin immer schon große Spielräume, was die Opiadgaben angeht“, sagt sie. Wie viel ein Mensch davon zu Hause zu sich nehme, sei ja nicht zu kontrollieren. Bei Kindern sei das Sterben eher ein Prozess, den die Eltern durchleben müssten. Kinder akzeptierten viel eher ihre Erkrankung und gingen ihren Weg. Kinder mit schweren Stoffwechselstörungen, Muskeldystrophien oder Gendefekten wüchsen in ihre Erkrankung hinein und seien oft schon in frühen Jahren mit dem Verlust ihrer Fähigkeiten konfrontiert. Die Kinder mit Muskeldystrophien stellten sukzessive fest, wie sie zunehmend schlechter oder gar nicht mehr laufen oder ihre Hände nicht mehr bewegen könnten.

Für sie gehöre der Prozess des Verabschiedens von Fähigkeiten schon wie selbstverständlich zum Leben. „Sie lernen dann, neue Dinge für sich zu entdecken. Kinder stellen das nicht so sehr infrage, wie das Erwachsene tun: Wehe man geht an unsere heilige Autonomie, dann sind wir erschrocken und wünschen uns, dass wir das nicht erdulden müssen“, so Huke. Kinder hingegen akzeptierten ihre Einschränkungen schneller und besser. Vor allem entdeckten sie schneller Möglichkeiten zu anderer Freude. „Wenn sie vielleicht nicht mehr laufen können, dann entdecken sie dabei, wie schön es ist, einfach mal Farben, Sonne, Licht und Blumen zu sehen“, ist Hukes Erfahrung. Von daher gebe es bei Kindern weniger ein Thema des selbstbestimmten Sterbens, sondern eher eines nach mehr Lebensqualität. „Uns ist wichtig, dass Erwachsene sensibel dafür werden, dass diese Kinder auch eine Lebensqualität haben.“ Es gehöre mit zu ihrer Aufgabe, dass die Menschen nicht dächten, was ist denn das für ein Leben, sondern erkennen würden, dass das Leben der Kinder anders ist, aber trotzdem eine Lebensqualität hat.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort