Interview mit der Verteidigungsministerin "IS köpft, aber verhandelt nicht"

Ich habe nicht geahnt, in welcher Geschwindigkeit die großen Themen auf mich zukommen würden." Ursula von der Leyen nutzte gestern einen Kurzaufenthalt in Bonn zum Besuch des General-Anzeigers.

 Redaktionsbesuch: Die Verteidigungsministerin war für ein Interview zu Gast beim Bonner General-Anzeiger.

Redaktionsbesuch: Die Verteidigungsministerin war für ein Interview zu Gast beim Bonner General-Anzeiger.

Foto: Barbara Frommann

Mit der Bundesverteidigungsministerin sprachen Jasmin Fischer, Ulrich Lüke und Helge Matthiesen.

Frau von der Leyen, Ausrüstungskrise, Attraktivitätskrise, Ukrainekrise, Nah- und Mittelostkrise - welche ist die wichtigste?
Von der Leyen: Weil sie eng miteinander zusammenhängen, blieb uns gar nichts anderes übrig, als die Themen parallel anzugehen. Die Sicherheitslage in der Welt ist zutiefst beunruhigend. Dafür brauchen wir eine gut aufgestellte und ausgerüstete Bundeswehr, die ihre Verpflichtung im Bündnis wahrnimmt.

Ist die Bundeswehr da nicht überfordert?
Von der Leyen: Wir sind international hoch angesehen in unseren Einsätzen im Ausland. Aber wir müssen noch deutlich besser werden im Grundbetrieb. Es gibt erheblichen Modernisierungsbedarf. Durch die Häufigkeit der Krisen im vergangenen Jahr sind wir an die Grenze der Belastbarkeit geraten. Wir müssen in die Bundeswehr in all ihren Komponenten investieren.

Heute entscheidet sich in Minsk, wie es in und mit der Ukraine und mit Putin weitergeht. Darf man seit vergangenem Wochenende optimistisch sein?
Von der Leyen: Die Bundeskanzlerin handelt richtig, indem sie sagt, es müssen alle Mittel der Diplomatie ausgeschöpft werden. Das heißt, dass wir einerseits den politischen und wirtschaftlichen Druck auf den Kreml hochhalten müssen, damit er sich einer diplomatischen Lösung nicht weiter verweigert. Deshalb ist es folgerichtig, dass die EU beschlossen hat, die Sanktionen zu verschärfen, wenn in dieser Woche seitens des Kremls kein Schritt in die richtige Richtung gegangen wird.

Welche Garantien gibt es, dass neue Abmachungen haltbarer sein werden als die von Minsk im vergangenen September?
Von der Leyen: Garantien kann keiner geben. Es stimmt, dass den Zusicherungen Russlands bisher keine Taten gefolgt sind. Der Kreml schneidet sich aber damit auch ins eigene Fleisch. Denn der Vertrauensverlust Russlands nicht nur in der Politik sondern auch bei potenziellen Investoren ist dramatisch. Es liegt im eigenen Interesse Russlands, Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit zu zeigen, um die Kapitalflucht aus seiner Wirtschaft zu bremsen.

Sie lehnen Waffenlieferungen in die Ukraine ab, weil sie als Brandbeschleuniger wirkten. Den Kurden geben Sie Waffen im Kampf gegen den Islamischen Staat. Können Sie diesen Widerspruch erklären?
Von der Leyen: Ja. Bei Waffenlieferungen in die Ukraine dürfen wir nicht ausblenden, dass der Nachschub für die Separatisten aus Russland potenziell unbegrenzt ist. Das Waffenarsenal des Islamischen Staates ist dagegen überschaubar und wird durch die Luftschläge täglich weiter zerstört. Das heißt: Mit einer sinnvollen Ausrüstung und Ausbildung der Peschmerga ist militärisch die Möglichkeit gegeben, IS zu besiegen. Für die Ukraine gilt hingegen: Auch die Befürworter von Waffenlieferungen gehen nicht davon aus, dass der Konflikt am Ende militärisch gelöst werden kann. Zweitens: Auch wenn es mühsam ist, haben wir einen offenen Gesprächskanal mit Russland. Das heißt, dass eine Lösung am Verhandlungstisch immer noch möglich ist. Mit IS gibt es keinerlei Gesprächsbasis. IS köpft, aber verhandelt nicht.

