Deutschland -Portugal in Bonn und der Region "Jaaaaaaaaaaa!"

BONN · Deutschlands WM-Auftakt, von Bonn aus betrachtet: Beim Rudelgucken zwischen Gronau und Altstadt entspricht die Stimmung dem Ergebnis.

 Warum bis zum Finale warten - wer weiß, was noch kommt? In der Bonner City gab's schon nach dem ersten WM-Speil der deutschen Mannschaft Autokorsos.

Warum bis zum Finale warten - wer weiß, was noch kommt? In der Bonner City gab's schon nach dem ersten WM-Speil der deutschen Mannschaft Autokorsos.

Die Bonner Welt ist schwarz-rot-gold. Von oben bisunten, von links bis rechts, von Gronau bis Altstadt - und von Afrikaner,Türke, Iraner, Kroate bis zum Deutschen. Das vielleicht Beste am Montag,abgesehen vom Ergebnis: Alle haben gefeiert. Auch die Portugiesen.

7 Uhr, Bonn, Südstadt: Von hier bis zur Gronau sind es 15 Minuten. Es sei denn, esist 17 Uhr und um 18 Uhr spielt Deutschland. Fußball-Rush-Hour. Die Autosschieben sich durch die Stadt, jeder will jetzt möglichst schnell irgendwosein, wo eine Leinwand oder wenigstens ein Fernseher ist. Während die Ampelnihre Lichter wechseln, ohne dass in der Blechschlange spürbar Bewegungaufkommt, heizt das Radioprogramm dem eiligen Fan noch extra ein: Am Kunstrasenherrscht schon Partystimmung, sagt Radio Bonn-Rhein-Sieg.

17.55 Uhr, Gronau, Kunstrasen: Auf dem kleinen Schild am Einlass zum Kunstrasen ist eineKnarre abgebildet. Durchgestrichen. Übersetzt: Waffen mitnehmen verboten. Einkurzer mulmiger Moment mit Blick auf die Masse Mensch, die sich da vorne aufdem Rasen, Bauch an Rücken gequetscht, in Stimmung grölt: Was, wenn ..? Umeinen herum: Mädchen mit Deutschlandfahnen-Ohrringen, Jungs mitDeutschlandfahnenherzchen auf den Wangen, und die wenigen, die hier ernstgucken, gucken so, weil Fußball ja nun auch eine ernste Sache ist.

Bonn feiert den deutschen WM-Traumstart
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Bonn feiert den deutschen WM-Traumstart

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Deutschland - Portugal "2:0", sagt Jessica, 16, Schülerin.Sicher? "Klar! Hat mein Freund gesagt!" Deutschland - Portugal: "3:1", sagtStefan, 24. Warum? "Weil Deutschland als Team stärker ist als die Portugiesen."Aha.

Am Kunstrasen wird aus der WM ein Rockkonzert, die Band hörtauf die Namen Neuer, Lahm und Müller. Vorgruppe: Poldi. "Lukaaaas!" Einer vonuns, so wird er begrüßt. Köln ist ja fast ein Stadtteil von Bonn.

Kunstrasen, 10. bis 12. Minute: Es gibt sehr viele Möglichkeiten, seinen Kopfschwarz-rot-gold zu schmücken. Der Blick über die Menschenmenge streift lockigeund glatte Perücken, Paillettenkappen, Stirnbänder - und mitten drin steht er,der größte Hutträger von allen. Geschätzt 40 Zentimeter ragt sein Zylinderhoch. Darunter ein todernstes Gesicht. Warum guckt der so? "Huuuuuuu!" Wie einHornissenschwarm wird auf die Entscheidung zum Elfmeter für Deutschlandreagiert. Der Hutträger verzieht keine Miene. Dann fällt das Tor. Und er istweg. Als hätte sich die Masse wie ein Körper einen Meter nach oben bewegt undihn, den bisher so stolz Aufragenden, einfach geschluckt.

1:0. Nochmal zum Mitschreien, denkt sich Radio-ModeratorSven Jaworek und dirigiert seinen Rasen-Chor: "Deutschland?" - "Eins!", singtder Chor. "Portugal?" - "Null!" - "Danke!" - "Bitte!". Immer höflich bleiben,das geht auch beim Rudelgucken. Es sei denn, man sieht Ronaldo. Auf derRiesenleinwand fängt die Kamera in Brasilien das Gesicht von Portugals Starein. Der ganze Rasen buht, und man könnte meinen, Ronaldo würde ein bisschenblasser. Hat er "uns" gehört?

