SPD-Bundestagskandidatin im Porträt Jessica Rosenthal will ticketlosen Nahverkehr in Bonn

Bonn · Die Bundesvorsitzende der Jusos Jessica Rosenthal kämpft um das Bonner Direktmandat. Sie fordert einen Modellversuch in der Stadt, bei dem Bus und Bahn über Gebühren finanziert werden, die alle Einwohner zahlen müssten.

 Auf dem Weg zum GA-Fototermin: Jessica Rosenthal spricht mit Schülerinnen auf dem Hof der Marie-Kahle-Gesamtschule. Für den Wahlkampf hat sie sich beurlauben lassen.

Auf dem Weg zum GA-Fototermin: Jessica Rosenthal spricht mit Schülerinnen auf dem Hof der Marie-Kahle-Gesamtschule. Für den Wahlkampf hat sie sich beurlauben lassen.

Foto: Meike Böschemeyer

Die Kandidatin kommt im Elektro-Smart. Es ist ein dunkler Kleinwagen, beklebt mit roten Wahlkampffolien, die eine strahlende Jessica Rosenthal zeigen. Die Parklücke an der Graurheindorfer Straße ist groß, aber sie muss ein wenig kurbeln, bis sie richtig steht. Normalerweise fährt sie Rad, aber jetzt, in der heißen Phase vor der Bundestagswahl, läuft es nicht mehr ohne Auto. Zu viele Termine. Haustürwahlkampf, Podiumsdiskussionen, Interviews. Seit die Jusos Rosenthal im Januar zur Bundesvorsitzenden gekürt haben, wollen auch überregionale Medien mit ihr reden.

Wir treffen uns vor der Marie-Kahle-Gesamtschule in Castell. Dort hat die 28-Jährige eine Halbtagsstelle als Lehrerin - mehr geht nicht neben ihrer politischen Aufgabe in Berlin und dem Co-Parteivorsitz in Bonn. Nach den Sommerferien hat sie für den Wahlkampf freigenommen. Urlaub hat sie, bis auf ein paar Tage in Hamburg, nicht gemacht. Man muss eben Prioritäten setzen. Für eine Juso-Chefin ist sie auf der SPD-Landesliste mit Platz 20 nicht besonders komfortabel abgesichert, selbst wenn die Genossen gerade im Umfragehoch fliegen. Jessica Rosenthal muss kämpfen.

Auf dem Schulhof flitzt sie davon, um Kollegen zu begrüßen. Kaum zurück, kommen immer wieder Mädchen und Jungen auf sie zu und sagen Hallo. Es dauert ein bisschen, bis die GA-Fotografin ihre Aufnahme in einem Klassenraum bekommt. Typisch Schule eben, meint Rosenthal. Beim Tür-zu-Tür-Wahlkampf helfe ihr diese Kommunikationserfahrung mit unterschiedlichsten Charakteren. Geht die Tür auf, bleiben nur Sekunden, um einen Draht zu finden. Für das Foto wählt Rosenthal den Raum, in dem sie – eigentlich Deutsch- und Geschichtslehrerin – zuletzt Gesundheitserziehung gegeben hat. Mit Küche, in der die Kinder lernen, wie man gesundes Essen zubereitet. Das rührt an zwei ihrer Kernthemen: soziale Ungleichheit und Bildungsgerechtigkeit.

Als Lehrerin hat sie in der Pandemie hautnah erlebt, wie schwierig Distanzunterricht mit mangelhafter digitaler Ausstattung der Lehrer und mancher Kinder aus armen Familien war. „Dass wir an den Schulen kein WLAN haben und dann von der Pandemie überrollt werden, sagt für mich alles“, betont Rosenthal bei einer Tasse Kaffee beim nahegelegenen Bäcker. „Das ist eine Blaupause dafür, was in der Bildungspolitik schiefläuft und warum ich jetzt kandidiere.“ Wirkte sie in der Schule noch angespannt („Ich war aufgeregt, wieder dort zu sein“), redet sie sich jetzt warm. Der Bund müsse mehr Verantwortung übernehmen. Nicht nur für die Digitalisierung der Schulen. „Es geht darum, den massiven Investitionsstau, der an jeder Schultoilette ablesbar ist, zu bekämpfen. Da muss der Bund die Kommunen stärker unterstützen.“

In Bad Münder bei Hameln aufgewachsen

Rosenthal ist in Bad Münder bei Hameln aufgewachsen, hat sich während des Studiums in Bonn verliebt und wohnt heute in Auerberg. Ihre Mutter, eine Personaldisponentin, hat die 28-Jährige und drei jüngere Schwestern allein aufgezogen. Der Vater, Berufsschullehrer, war der erste in der Familie, der studierte. Auch wenn sie sich behütet fühlte, das Geld war manchmal knapp, erinnert sich die Juso-Chefin. Auch das dürfte sie als Sozialpolitikerin geprägt haben. „Wenn eine Familie mit zwei Gehältern kaum noch eine Wohnung in Bonn findet, geht es um eine zentrale Frage der Gerechtigkeit“, betont Rosenthal. Sie verweist auf den Mietenstopp, den die SPD bundesweit einführen will. Mieten einfrieren und mehr Wohnungen bauen – das sei der richtige Weg. Auf den Bund will sie Druck machen, einen Teil seiner Grundstücke in Bonn an die Stadt abzugeben, damit dort Wohnungen errichtet werden können.

Eines ihrer wichtigsten Ziele ist der „ticketfreie Nahverkehr“. Die Idee: Das Angebot bei Bus und Bahn wird ausgebaut – und über Beiträge aller Bewohner einer bestimmten Region finanziert, also auch von jenen, die den ÖPNV nicht nutzen. Die Höhe der Beiträge soll einkommensabhängig sein. Ein dickes Brett, ein Umbau, der Jahre dauert, das ist Rosenthal klar. Die „Klimahauptstadt“ Bonn hält sie aber für ideal, um einen Modellversuch zu starten. Sie ist stolz darauf, dass der ticketfreie Nahverkehr auch im SPD-Zukunftsprogramm verankert ist. „Sie können sicher sein“, betont Rosenthal, „dass ich Olaf Scholz daran erinnern werde“.

Der SPD-Kanzlerkandidat dürfte ihr zuhören. Auch wenn sie als Juso-Vorsitzende nicht halb so lautstark auftritt wie Vorgänger Kevin Kühnert, lässt sie keinen Zweifel an ihrem Durchsetzungswillen. Eine Koalition mit der Linken im Bund schließt sie nicht aus. Allerdings müsse die sich in außenpolitischen Fragen bewegen, die für die SPD nicht verhandelbar seien. Sollte die Parteispitze auf die Idee kommen, mit der CDU noch einmal über eine Koalition zu reden, verspricht Jessica Rosenthal „Gegenwehr“. „Wenn es nötig ist, öffentlich zu widersprechen, dann tue ich das“, unterstreicht die Wahl-Bonnerin. „Ansonsten rufe ich an. Ich habe die Erfahrung gemacht: Es nehmen alle ab.“

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