Wohlfahrtsverbände mahnen Jedes fünfte Bonner Kind ist arm

Bonn · Es ist eine Zahl, die in Bonn auf den ersten Blick unrealistisch erscheint: Jedes fünfte Kind in der Bundesstadt ist von Armut betroffen. Genauer: 20,6 Prozent.

„Gerade Kinder von Alleinerziehenden und aus kinderreichen Familien sind gefährdet“, sagt Jean-Pierre Schneider von der Caritas. Der „runde Tisch gegen Kinder- und Familienarmut“, zu dem viele gemeinnützige Organisationen gehören, hat nun einen Forderungskatalog an die Politik formuliert. Den wollen die Vertreter auch mit Land- und Bundestagskandidaten diskutieren.

„Der Skandal ist, dass wir seit zehn Jahren auf die Probleme hinweisen, sich aber nichts bei der Ursachenbekämpfung tut“, sagt Ulrich Franz, der seit Beginn Mitglied des runden Tisches ist. Im Gegenteil, die Kinderarmutsquote sei um knapp zwei Prozent gestiegen. Doch zumindest die Anerkennung der Kinderarmut habe sich geändert: Sie werde mittlerweile wahrgenommen.

Der nun vorgestellte Forderungskatalog ist eine Bestandsaufnahme mit konkreten Vorstellungen. „Am wichtigsten ist, dass die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen finanziell abgesichert wird“, so Schneider. Zum Beispiel durch eine Kindergrundsicherung, die monatlich mindestens 500 Euro beträgt und vom Bund auf den Weg gebracht werden soll. Die Gefahr, dass das Geld nicht bei den Kindern ankommt, sieht Schneider nicht. „Denn genau daran fehlt es immer.“ Überall müsse gespart werden. Und wenn dann die Hose oder der Schulranzen kaputtgehe, sei kein Geld mehr für Bücher oder die Klassenfahrt da. Dass es Einzelfälle seien, in denen die Eltern Zuschüsse für sich nutzten, zeigten die Erfahrungen aus der täglichen Arbeit in den Wohlfahrtsverbänden.

„Die Länder müssen den Bildungsauftrag der Schulen ernst nehmen“, sagt Hermann Classen von der Kreisgruppe des paritätischen Wohlfahrtsverbandes. In Kitas und offenen Ganztagsschulen sollen künftig hauswirtschaftliche Kräfte für die Kinder kochen. Grundsätzlich hänge vieles am Personal, das aufgestockt werden müsse. „Wir brauchen mehr Schulsozialarbeiter, mehr Fachkräfte in der Jugendhilfe, mehr Lehrer für kleinere Klassen“, so Classen. Zudem fordert er das Ende des privaten Nachhilfeunterrichts, da der nur das obere Drittel der Kinder erreiche. Stattdessen müsse jeder individuell gefördert werden. Das betreffe aber nicht nur die Schulbildung, sondern auch Alltagskompetenzen. „Ernährung, Finanzen, Gesundheit und Verbraucherverhalten sind genauso wichtig“, sagt Classen.

An die Bonner Kommunalpolitik richtet sich vor allem die Forderung nach preiswertem Wohnraum für Familien. Dafür soll die städtische Wohnungsbaugesellschaft Vebowag mehr Geld erhalten, zudem eine Quote von 30 Prozent für geförderte Wohnungen im Geschosswohnbau gelten. „Wir müssen aber auch mehr niederschwellige Unterstützungen wie Sozial-, Erwerbslosen-, Sucht- und Schuldnerberatung anbieten“, sagt Clemens Putschli vom Bonner Kinder- und Jugendring. Um alle Maßnahmen zu koordinieren, brauche es Fachpersonal in der Stadtverwaltung und einen Jugendförderplan. „Zum Beispiel, um die offene Jugendarbeit auszubauen und Jugendzentren zu sanieren“, so Putschli. Durch ein ÖPNV-Ticket für alle Bonner Schüler ähnlich dem Studententicket, das für Bonn-Ausweis-Inhaber kostenfrei ist, werde die Mobilität verbessert.

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