Wie viel Geduld braucht man?
Von der Leyen: Man braucht einen langen Atem. Die Sanktionen wirken. Russland ist politisch isoliert. Es erlebt einen deutlichen Einbruch seiner Wirtschaft, nicht nur durch die Sanktionen, auch durch den Ölpreisverfall und den massiven Vertrauensverlust. Deshalb ist unser Weg richtig, den Druck zu erhöhen, um Russland zurück an den Verhandlungstisch zu bringen und eines Tages auch wieder eine vernünftige Zusammenarbeit aufzubauen. Denn das muss ja das Ziel sein. Gleichzeitig helfen wir der Ukraine wirtschaftlich und politisch.

Die Nato garantiert die Sicherheit der baltischen Staaten. Sie würden dafür in den Krieg ziehen?
Von der Leyen: Unsere Nato ist ein Verteidigungsbündnis. Es ist unmissverständlich klar, dass die Beistandspflicht des Bündnisses gilt. Darüber besteht absolute Einigkeit.

Sie haben mal gesagt, die Nato wäre tot, wenn sie in einem solchen Fall nicht eingriffe...
Von der Leyen: Das ist richtig. Die Nato ist ein militärisches wie politisches Bündnis, dessen Mitglieder füreinander einstehen, ihre Grenzen und Werte gemeinsam zu verteidigen. Das hat die Nato in vielen Jahrzehnten für Deutschland geleistet und genauso selbstverständlich stehen wir für unsere Bündnispartner auch an der östlichen Grenze ein.

Erklärt sich die Brisanz der aktuellen Lage auch daraus, dass sich die Amerikaner immer öfter heraushalten, sich zurücknehmen?Von der Leyen: Begonnen hat das Ganze ja lange vor der Ukraine bereits mit Destabilisierungsversuchen des Kremls in Georgien und der Moldau-Republik. Wir wissen heute, dass die Strategie des Kremls lang angelegt war. Wir müssen mit genau so langem Atem antworten.

Anders gefragt: Wünschen Sie sich ein stärkeres amerikanisches Engagement?
Von der Leyen: Wenn der Konflikt etwas gezeigt hat, dann dass wir im Bündnis diesseits und jenseits des Atlantiks eng zusammenstehen. Wenn Präsident Putin mit einem nicht gerechnet hat, dann mit der Einigkeit des Westens. Auch, wenn wir mal verschiedener Meinung über die richtigen Mittel sind, stehen wir für dieselben Werte von Frieden und Freiheit ein. Dieses Band ist stark.

Sind Nato und EU in der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit schon weit genug?
Von der Leyen: Wer hätte sich vor einem Jahr dieses Szenario mitten in Europa ausmalen können? Dadurch also, dass sich die Sicherheitslage der Welt immer wieder verändert, müssen Nato und EU immer hellwach, flexibel und anpassungsfähig sein. Dieser Prozess ist nie zu Ende.

Stören Sie manch kriegerische Töne, die hierzulande zu hören sind?
Von der Leyen: Nein, denn das unterscheidet uns von Russland. Hier findet eine offene Debatte statt. Ich möchte nicht wissen, was alles für kritische Stimmen in Russland unterdrückt werden.

Gibt es eine Chance, den IS dauerhaft zurückzudrängen?
Von der Leyen: Die Barbarei des IS muss militärisch gestoppt werden. Aber der Nährboden für IS war vor allem die Ausgrenzung der Sunniten. Deshalb muss IS der Boden politisch entzogen werden, indem Sunniten, Schiiten und Kurden gemeinsam den Irak wiederaufbauen. An die neue Regierung in Bagdad sind viele Erwartungen geknüpft.

Bedrückt es Sie manchmal, dass deutsche Partner wie Saudi-Arabien mit Kritikern oder angeblichen Rechtsbrechern kaum weniger martialisch umgehen als der IS?
Von der Leyen: Die Menschenrechte sind unabdingbar, das gilt auch für Saudi-Arabien. Entscheidend ist, dass arabische und muslimische Staaten den Kampf gegen IS zu ihrer eigenen Sache machen. Da hat sich in den vergangenen Monaten viel getan.

Zurück ins Inland: Erweist sich angesichts der gesteigerten Aufgaben die faktische Abschaffung der Wehrpflicht nicht als historischer Fehler?
Von der Leyen: Die Wehrpflicht war schon lange unterhöhlt. Im Zivildienst haben wir alle gezogen, bei der Wehrpflicht nur einen Bruchteil. Ich rate also, den Blick nicht zurückzuwerfen. Ob mit oder ohne Aussetzen der Wehrpflicht: Die innere Modernisierung der Streitkräfte wäre auch mit Wehrpflicht unausweichlich gewesen.

