Interview mit Simone Sandholz Stadtplanerin plädiert für klimagerechten Umbau Bonns

Interview | Bonn · Die Klimakrise wird in den nächsten Jahrzehnten stärker zu spüren sein. Bei allen Neubauten und Sanierungen muss das mitgedacht werden, fordert Simone Sandholz von der UN-University Bonn im Gespräch mit Martin Wein.

 Der Platz der Vereinten Nationen in Bonn: Künftig müsse man große versiegelte Flächen in Städten vermeiden, sagt Expertin Simone Sandholz.

Der Platz der Vereinten Nationen in Bonn: Künftig müsse man große versiegelte Flächen in Städten vermeiden, sagt Expertin Simone Sandholz.

Foto: Martin Wein

Die Sommerhitze macht vor allem Städtern immer mehr zu schaffen. Und die Prognosen für die nächsten Jahrzehnte stehen für immer mehr Backofen-Temperaturen. Ist dieser Trend überhaupt noch zu ändern?

Simone Sandholz: Wir können den bisherigen Klimawandel nicht zurückdrehen, sondern nur noch dessen Folgen abmildern und künftige Verschlimmerungen vermeiden. Was wir tun können, sind Maßnahmen zu ergreifen, damit es trotzdem einigermaßen erträglich bleibt. Das reicht von kleinen Schritten bis zu großen Würfen, wie wir gerade bei dem Klimapaket der Bundesregierung gesehen haben.

In früheren Jahren haben sich viele Bonner in klimatisierte Büros verkrochen oder sind ins Freibad oder ans Meer gefahren. Wird die Klimakrise durch Corona noch verschärft wahrgenommen?

Sandholz: In diesem Sommer sind zumindest einige der üblichen Ausweichmöglichkeiten vor der Hitze schwerer zu erreichen. Freibäder mit Obergrenzen und Menschen, die den Sommerurlaub zu Hause verbringen, gehören dazu. Distanz zu wahren, wird in überfüllten Parks nicht leichter. Ich erhoffe mir von diesen Erschwernissen andererseits mehr Sensibilität für den dringend nötigen Schutz des Klimas. Wenn wir so weitermachen, wird es immer noch heißer.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Infrastruktur?

Sandholz: Die Menschen wünschen sich Gemeinschaftsflächen im Grünen. Die sind ein Wert an sich und sollten nicht zur Diskussion stehen, sondern eher wachsen. Und Schließungspläne für Freibäder sollten sich derzeit erübrigen.

Lassen sich die Folgen der globalen Klimakrise mit lokalen Maßnahmen überhaupt begrenzen?

Sandholz: Es ist jedenfalls mehr als Symbolpolitik, wenn wir konsequent unsere Städte an die neuen klimatischen Bedingungen anpassen. Wir waren in den letzten Jahren an einem Projekt beteiligt, in dem für die Stadt Bonn kleinräumige Klimaszenarien berechnet wurden. Da zeigte sich eindeutig, dass es Kaltluftschneisen gibt, durch die in den Nachtstunden kühlere Umgebungsluft in die Innenstadt gelangt. Die frei zu halten, ist unbedingt notwendig, wenn die Stadt nicht zur Hitzeinsel werden soll. Gleichzeitig sah man auch, dass begrünte Straßen deutlich kühler sind als versiegelte offene Flächen. Auch kleine Wasserflächen können über die Stadt verteilt erstaunliches bewirken.

Wie gut vorbereitet ist Bonn in seiner Tallage für Hitzewellen?

Sandholz: Bonn hat mit größeren Waldflächen, der Rheinaue, mit Kaltluftschneisen im Meßdorfer Feld oder im Katzenlochbachtal sowie dem Rhein eine günstige Ausgangslage. Außerdem hat die Stadt die Herausforderung durch den Klimawandel etwa mit den Wärmekarten schon frühzeitig aufgegriffen. Gleichzeitig sind die Innenstadt und Bad Godesberg eng bebaut und stark versiegelt.

Die Stadt ist in einem Interessenkonflikt. Einerseits wächst sie bei begrenztem Platzangebot, andererseits braucht sie Grünflächen als Kaltluftschneisen. Sind zusätzliche Wohngebiete verantwortbar?

Sandholz: Das ist eine diffizile Abwägungsfrage. Klimabelange müssen bei Entscheidungen jedenfalls künftig eine erhebliche Rolle spielen, wo noch gebaut oder aufgestockt werden kann.

Man hat oft das Gefühl, alle bekennen sich zum Klimaschutz. Dabei werden die Prognosen der Wissenschaftler immer öfter von der Realität überholt. Wenn man bedenkt, dass ein heute gebautes Haus beispielsweise 60 bis 80 Jahre stehen wird, müsste man dann nicht viel radikaler umsteuern?

