Zwei Jahre Marktschwärmerei in Kessenich Wo die Landwirte zum Kunden kommen

Kessenich · Obst und Gemüse, Eier und Käse aus der Region online bestellen, um die Ecke abholen: Bei der Marktschwärmerei in Kessenich sind 1000 Kunden registriert. Ein Gemüsebauer erzählt, warum er sich auf diese Vermarktung spezialisiert hat.

 Helmut Hartmann aus Bornheim verteilt sein Gemüse jede Woche bei der Marktschwärmerei in Kessenich.

Helmut Hartmann aus Bornheim verteilt sein Gemüse jede Woche bei der Marktschwärmerei in Kessenich.

Foto: Benjamin Westhoff

Erdbeeren aus Meckenheim, Käse aus der Eifel und Salat aus Bornheim liegen auf den Tischen unter dem Vordach der Friedenskirche in Kessenich. Es regnet. Die Kundschaft der „Marktschwärmerei“ kommt trotzdem – mit Schirmen, Taschen und Körben. „Man kann kalkulieren“, sagt Gemüsebauer Helmut Hartmann aus Bornheim. Er hat am Morgen nur das geerntet, was die Kessenicher online bestellt und bezahlt haben.

Registrierte Kunden können bis Samstagnacht auf der Seite des Franchise-Unternehmens Marktschwärmerei bei ihrem Standort Lebensmittel von 30 bis 40 lokalen Erzeugern kaufen und sie montags zwischen 17.30 und 19 Uhr abholen. Das Konzept stammt ursprünglich aus Frankreich. In Bonn gibt es neben Kessenich drei weitere Standorte in der Altstadt, in der Südstadt und in Beuel.

Stéphane Picard hat die Marktschwärmerei in Kessenich vor zwei Jahren gegründet, weil er dort einen Markt vermisste. Die Friedenskirchengemeinde stellt den Platz dafür kostenlos zur Verfügung. „Ich liebe den Kontakt zu den Erzeugern. Die muss man schützen“, sagt Picard. An die Produzenten gehen rund 82 Prozent des Umsatzes, der Rest an Gastgeber wie Picard, Zahlungsdienste und die Marktschwärmerei-Zentrale in Berlin. Nicht alle Erzeuger können die Bestellungen persönlich übergeben, weil sie sich zum Beispiel um ihre Tiere kümmern müssen.

Etwa 1000 Kunden sind Picard zufolge registriert. „Die meisten kommen zu Fuß oder mit dem Fahrrad.“ Circa 60 Leute kommen regelmäßig, sagt Landwirt Hartmann. Zu Spitzenzeiten während Corona seien es 180 gewesen. Aktuell merkt Hartmann einen Rückgang wegen der hohen Inflation und des Kriegs in der Ukraine.

Die Kunden nennen ihre Bestellnummer und bekommen ihr Essen. „Die Frau Jansen“, sagt Hartmann zu einer Kundin und legt ihr das Gemüse in die Tasche. „Jetzt liegt´s an Ihnen.“ Der Gemüsebauer bedient zwölf Marktschwärmereien in Bonn, Köln und dem Rhein-Sieg-Kreis, beliefert Gastronomen und hat einen Hofladen.

In seinen Kisten liegen Radieschen und Möhren neben fransigen Salatköpfen, gelber Beete und Mangold mit bunten Stilen. „Ich habe immer schon gerne bunte Farben ins Gemüse gebracht“, sagt Hartmann. Die großen Ketten hätten daran kein Interesse, die Genossenschaften forderten immer größere Mengen. „Mein Betrieb ist in den letzten Jahren sogar kleiner geworden, aber vielfältiger“, sagt der Landwirt. Mit rund 60 verschiedene Gemüsesorten, die es teilweise nicht im Supermarkt gibt, könne er Kunden anziehen.

Direkter Austausch zwischen Landwirt und Kundschaft

Von Kundin Dorothea Rose bekommt der Bauer direkt Feedback zu seinem Gemüse. „Der Salat war sehr lecker“, sagt sie. Rose war erst skeptisch, weil man das Essen online bestellen muss. Mittlerweile kauft sie regelmäßig bei der Marktschwärmerei ein und bestellt manchmal für eine alte Nachbarin mit. „Man merkt, was es zu welcher Saison gibt.“ Außerdem gefallen ihr die Rezeptideen, die Hartmann von Sterneköchen aus Köln weitergibt.

„Ich mag es, viel auszuprobieren“, sagt Leona Wichmann. So landete zum Beispiel eine lilafarbene alte Rübensorte auf dem Teller der jungen Frau. „Das ist 1A-Zeug. Gucken Sie sich mal den Spinat an. Der zappelt noch“, sagt Stammkunde Timo Wolf. Die Preise seien etwa so hoch wie im Bioladen.

Hartmann macht der Kundenkontakt Spaß. „Ich habe die Möglichkeit, den Kunden zu erzählen, was die Schwierigkeiten sind.“ Wenn Hagel das Gemüse etwas beschädigt hat, erklärt er das der Kundschaft und die nimmt die Ware trotzdem. „Im Einzelhandel würde das nicht funktionieren.“ Mehr auf marktschwaermer.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Abitur trotz hoher Hürden
Geflüchtete aus Eritrea Abitur trotz hoher Hürden