Sie sind Ärztin. Wäre die Bundeswehr für Sie heute attraktiv genug?
Von der Leyen: Ja. Ich bin fasziniert, wenn ich sehe, wie breit Ärztinnen und Ärzte bei der Bundeswehr ausgebildet werden. Das ist ein Vielfaches dessen, was man sonst in der Facharztausbildung erlebt.

Nimmt man Ihre Rüstungsstaatssekretärin hinzu, regieren zwei Frauen derzeit die Bundeswehr. Braucht es da noch eine Frauenquote?
Von der Leyen: Die gläserne Decke lässt sich leider nachweisen. Wir haben in der Sanität rund 50 Prozent Frauen am Anfang der Karriere. Wir verlieren die Frauen zwischen 30 und 40, aber wir brauchen sie händeringend. Ärztinnen und Ärzte schneiden in den objektiven Tests gleichermaßen ab, aber die subjektive Beurteilung der Vorgesetzten fällt eklatant unterschiedlich aus. Den männlichen Kollegen wird eine Karriere bis an die Spitze zugetraut, den weiblichen nicht.

Warum?
Von der Leyen: Weil die Vorbilder in der Bundeswehr fehlen. Wir haben nur ganz wenige Frauen in der Spitze, obwohl in der zivilen Medizin Ober- und Chefärztinnen längst selbstverständlich sind. Solche Karrieren müssen auch in der Bundeswehr rasch möglich werden. Deshalb müssen wir in der Sanität vorübergehend eine Quotierung einführen.

Wie steht´s um die Attraktivitätsoffensive, die Sie für die Armee ausgerufen haben? Reichen dafür Kühlschränke und Kitas?
Von der Leyen: Da bin ich ganz gelassen. Die Attraktivitätsoffensive umfasst viel mehr, von verlässlichen Arbeitszeiten bis hin zu moderner IT-Infrastruktur. Ich weiß als ehemalige Arbeitsministerin genau, wie scharf die Konkurrenz durch den brillanten deutschen Mittelstand für die Bundeswehr ist im Wettbewerb um Fachpersonal., Der Mittelstand beherrscht längst die gesamte Klaviatur der Attraktivität, weil jedes Unternehmen weiß: Wenn mir die Leute ausgehen, kann ich zumachen. Für die Bundeswehr ist es höchste Zeit für diesen Modernisierungsschub. Die Resonanz in der Truppe ist positiv und die Kritiker draußen werden leiser.

Geben Sie uns bitte einen Zwischenstand über die Rüstungsprojekte. Ist Land in Sicht?
Von der Leyen: Wir haben deutlich mehr Transparenz geschaffen. Der Zustand war ernüchternd, die Probleme, die sich seit Jahren angestaut haben, sind aber dadurch noch lange nicht gelöst. Das muss man hartnäckig und langfristig angehen. Es liegen noch viele Hürden vor uns. Denn ein schlechter Vertrag, der vor zehn Jahren abgeschlossen wurde, bleibt auch heute ein schlechter Vertrag, der uns in eine schwache Position gegenüber der Industrie stellt. Da liegt noch eine richtig anstrengende Zeit vor uns.

Kurz und unvermeidlich zum Bonn/Berlin-Thema: Da ist von Ihnen - anders als von Ihrem Vorgänger - nichts zu hören. Bleibt es dabei?
Von der Leyen: Das Bonn/Berlin-Gesetz gilt und ist im Koalitionsvertrag verankert. Ich werde mich an die Verabredungen halten.

Sie haben Ihr neues Amt mit einem Marathonlauf verglichen. An welchem Kilometer sind Sie gerade?
Von der Leyen: Vielleicht bei Kilometer neun oder zehn, ich habe noch eine lange Strecke vor mir.

Zur Person

Ursula von der Leyen, 1958 in der Nähe von Brüssel geboren, ist seit Dezember 2013 Bundesministerin der Verteidigung. Zuvor war die CDU-Politikerin von 2003 bis 2005 niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, von 2005 bis 2009 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und von 2009 bis 2013 Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Von der Leyen ist mit dem Medizin-Professor Heiko von der Leyen verheiratet. Das Paar hat sieben Kinder.

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