Kinderbetreuung in der Corona-Krise Frust bei Bonner Eltern und Erziehern über die Betreuungssituation

Bonn · Nach heftigen Protesten arbeitet die Landesregierung weiter an einem Stufenplan zur Betreuung in Kindertagesstätten. Was meinen die Betroffenen? Bonner Eltern und Erzieher berichten.

 Zeitvertreib auf dem Spielplatz: Die Familie Wagemann aus Friesdorf spielt mit ihrem zweijährigen Sohn im Sandkasten.

Zeitvertreib auf dem Spielplatz: Die Familie Wagemann aus Friesdorf spielt mit ihrem zweijährigen Sohn im Sandkasten.

Foto: Axel Vogel/AXEL VOGEL

Corona mit kleinen Kindern, aber ohne Kindergarten: „Das heißt für mich, den ganzen Tag ohne Verschnaufpause durchzupowern“, sagt Tim Wagemann und blickt zu seinem knapp dreijährigen Sohn hinüber. Wagemann und seine Frau sind examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger. Sie arbeitet zu 62 Prozent im Beruf. Er studiert Medizin und arbeitet als Werkstudent in der Krankenpflege. Seit neun Wochen kann der Sohn nur ab und zu in die Notbetreuung seiner Kindertagesstätte (Kita) gehen, wenn beide Eltern in der Pflege ranklotzen. „Aber das auch nur, wenn wir beide arbeiten, für die Zeit der Arbeit plus Weg dorthin“, erläutert Wagemann. Eine ruhige Minute zwischendurch gebe es quasi nicht, seufzt der junge Vater. Sein Studium gelte nicht als wichtiger Grund, sein Kind betreuen zu lassen.

Der Sohnemann wird ungeduldig. „Wir haben schon viel gemalt, gebastelt, waren am Sandkasten, wir gehen täglich spazieren“, erzählt Wagemann, während er sich um den Kleinen kümmert. „Inzwischen hat mein Sohn darauf aber keinen Bock mehr. Er will zu seinen Freunden.“ Ihm als Medizinstudenten laufe derweil die Zeit weg. „Unter diesen Umständen kann ich nicht lernen, da ich auch keinen Raum habe, in dem mein Sohn mich nicht stört.“ Die Bibliothek habe zum Lernen geschlossen. Tim Wagemann dreht am Rad. Er fühle sich im Vergleich zu Kinderlosen benachteiligt, klagt er. Und er frage sich, warum das medizinische Personal auch in Corona-Zeiten schlechter dastehe als andere. „Wir scheinen der Fußabtreter der Nation zu sein.“

Wie berichtet, dürfen in NRW seit Beginn der Corona-Krise nur Kinder von Eltern mit systemrelevanten Berufen oder erwerbstätigen Alleinerziehenden einen Kindergarten besuchen. Inzwischen kamen Vorschulkinder mit Förderbedarf hinzu. Ab Donnerstag, 28. Mai, werden auch die anderen Vorschulkinder betreut. Die übrigen Altersgruppen sollten nach den bisherigen Plänen bis zu den Sommerferien nur tageweise in die Kita kommen. Seither demonstrieren auch in Bonn Eltern für eine weitergehende Betreuung. Und das NRW-Familienministerium verhandelt intensiv mit den Kita-Trägern. Am Montag erklärte Minister Joachim Stamp unserer Redaktion, die Öffnung von Kitas erfolge ab Juni schrittweise. Man strebe inzwischen einen anderen Umfang der Betreuung aller Kindergartenkinder an, als vormals geplant.

<<<Update: Am Mittwoch veröffentlichte das Familienministerium in NRW neue Regelungen. Diese sind in diesem Artikel aufgelistet<<<

Während Wagemann sich um seinen kleinen Sohn kümmert, krabbeln und wackeln um Catharina Broers in einem Bonner Kindergarten drei unter Dreijährige (U3) herum. „Ansonsten kümmern wir uns in dieser Gruppe um zehn Kleinkinder“, berichtet die Erzieherin. Weder die Eltern noch Journalisten haben während der Pandemie Zutritt. Man werde in Kürze ein viertes U3-Kind dazunehmen, fährt Broers fort. Und auch zwei weitere hätten Bedarf. Und wie setzt das Team mit den Kleinen die verschärften Hygieneanforderungen um? Schon zur Begrüßung werden die Hände mit einem lustigen Waschlied gesäubert, antwortet Broers. Auch tagsüber müsse man die Kleinen öfter als sonst waschen. „Dann lassen wir sie mit Wasser und Seife matschen.“ Das wiederum habe einen Rattenschwanz an weiterer Arbeit zur Folge, berichtet sie lachend. „U3-Kinder sind danach klitschnass und müssen mehrfach umgezogen werden.“