Sandholz: An dramatische Veränderungen muss man sich natürlich auch erst heranwagen. Die gegenwärtige Krise zeigt uns, wie schnell tiefgreifende Änderungen möglich sind, wenn es einen Konsens dafür gibt. Viele Weltstädte haben ihr Verkehrskonzept in kürzester Zeit über den Haufen geworfen. Bogota in Kolumbien hat in kurzer Zeit massiv in Radwege investiert. Paris diskutiert einen komplett überdachten Verkehrswegeplan mit mehr Radverkehr und Straßenbäumen. Selbst vor der Uni in Bonn wurde ein Radschutzstreifen zum Rhein hin geschaffen.

Welchen Effekt haben Beschattung und Begrünung fürs Mikroklima?

Sandholz: Unter größeren Bäumen ist es gefühlt ein paar Grad kühler als in der Sonne. Richtige Verschattung durch Markisen oder Überstände kann auch Innenräume ganz ohne Klimaanlagen deutlich abkühlen.

 Stadtplanerin Simone Sandholz.

Stadtplanerin Simone Sandholz.

Foto: Privat

Den Platz der Vereinten Nationen vor dem WCCB dürfte es dann eigentlich nicht geben?

Sandholz: Große versiegelte Freiflächen in Innenstädten sind wie ein Brennglas fürs Mikroklima, das sollte man bei der Stadtplanung berücksichtigen. Natürlich müssen aber auch die Zufahrten für die Feuerwehr frei bleiben. In Köln setzt man in letzter Zeit auf kleinere Grünflächen in der Innenstadt – als Aufenthaltsfläche, aber auch als Wasserspeicher bei Starkregen.

Bleiben wir noch einen Augenblick bei Pflanzen. Müssen wir die Straßenbäume künftig bewässern und sollten dafür bei Straßensanierungen womöglich sogar Leitungen verlegen?

Sandholz: Man muss tatsächlich jetzt schon prüfen, welche Baumarten man noch als Straßenbäume pflanzen kann. Trockenstress wird ein regelmäßiges Phänomen werden.

Aber noch keine Dattelpalmen oder Korkeichen?

Sandholz: Vielleicht kommt auch das irgendwann.

Wie kann man sonst kühlen ohne Klimaanlage?

Sandholz: Bei der Gebäudeplanung kann man sehr viel richtig machen. Verschattende Überstände oder verschachtelte Fassaden, die Schatten werfen, können viel bewirken. Und gute Dämmung hilft kombiniert mit richtigem Lüften, nicht nur Heizkosten zu senken. Gebäude sollten Querlüftung ermöglichen. Es macht schon einen Unterschied, wenn zumindest ein Teil der Wohnung kühl bleibt. Grundsätzlich können wir aus der traditionellen Bauweise in wärmeren Klimazonen viel lernen. Dazu gehören zum Beispiel die Patios im hispanischen Raum, also Innenhöfe, die als Teil des Wohnbereiches genutzt werden. Im arabischen Raum gibt es tolle Konzepte, die den Kamineffekt und kleine Wasserbecken im Innenhof zum Lüften nutzen.

 Braun sind derzeit die Blätter der Bäume im Hofgarten. Hitzebeständigkeit wird künftig eine größere Rolle spielen.

Braun sind derzeit die Blätter der Bäume im Hofgarten. Hitzebeständigkeit wird künftig eine größere Rolle spielen.

Foto: Meike Böschemeyer/MEIKE BOESCHEMEYER

Wie steht es um die Wasserversorgung, wenn der Rhein einmal trocken fällt?

Sandholz: Den Rhein sehe ich eher als Nadelöhr für den Güterverkehr. Versorgungsengpässe könnten hierbei längerem Niedrigwasser häufiger auftreten, das haben wir 2018 bei der Treibstoffversorgung gesehen. Die Versorgung mit Trinkwasser funktioniert in Deutschland bisher sehr gut. Hier wird man aber mittelfristig regionale Engpässe ausgleichen müssen.

Man hat sich bei den Stadtbahnen für Klimaanlagen entschieden. In Krankenhäusern, Behörden oder Schulen gibt es die praktisch nicht. Ist das nötig?

Sandholz: Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Vor allem die Standorte für Krankenhäuser oder Seniorenwohnen werden in Zukunft sicher auch nach mikroklimatischen Erwägungen ausgewählt.

Sie haben zu Städten in den Tropen und Subtropen geforscht. In Dubai sind schon heute Bushaltestellen klimatisiert. Gibt es eigentlich natürliche Bedingungen, in denen eine Besiedlung nicht mehr möglich ist?

Sandholz: Wenn die Außentemperatur langfristig über der Körpertemperatur liegt, kann das nicht gesund sein. So gibt es Berechnungen fußend auf den verschiedenen Szenarien des Weltklimarats, wie Städte in verschiedenen Klimazonen sich künftig entwickeln. Laut einer aktuellen Studie wird beispielsweise das Klima von London 2050 so sein, wie wir es heute von Barcelona kennen. Im Extremfall werden einige tropische Städte kaum mehr bewohnbar sein. Orte wie Manaus, Jakarta oder Singapur werden dann bisher unbekannte klimatische Bedingungen erfahren. Die technischen Anstrengungen zum Erhalt wären dann zumindest enorm. Wir müssen unterstellen, dass ein Großteil der Weltbevölkerung sich diesen Aufwand schlicht nicht leisten kann.

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