Kölner Verwaltungsgericht und Flüchtlinge In Saal 160 entscheidet sich Srdar Hamos Schicksal

Köln · Die Kölner Verwaltungsrichter müssen und wollen trotz massiv steigender Zahlen von Klagen jedem Asylbewerber gerecht werden. Dabei ist es für die Gerichte oft nicht leicht herauszufinden, ob ein Flüchtling zu Recht gegen seine Abschiebung klagt.

Dieser Tag steht am Kölner Verwaltungsgericht ganz im Zeichen syrischer Flüchtlingsschicksale. Am Vormittag wird Saal 160 für fünf Syrer zum Fixpunkt all ihrer Hoffnungen. Richterin Annegret Titze soll in den nächsten Stunden über ihre Klagen entscheiden, die sie gegen die Ablehnung des Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) eingereicht haben.

So wie über die des Kurden Srdar Hamo. Der 28-Jährige, der inzwischen in einem Flüchtlingsheim in Königswinter-Oberpleis lebt, hat Siglinde Schmeichel und ihren Mann aus Sankt Augustin mitgebracht, weil sie eine Art Patenschaft übernommen haben. Auch zwei andere Landsleute von Hamo werden in Saal 160 wortreich und mit Hilfe des vereidigten Dolmetschers Karim Abdulla versuchen, Richterin Titze davon zu überzeugen, ihnen ein Bleiberecht zu gewähren.

Zwar wird syrischen Flüchtlingen im Hinblick auf den dortigen Bürgerkrieg regelmäßig der Flüchtlingsstatus gewährt; allerdings ist die Rechtslage bei diesen Klägern diffiziler. So sind Srdar Hamo und sein Bruder mit seiner Familie über Bulgarien in die EU eingereist und haben dort bereits Asyl erhalten.

Gemäß der Dublin-III-Verordnung können sie kein zweites Mal Asyl in Deutschland beantragen und sollen daher nach Bulgarien abgeschoben werden – was Hamo und andere Kläger wegen der dortigen Zustände verhindern wollen. Noch komplizierter liegt der Fall einer Kurdin, die zu der vom IS drangsalierten Minderheit der Jesiden gehört. Sie war mit ihren beiden minderjährigen Kindern aus Syrien geflohen, ohne Papiere, wie so viele Flüchtlinge. Da man bei der Anhörung durch das Bamf aber Zweifel an ihrer Herkunft hegte, wurde ihr Asylantrag abgelehnt. Gegen den Bescheid klagt die Frau.

Das Thema Flucht unterm Brennglas

Im Saal 160 des Kölner Verwaltungsgerichtes am Appellhofplatz lässt sich an diesem und vielen anderen Wochentagen wie unter einem Brennglas erleben, was Menschen auf ihrer Flucht durchmachen mussten. Welch große Hoffnungen sie auf ein neues Leben in Deutschland setzen. Auch das mühsame Ringen und die großen Anstrengungen der deutschen Justiz werden deutlich, jedem einzelnen Asylbewerber gerecht zu werden; die Fluchtursachen in ihrer Gesamtheit zu erfassen, um letztlich im Sinne des Grundrechts auf Asyl zu klären: War der Kläger in der Tat politisch verfolgt oder hat ihn etwa der Wunsch auf ein besseres Leben veranlasst, seiner Heimat den Rücken zu kehren?

Dass an diesem Tag allein Klagen von Syrern verhandelt werden, ist kein Zufall. Die 83 Richter haben sich am Kölner Verwaltungsgericht nach Ländern spezialisiert, aus denen die Asylsuchenden kommen. Dabei stützen sich die Richter zum Beispiel auf Erkenntnisse von Amnesty International, des Auswärtigen Amtes und wissenschaftlicher Institute, erklärt Gerichtssprecherin Rita Zimmermann-Rohde. Es ist für die Richter wichtig, die Situation in den Herkunftsländern zu kennen.

Denn, so Zimmermann-Rohde: „Menschen haben in der Regel keine Nachweise ihrer Verfolgung, sondern nur ihre Geschichte. Wir müssen uns daher ein Bild machen, ob diese Geschichte mit den Gegebenheiten in dem Land übereinstimmt.“ Um die schwierige Wahrheitsfindung mit Hilfe des Dolmetschers Abdulla, der selbst irakischer Kurde ist und vor 30 Jahren als Student nach Deutschland kam, geht es auch diesmal. Richterin Titze wird jeden Fall in seiner Gesamtheit bewerten, die Verfolgungsgeschichte ebenso wie die Anhörungsprotokolle des Bamf. „Die sind eine ganz wichtige Grundlage für unsere Arbeit“, erklärt Zimmermann-Rohde.

