Zuzug von 900 russichen Juden Jüdische Gemeinde in Bonn verändert sich elementar

BONN · Leicht streicht Margaret Traub über das große Gemälde des Kölner Künstlers Gerd Mosbach, das den Saal der jüdischen Gemeinde Bonns bestimmt.

 Vor dem großen Leuchter in der Bonner Synagoge: Margaret Traub (links) ist seit 25 Jahren Vorsitzende der Gemeinde, hier im Bild mit Sozialarbeiterin Stella Alhasova.

Vor dem großen Leuchter in der Bonner Synagoge: Margaret Traub (links) ist seit 25 Jahren Vorsitzende der Gemeinde, hier im Bild mit Sozialarbeiterin Stella Alhasova.

Foto: Hagenberg-Miliu

"Es zeigt, wie jüdisches Leben in Bonn wieder auf den Ruinen neu entsteht", sagt sie. Es ist das Mottobild der Gemeinde, deren Geschicke die Vorsitzende Traub seit 25 Jahren mit viel Herzblut lenkt. Ihre Stellvertreterin ist Ulrike Kaminski.

Dabei stehen gerade aktuell jede Menge religiöse und soziale Aufgaben an, erläutert Traub. "Denn unsere Gemeinde hat sich durch den Zuzug vieler russischer Juden in den vergangenen 20 Jahren elementar verändert." Man sei dabei ausdrücklich eine Einheitsgemeinde, die alle Richtungen des Judentums unter dem Synagogendach vereine.

"Bei uns beten sowohl die ganz frommen als auch die Reformjuden", meint Traub, während sie nun auch in die 1959 mit dem Gemeindehaus neu gebaute Synagoge führt. Es gelte also auch in der Bonner Gemeinde: "zwei Juden - fünf Meinungen", lacht die Vorsitzende.

Einerseits hätten die neuen Mitglieder aus Osteuropa die in den 90-er Jahren geschrumpfte Gemeinde in ihrer Existenz gerettet. "Der liebe Gott hat uns nach dem Abschied der Botschaften aus Bonn die Russen geschickt", sagt Margaret Traub. Mit knapp 1000 Mitgliedern ist die Gemeinde auf dem Weg, wieder die Zahlen Bonner Juden vor dem Holocaust zu erreichen.

1933 gab es im engeren Bonner Stadtgebiet 1268 jüdische Bürger. Zu 90 Prozent bestehe die Gemeinde heute aber aus Gläubigen mit russischer Vergangenheit, für die die Bonner Synagoge auch ein wichtiger sozialer Treffpunkt geworden sei, so Margaret Traub.

Rund 200 Mitglieder nehmen aktiv am Gemeindeleben teil: etwa auch im Chor, in der Frauen- oder der Tanzgruppe. Aus einem atheistischen Staat zu kommen und kaum mehr mit den jüdischen Traditionen vertraut zu sein: Das habe den Hinzugekommenen den Neuanfang nicht leicht gemacht, erklärt Margaret Traub.

"Viele haben hier ihre Religion für sich entdeckt, einige sind sehr fromm geworden." Für sie bedeuteten die jüdischen Traditionen ihre Identität. Die Gemeinde unterstütze sie mit Religionsunterricht (auch für Erwachsene) sowie Hebräischkursen für die derzeit 30 Kinder. Im Gottesdienst helfen phonetisch transkribierte Gebete über die fehlenden Hebräischkenntnisse hinweg.

Die Gemeinde, die sich einen eigenen Rabbi nicht leisten kann, müsse ihre hauptsächlich älteren Mitglieder auch im Alltag unterstützen, so Traub: etwa mit Kursen in deutscher Sprache. "Die meisten haben auch nur sehr kleine Renten oder sind, wenn sie jünger sind, Hartz IV-Empfänger", sagt Stella Alhasova, die mit Marina Fedorova das gemeindliche Sozialarbeiterteam bildet.

Sie vermitteln Kontakte zu den Ämtern und schalten sich bei Problemen mit Schulen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ein.Ohne ständigen Polizeischutz komme die Synagoge, die über eine extra Sicherheitsschleuse verfügt, nicht aus, so die Vorsitzende.

Die Gemeinde leide unter Graffiti-Besprühung, Drohbriefen und -anrufen. "Ich wünsche mir, dass unsere Kinder einmal ohne Polizeischutz beten können." Überhaupt träume sie davon, dass jüdisches Leben in Bonn wieder selbstverständlich werde: mit einer jüdischen Schule, Geschäften mit koscheren Lebensmitteln, einem jüdischen Restaurant. "Mein Wunsch wäre, dass wir hier weiter in Frieden leben können."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort