Wohnen im Alter Kaum zwei Prozent der Wohnungen sind seniorengerecht

Bonn · Beim Haus &Grund-Tag am 12. März in Bonn erklären Experten unter anderem, warum man sich beizeiten mit der Ausstattung seines Alterswohnsitzes beschäftigen sollte. Die Veranstaltung findet von 9 bis 17 Uhr im Haus der Evangelischen Kirche an der Adenauer Allee 37 statt.

 Hindernisse vermeiden: Zum altersgerechten Bad gehört eine bodengleiche Dusche. Sie sollte bereits eingebaut sein, bevor man sie plötzlich braucht FOTO: SHK

Hindernisse vermeiden: Zum altersgerechten Bad gehört eine bodengleiche Dusche. Sie sollte bereits eingebaut sein, bevor man sie plötzlich braucht FOTO: SHK

Foto: picture-alliance/ gms

Aus Erfahrung weiß die Bonner Maklerin Severine Profitlich, wie schwer sich Immobilienbesitzer mit dem Thema „Wohnen im Alter“ tun. Viele setzten sich oft erst dann mit damit auseinander, wenn sie das Schicksal dazu zwingt. Etwa eine plötzliche Erkrankung, durch die der Hausbesitzer einen Rollstuhl braucht. „Vor allem ältere Immobilien sind nicht für Rollstuhlfahrer ausgelegt“, erklärt Immobilienökonomin Profitlich.

Anders formuliert: Es gibt viele Barrieren, beispielsweise Treppen oder unzugängliche Bäder. Für Betroffene bedeutet das, dass sie sich schnell neu orientieren müssen: „Wir haben in der Praxis mehrfach erlebt, wie Senioren, die zuvor keine Regelungen zur Wohnsituation getroffen hatten, sehr kurzfristig in ein vom Betreuer bestimmtes Heim umziehen mussten“, berichtet sie.

Das habe oft sehr unangenehme Konsequenzen, sagt Profitlich: „Um Liquidität für die Zahlung der Heimkosten zu generieren, waren die Senioren auf einen kurzfristigen Verkauf angewiesen.“ Wie man diese Prozesse vorausschauend organisieren kann, ist für sie daher die entscheidende Frage: „Eine frühzeitige Planung der passenden Wohnform bei neuen Umständen ist gerade auf dem sehr gefragten Bonner Immobilienmarkt mit knappen Immobilienangeboten wichtig.“

In einem Vortrag beim Haus & Grund-Tag, der am 12. März, 9 bis 17 Uhr, im Haus der Evangelischen Kirche an der Adenauer Allee 37 stattfindet, wird Severine Profitlich laut Terminplan um 15.30 Uhr einen „Wegweiser in die generationengerechte Wohnform“ vorstellen.

Profitlichs Vortrag ist einer von mehreren Fachvorträgen beim Haus & Grund-Tag, doch für die Organisatoren ein wichtiger. Denn wie Bonn den demografischen Wandel bewältigen kann, ist laut Helmut Hergarten, Hauptgeschäftsführer von Haus & Grund Bonn/Rhein-Sieg, eine strategische Zukunftsfrage.

Und eine Beantwortung drängt: „Eine normale Wohnung in einem Gründerzeithaus in der Südstadt und ein 70er-Jahre-Bau auf dem Heiderhof sind meistens nicht seniorengerecht.“ Hergarten ver-weist allein auf die Badezimmersituation: „Selbst vor zehn Jahren wurden Duschen noch mit einer Stufe und nicht barrierefrei gebaut.“ Ungeachtet der seit langem bekannten Defizite findet er es erstaunlich, „dass der Umbau des Wohnungsbestandes bislang so wenig diskutiert wird“.