Tatsächlich die Ehefrau?

Ungeachtet aller Sachverständigengutachten und eigener Recherchen der Richter zeigt der Fall der jesidischen Kurdin, wie schwierig es werden kann, alle individuellen Umstände zu klären. Das fängt damit an, dass die Klägerin nicht erscheinen kann: Die Frau ist erneut schwanger und musste wegen eines Notfalls ins Krankenhaus. Laut Richterin Titze gibt es zudem einen neuen Sachstand: Der Mann der Jesidin, der seiner Frau nach Deutschland gefolgt war, ist zwischenzeitlich als Flüchtling anerkannt.

So könnte seine Ehefrau nun über ihre Kinder in den Genuss des „Familienasyls“ kommen, so die Gerichtssprecherin. Wie aber lässt sich belegen, dass die Jesidin tatsächlich die Ehefrau ist? Galt die Ehe nach jesidischem Glauben als vollzogen? Auskunft sollten zwei jesidische Kulturvereine geben, doch die taten sich laut Anwalt der Klägerin schwer mit einer Bescheinigung. Schließlich legt der Anwalt das Protokoll der Anhörung des Mannes durch das Bamf vor.

Richterin Titze unterbricht die Sitzung für das Aktenstudium und ein Telefonat mit dem Bamf. Anschließend erklärt sie: „Nach Auffassung des Gerichts bestehen keine Zweifel, dass die Klägerin in Syrien in familiärer Gemeinschaft mit dem Mann gelebt hat und er auch Vater der Kinder ist.“ Darum habe das Bamf die Flüchtlingseigenschaft der Klägerin zuerkannt. Die Frau darf bleiben.

Klarer ist die Rechtslage in jenen Fällen, die auch Srdar Hamo vor die „Syrienkammer“ geführt haben: „Da bereits eine Flüchtlingseigenschaft in Bulgarien bejaht wurde, kann das in Deutschland nicht nochmals erfolgen“, so Richterin Titze. Aber sie müsse prüfen, ob Abschiebehindernisse vorliegen, und das sei nach aktueller Rechtsprechung der Kammer zu bejahen: „Es bestehen Abschiebeverbote wegen der Aufnahmebedingungen in Bulgarien.“

Die ließ sich die Richterin von Hamo nochmals schildern. Er berichtet, dass die Flüchtlinge dort nach kurzer Zeit gezwungen worden seien, „sich ohne Unterstützung selbst eine Unterkunft zu suchen. Ich wollte etwas ändern und arbeiten, aber dort zu leben ist unmöglich“, so der Syrer. Nach kurzem Austausch mit der Anwältin steht fest: Hamo beschränkt seine Klage auf die Feststellung von Abschiebungsverboten. Insoweit hat seine Klage Erfolg. So verfährt die Richterin auch mit zwei anderen Syrern.

Einfühlsamer Umgang

Es gibt viele Fälle, die bewegen, und die man nicht vergisst, bestätigt Dolmetscher Abdulla in einer Verhandlungspause. Er kennt sich aus, dolmetscht seit 20 Jahren an den Verwaltungsgerichten Aachen, Düsseldorf und Köln, wobei er den einfühlsamen Umgang in Köln lobt.

Aber es gibt auch die Fälle, die bei Beobachtern schnell Zweifel an einem Asylgrund aufkommen lassen. So verhielt es sich bei der Klage von Billal A., einem Pakistani, Jahrgang 1959. Seine Heimat hatte er 2003 verlassen und 2011 Asyl in Deutschland beantragt. „Wo waren Sie seit 2003?“, wollte der Richter wissen. „In Holland und Belgien“, übersetzte die Dolmetscherin. „Warum haben Sie nicht in diesen Ländern Asyl beantragt?“, so der Richter. Darauf der Kläger: „Eigentlich wollte ich zu Freunden und Verwandten nach England.“ Warum er nicht nach Pakistan zurück könne? Das habe damit zu tun, dass er in seiner Moschee immer eine eigenständige Meinung vertreten habe. Daher habe er „Angst vor den Taliban“. Zudem fürchte er, dass seine Zuckerkrankheit in Pakistan nicht fachgerecht behandelt werde. Letztendlich wurde die Klage abgewiesen.

Die Frage, wie lange sich diese sorgfältige Verfahrensweise angesichts markant steigender Fallzahlen beibehalten lasse, „ist berechtigt“, sagt Zimmermann-Rohde: „Unser Anspruch ist es, diesen Standard aufrechtzuerhalten.“ Schließlich gehe es „für viele Menschen um ihre Existenz. Und wir betreiben ja auch einen Aufwand, um zu klären, in welcher Höhe ein Bürger Straßenreinigungsgebühren schuldet.“

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