Forschungsprojekt "Touchdown 21" "Ich bin doch ein Teil dieser Gesellschaft"

BONN · In Bonn ist das bundesweit erste von Menschen mit und ohne Down-Syndrom gemeinsam betriebene Forschungsprojekt an den Start gegangen. "Wir sammeln alle verfügbaren Informationen zu Trisomie 21 und präsentieren die Ergebnisse auf dem Portal Touchdown 21 im Netz", erläutert die promovierte Human-Genetikerin Katja de Bragança, die seit 1998 mit Betroffenen das Magazin "Ohrenkuss" herausgibt.

Im Redaktionsgespräch: (von links) Anne Leichtfuß, Julia Bertmann und Katja de Bragança.

Im Redaktionsgespräch: (von links) Anne Leichtfuß, Julia Bertmann und Katja de Bragança.

Foto: Roland Kohls

"Wir fragen also: Wie haben Menschen mit Down-Syndrom früher gelebt? Wie leben wir heute auf der ganzen Welt?", ergänzt Projektbeiratsmitglied Julia Bertmann. Sie ist seit 2001 selbst Fachfrau und Autorin im "Ohrenkuss", reist dafür mit ihren Eltern sogar aus dem Ruhrgebiet an. Sie mache mit, weil sie auch selbst ihr Anderssein erforschen wolle, sagt sie, und weil das Projekt endlich mal auf Menschen wie sie blicke.

"Meine Rolle ist, dass ich gucke, wie ihr arbeitet, und ich versuche mich hineinzuversetzen, und dann gebe ich die Beurteilung ab." Was sofort freudiges Lachen am Redaktionstisch verursacht. Julia Bartmann beobachtet erst einmal mit verschränkten Armen, wie sich Gespräche entwickeln, um dann selbst beherzt einzugreifen. Die Körperhaltung ist jetzt locker. Fröhlich schallt ihr Lachen über den Tisch. "Wir Menschen mit Down Syndrom schreiben anders als ihr. Wir schreiben, so wie wir reden", wirft Bertmann in die Diskussion ein.

Am Projekt beteiligt ist auch Heinz Schott, Professor für Geschichte der Medizin an der Universität Bonn, und als Fachfrau für "leichte Sprache" Anne Leichtfuß. "Wir wollen alles erklären, was es zum Down Syndrom überhaupt zu wissen gibt. Und wir erklären es so, dass jeder es versteht, also der Mensch mit Down Syndrom genauso wie der Wissenschaftler oder die Großmutter eines betroffenen Kindes", erläutert Leichtfuß.

Schwangerschaftsabbruch ist ein heißes Thema

Die Homepage arbeitet deshalb übersichtlich mit vielen Bildern und mit kleinen, aber glasklar formulierten Textpaketen, damit sich jeder auf die Inhalte einlassen kann. Julia Bertmann nickt. Sie ist mit den Formulierungen zum Thema Schwangerschaftsabbruch einverstanden. Ein heißes Thema hier am Redaktionstisch. De Bragança erklärt, dass es Eltern gebe, die sich nach der Schwangerschaftsdiagnose Trisomie 21 entschlössen, ihr Kind abzutreiben.

Auch das müsse auf der Projekthomepage vorkommen. "Was meinst du dazu, Julia?" Bertmann schaut kurz nieder und sagt dann: "Vielleicht kennen diese Eltern sich nicht aus, dass ich leben kann wie ihr." Die müssten sich mal auf der Homepage informieren. De Bragança und Leichtfuß nicken. "Mein Leben ist anders als eures. Ich sehe die Welt aus den Augen meiner Behinderung", erläutert Julia Bertmann.

Sie ist, das spürt man, in einer liebenden Familie aufgewachsen. Eltern und Schwester nähmen sie so, wie sie sei, hätten zudem dafür gekämpft, dass sie in einen integrativen Kindergarten und in eine Regelgrundschule gehen konnte. "Da war ich das erste Exemplar meiner Art." Julia Bertmann lacht schallend. "Ich bin doch ein Teil dieser Gesellschaft", kommt dann messerscharf. Leider habe sie das Schulamt später in eine Förderschule "abgeschoben". "Das fand ich blöd. Ich wollte doch weiter mit meinen Freunden zusammen sein."

"Ich bin ein Mensch, der alles schafft"

Julia Bertmann fand sich aber bald als Schülersprecherin wieder. "Die Anderen haben gesagt: Julia, sag du mal den Lehrern, was nicht stimmt. Und das klappte." Sie grinst. "Ich bin ein Mensch, der alles schafft", kommt dann mit dem Brustton der Überzeugung. Sie schicke E-Mails, SMS, genauso wie andere. Ihr mache es nichts aus, wenn Leute sie anfangs anstarrten. Sie stelle sich auch gerne Fragen. "Aber Ablehnung, das ist schwer auszuhalten." Das Leben als Erwachsene mit Down Syndrom sei nicht mehr so einfach wie das im Kindergarten. Julia Bertmann wird nachdenklich. An ihrer jetzigen Arbeitsstelle halte sie den Druck schwer aus, etwa wenn andere sie herumkommandierten, wenn sie keine Pausen einlegen dürfe. "Deshalb muss da ich mit den Kollegen reden."

De Bragança und Leichtfuß machen die Frau stark. Eine Aussprache würde ihr sicher helfen. "Hier bei euch fühle ich mich erleichtert, ihr hört mir zu, ihr habt Zeit", sagt Bertmann dann. Und dann steigen sie im Projektteam wieder ein in die Diskussion, wie sie ihre Homepage weiter ausbauen wollen.

Das Projekt

Touchdown 21 heißt das bisher einzigartige Forschungsprojekt über Trisomie 21 von Menschen mit und ohne Down Syndrom. Kern ist das Internetportal www.touchdown21.info, auf dem wissenschaftliche Hintergründe und Fakten, aber auch Erfahrungsberichte und Hintergründe präsentiert werden. Partner sind das Institut für Humangenetik der Universität Bonn, das Deutsche Down-Syndrom-InfoCenter sowie die Bonner Downtown-Werkstatt, Leichte Sprache simultan und die Bundeskunsthalle.

Das Team finanziert sich bislang selbst. Spenden für die weitere Arbeit sind willkommen. Am Mittwoch, 28. Oktober 2016, startet in der Bundeskunsthalle eine Ausstellung.

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