Hygieneregeln bedeuten Mehraufwand in den Kitas

Broers wird wieder ernst. In ihrer Kita eines kleineren Trägers habe man Glück: Alle Erzieherinnen sind einsatzbereit. „Ich weiß von anderen Kitas, die die Notbetreuung nur mit Notbesetzung fahren“. In ihrer Einrichtung sei jetzt jedoch eine Kollegin nur fürs Putzen abgestellt, berichtet sie. Laufend müssten Küche und Gruppenräume gereinigt werden, inklusive Möbel und Spielsachen. Auf die zeitversetzt arbeitende Putzkraft käme mit der sonstigen Reinigung ebenfalls Mehrarbeit zu. Die Kita-Leitung kämpfe sich derweil durch die immer neuen Anweisungen der Landesregierung hindurch. Planungen vor Ort müssten ad hoc umgearbeitet werden. Kürzlich habe die Leiterin einen halben Vormittag damit verbracht, genügend Hygienemittel zu organisieren. „Da muss man heute kreativ sein, sonst kann man seine Bestände nicht auffüllen“, sagt Broers. Im Grunde genommen würden Kindergärten in der Pandemie immer nur von einem zum nächsten Tag arbeiten.

Währenddessen haben sich Wagemann und sein Sohn erneut ein Merkvideo für Kleinkinder über die neuen Hygienevorschriften angeschaut. „Die hat unser Sohn inzwischen besser drauf als mancher Erwachsener“, berichtet der Vater stolz. In den Ellenbogen statt ins Gesicht anderer zu husten: kein Problem. „Und wenn man Fremden zu nahe kommt, sagt mein Sohn: Stopp, Abstand halten.“

Deshalb seien die Kleinen auch fit dafür, wieder in ihre Kita zu gehen, meint eine mehrfache Mutter, die nicht möchte, dass ihr Name genannt wird. „Warum soll es zu riskant sein, eine Kita mit einer festen Gruppe von zehn Kindern aufzumachen?“ Sie und ihr Mann seien zwar privilegiert: mit betreuenden Großeltern und der Möglichkeit, auch am Abend zu arbeiten, sagt die Frau. Aber auch sie fordere eine sofortige schrittweise Öffnung der Kitas, zu denen Kindern in einem rotierenden System der Zugang an mindestens zwei Tagen pro Woche erlaubt sein solle.

Das wiederum kann sich Erzieherin Catharina Broers kaum vorstellen. „Nein, das ist mit dem Personalschlüssel und den Räumlichkeiten unter den aktuellen Bedingungen nicht zu leisten“, meint die 35-Jährige. Wie könne das Team noch Altersstufen und Gruppen nach Corona-Anforderung trennen? Wie könnten Infektionswege überschaubar bleiben? Zudem machten sich auch Erzieher Sorgen um ihre Gesundheit. „Wir sind meist auch Eltern von Kindern, haben ältere Mütter und Väter. Wie können wir uns bei einer weiteren Öffnung noch schützen?“, fragt Broers. Sie ist selbst alleinerziehende Mutter, die ihre Tochter inzwischen zur Notbetreuung in einen anderen Kindergarten bringt. „Ich verstehe nicht, warum bei den Risiken manche Eltern so auf eine Öffnung pochen“, sagt Broers. Den entsprechenden Brandbrief des Landeselternbeirats der Kindertageseinrichtungen NRW an Minister Stamp empfinde sie als unverhältnismäßig.

In dem Schreiben wirft der Beirat der Politik „Ignoranz“ vor und fordert „die Betreuung von jedem Kind, und zwar in dem Umfang, wie es die Familie tatsächlich braucht“. Das Schreiben spalte Eltern, Erzieher und Träger, bedauert Broers. „Wir Erzieher wollen nicht die Deppen der Pandemie sein.“ Natürlich meine auch sie, es müsse viel mehr Einzelentscheidungen geben. Warum also habe ein Rechtsanwaltspaar Anspruch auf Notbetreuung und eine Risikoschwangere in Mutterschutz nicht? „Es gehen momentan zu viele Betroffene unter“, klagt die 35-Jährige. Es gebe aber durchaus Möglichkeiten, pädagogisch „einigermaßen glimpflich“ durch die Pandemie zu kommen: nämlich per Dialog mit Trägern und Erziehern und durch Aufwertung der in Kitas erbrachten Leistung. Ein Vater wie Wagemann dürfte ihr hier beipflichten.

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