Doch vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise sieht er eine günstige Gelegenheit gekommen, das Thema grundsätzlich anzupacken. Dabei soll es „aber nicht nur um neue Wohnungen für junge deutsche und syrische Familien gehen“, fordert Hergarten. „Wir brauchen dann auch seniorengerechte Wohnungen.“ Die sollen „in gemeinsamen Anstrengungen auf Augenhöhe“ zwischen Bonn und den Kreiskommunen geschaffen werden: „Etwa in Bornheim gibt es noch genug Flächen.“

Seiner Ansicht nach muss es aber zudem ein Förderprogramm für die Sanierung von seniorengerechtem Wohnraum geben: „Das fängt beim Anbringen eines Handlaufes an, und sollte bis zu einer Unterbringungsmöglichkeit für eine Pflegekraft in den eigenen vier Wänden reichen.“

Dass Wohnen im Alter bundesweit „ein zentrales wohnungspolitisches Handlungsfeld ist“, betont auch Professor Harald Herrmann, Direktor des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) mit Sitz in Bonn: „Auch wenn derzeit nur wenige Erkenntnisse und amtliche Daten zum Umfang altersgerechter Wohnungen in Deutschland vorliegen, entspricht der Anteil des altersgerechten Wohnungsbestands mit zirka 700 000 Wohnungen und somit unter zwei Prozent aller Wohnungen eindeutig nicht dem Bedarf, der künftig aufgrund des demografischen Wandels benötigt wird.“ Der Investitionsbedarf für altersgerechte Wohneinheiten werde laut KfW bis zum Jahr 2030 „auf bis zu 50 Milliarden Euro geschätzt“.

Daher fördere das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ seit 2009 Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand. „Im Zeitraum von 2009 bis 2014 wurden mit Hilfe des KfW-Programms rund 145 000 Wohneinheiten altersgerecht umgebaut“, sagt BBSR-Direktor Herrmann. Es müsse nicht zwingend eine DIN-gerechte Barrierefreiheit hergestellt werden: „Bei den umgesetzten Maßnahmen standen 2014 mit 22 Prozent Anpassungen der Sanitärräume im Vordergrund.“ Etwa der Einbau bodengleicher Duschen, gefolgt von Maßnahmen zur Überwindung von Niveauunterschieden etwa durch Aufzüge.

Altersgerechter Umbau ist zwar laut BBSR „eine enorme finanzielle Herausforderung“: Es ergeben sich aber auch Einsparpotenziale“, so Herrmann weiter: „Denn wenn durch Umbaumaßnahmen bei nur 15 Prozent pflegebedürftig werdender Personen ein Umzug ins Heim vermieden oder aufgeschoben werden kann, könnte dies die Sozial- und Pflegekassen um etwa drei Milliarden Euro jährlich entlasten.“ Das zeigt eine Analyse des BBSR zur altersgerechten Wohnungsanpassung. Die altersgerechte Gestaltung der In-frastruktur beziehungsweise der Quartiere des Wohnumfeldes sei ebenso wichtig.

Was speziell Bonn angeht, glaubt der Bonner Architekt Nikolaus Decker, der Vorsitzender des Bundes Deutscher Architekten (BDA) Bonn/Rhein-Sieg ist, dass dort viel getan wird: „Gleichwohl bietet der öffentliche Raum insgesamt aber sicher noch viel Verbesserungspotenzial etwa beim Abbau von Stufenanlagen.“ Vor allem fehlt es seiner Meinung nach „sicher an barrierefreiem Wohnraum, um dem demographischen Wandel gerecht zu werden“, so Decker, der ebenfalls einen Vortrag beim Haus & Grund-Tag halten wird: „Im Neubau ist durch die aktuellen Gesetzgebungen schon weitgehend eine durchgängige Barrierefreiheit gesichert.“ Das Problem sei aber: „Die Ertüchtigung des mehr als 20 Jahre alten Gebäudebestandes, und der macht sicher mehr als 80 Prozent aus, stellt die Gesellschaft noch vor große Probleme.“

Die meisten Geschosswohnungsbauten hätten viel zu kleine Treppenhäuser, so Decker: „Diese Bauten sind nicht umzurüsten oder zu ertüchtigen.“ Was zu tun wäre: „Die Politik muss ihre Klientelpolitik hintenanstellen und der Verwaltung konkrete Aufgaben zur Schaffung von Wohnraum geben.“

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