18.30 bis 18.32 Uhr, Adenauerallee: Kein Stau. Und ganze drei Menschen sind zwischen Gronau undHofgarten vom Auto aus zu sehen. Also rauf aufs Gaspedal, die City wartet. Manhat irgendwie ein gutes, friedliches Gefühl im Bauch beim Fahren, es steht 1:0,kurze Pause, und schon sind wir angek... "Tooooor!" War das jetzt im Radio oderkam das aus einem Haus? 2:0. Hummels. Wir fahren noch ein bisschen schneller.

37. Minute, Brüdergasse: Eine Kirche, drei Bildschirme, drei Gruppen, ein Glück: Deutschlandführt! Direkt an der Remigiuskirche sitzen sie, bei Bratwurst und Bier, undspenden Szenenapplaus, als Pepe aus Portugal eine rote Karte kassiert. Gerdiklatscht am lautesten. Dabei ist sie "sonst gar nicht so. Ich guck' nur EM undWM"“, sagt die 46-Jährige. "Und den FC." Ihr Freund Thomas (50) ist dagegenGladbach-Fan, weshalb beide, sagt Gerdi, "beziehungsmäßig noch in derErtestungsphase" seien. Heute ist die Beziehung keiner Belastungsprobeausgesetzt, beide sind für dasselbe Team. Eine Bierbank weiter sitzt eineGruppe Männer, die so ruhig am kühlen Hellen nippt, als wüssten sie schon, wasdemnächst passiert. Fußballexperten? "Der Hinsi - den musst du fragen, der weißalles über Fußball!" ruft einer. Der "Hinsi" lächelt tatsächlich wissend.

45. Minute, Brüdergasse: Hinsi, was bedeutet dieses 2:0 - hat der Bundestrainer es amEnde doch richtig gemacht? "Jaaaaaaa!" brüllt Gerdi von drüben. 3:0, durchMüller. Hinsi guckt auf den Bildschirm. Dann guckt er ins Bier. "3:0", sagt er."Da haben Sie Ihre Antwort."

50. Minute, Sternstraße: Es ist Ladenschlusszeit. Die, die jetzt ihre Warenstände vondraußen nach drinnen räumen und die Türen verschließen, tragen nichtschwarz-rot-gold und wissen gar nicht, was gerade in Brasilien und imrudelguckenden Bonn passiert, oder? "Verzeihung, wie steht's?"“ "3:0!" ruft dieParfümerieverkäuferin und schiebt glücklich lächelnd Wolfgang JoopsSonderpreis-Päckchen-Wagen in den Laden. Eine Ecke weiter, Modegeschäft, eineweißhaarige ältere Dame schiebt die Glastür zu. Guten Tag, wie steht's? "3:0"–für Deutschland!" sagt die Dame und breitet die Arme aus. Ein definitiv nichtmit TV versehenes Schuhgeschäft. Wie steht's? "3-0!" - "Woher wissen Sie das?"Die Verkäuferin zeigt auf die andere Straßenseite: "Da - bei Dancker!" Undtatsächlich: Beim Optiker läuft im Schaufenster ein Fernseher.

60. Minute, Maxstraße: Massoud Mohammed faltet die Hände und betrachtet denFernseher wie einen Schatz. Abgesehen von der Lautstärke aus seinemTV-Brasilien-Fenster ist es ganz ruhig bei dem Kurden. Und schwarz-rot-gold.Eine Riesenfahne steckt draußen an den Obstkisten seines Ladens. "Wir spielensehr gut", sagt Massoud und strahlt.

78. Minute, Frankenbad: Italiener. Türken. Iraner. Bad Godesberger. Und Portugiesen- alle sitzen sie hier zusammen, als Müller das 4:0 schießt. Und alle jubeln.Und was ist mit dem Portugaltrikot? "Ach", der Trikotträger wehrt ab. "Wirwollen euch nicht weh tun - heute."

20.15 Uhr, Bertha-von-Suttner-Platz: Es ist das erste Spiel in der Vorgruppe, hat einer heutemorgen gesagt. Da gibt's noch keine Autokorsos. Gibt es doch. Ein Auto fälltauf: vorne rot-grün, hinten schwarz-rot-gold. Einer, der nach allen Seitenoffen ist? Nein, ein Portugiese mit einer deutschen Frau. Und er jubelt. Warum?"Meine Frau hat heute gewonnen2, sagt er. "Was soll ich tun?" Jubeln. Schonrichtig.

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