Kommunalwahl 2020 Der Schuldenberg der Stadt Bonn wächst immer weiter

Analyse | Bonn · Die Corona-Krise wird die Stadt 2020 mehr als 90 Millionen Euro kosten. Auch wenn die Bundesregierung Hilfe verspricht: Ratsmehrheit und Verwaltung haben noch keinen Weg gefunden, Bonn aus der Schuldenfalle zu führen.

Die Bonner Stadtverwaltung rechnet inzwischen mit Mehrausgaben und Mindereinnahmen von rund 90 Millionen Euro in diesem Jahr. (Symbolfoto)

Die Bonner Stadtverwaltung rechnet inzwischen mit Mehrausgaben und Mindereinnahmen von rund 90 Millionen Euro in diesem Jahr. (Symbolfoto)

Foto: Benjamin Westhoff

Vor den Kommunalwahlen am 13. September analysiert der General-Anzeiger in lockerer Folge Schwerpunktthemen, die für die Zukunft der Stadt wichtig sind. Heute geht es um ein Problem, das schon seit vielen Jahren diskutiert wird: die zunehmende Finanznot der Kommune.

Das ist die Situation: Allen Spardebatten zum Trotz wächst der Schuldenberg der Stadt immer weiter – zu Lasten künftiger Generationen. Jetzt hat die Corona-Pandemie die finanzielle Lage noch einmal dramatisch verschlimmert: Die Stadtverwaltung rechnet inzwischen mit Mehrausgaben und Mindereinnahmen von rund 90 Millionen Euro in diesem Jahr, wie das Presseamt in der vorigen Woche mitteilte.

Allein beim kommunalen Anteil an der Einkommens- und Umsatzsteuer verliert Bonn demnach knapp 30 Millionen Euro, während gleichzeitig die Sozialausgaben explodieren. Zum Corona-Minus von 90 Millionen Euro kommen die Verluste, die bei hundertprozentigen Stadt-Töchtern wie den Stadtwerken auflaufen. Wie hoch deren Schäden mutmaßlich ausfallen, wird laut Stadtverwaltung noch ermittelt. Es geht aber auf jeden Fall um eine zweistellige Millionensumme.

Zwar hat der Bund zusammen mit den Ländern einen „Kommunalen Solidarpakt“ geschmiedet, um die Folgen der Krise abzumildern. So sollen etwa die Ausfälle bei der Gewerbesteuer ausgeglichen werden. Außerdem gibt es weitere Hilfsmaßnahmen, die Bund und Land angekündigt haben. In welchem Umfang sie die Bonner Corona-Verluste ausgleichen, ist allerdings noch ebenso unklar wie die konkreten Ausführungsbestimmungen.

Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass nach der parlamentarischen Sommerpause „umfangreiche Gesetzes-, Erlass- und Verordnungsänderungen“ vorliegen. Erst dann könnten die Fachämter die Auswirkungen auf Bonn analysieren, so das Presseamt. Oberbürgermeister Ashok Sridharan und Kämmerin Margarete Heidler bringen den Doppelhaushalt 2021/2022 deshalb erst im Dezember in den Rat ein, der danach wenig Zeit für Diskussionen hat. Spätestens im März, so Heidler, muss der Etat verabschiedet sein.

Auch wenn das mit der Realität wohl wenig zu tun haben wird: Heidler ist gezwungen, einen Haushalt mit schwarzen Zahlen vorzulegen. Die Stadt steht wegen ihrer Finanzprobleme seit Jahren unter verschärfter Kontrolle der Bezirksregierung Köln und muss ein Haushaltssicherungskonzept (HSK) befolgen. Die Kommunalaufseher haben ihr zur Auflage gemacht, ab 2021 keine neuen Defizite mehr zu produzieren. Trotz Corona-Krise bleibt es bislang bei dieser Forderung. Heidler will einen „coronabereinigten“ Haushalt aufstellen und die millionenschweren Pandemie-Schäden gesondert ausweisen. Ob die Kommunalaufsicht da mitspielt, bleibt abzuwarten. Eine Antwort aus Köln steht noch aus, heißt es in der Stadtverwaltung.

Das ist das Kernproblem: In den vergangenen drei Jahren hat die Stadtverwaltung bei der Haushaltsplanung deutlich daneben gelegen und statt Defiziten sogar Jahresüberschüsse erzielt. Das ändert aber nichts am Bonner Grundproblem: die zu hohen Ausgaben. Die Verschuldung ist seit 2010 trotz brummender Konjunktur – die jetzt wegen der Corona-Krise einbricht – von 1,3 auf knapp 1,9 Milliarden Euro gewachsen. Besonders alarmierend: Der Anteil der Liquiditätskredite, eine Art Dispo für laufende Ausgaben, stieg in diesen zehn Jahren von 506 auf 726 Millionen Euro. Damit werden keine bleibenden Werte geschaffen, sondern das Geld wird schlicht verbraucht. Aus diesem Dispo finanziert die Stadt zum Beispiel ihr eigenes Personal – der mit Abstand größte Einzelposten im Etat. Auch wegen der routinemäßigen Tariferhöhungen steigen die Personalkosten schneller, als die Kommune an anderen Stellen im Haushalt Geld einsparen könnte. In diesem Jahr sind Personalausgaben von 378 Millionen Euro geplant. Zum Vergleich: Für soziale Leistungen sieht der Haushalt 123 Millionen Euro vor (was coronabedingt nicht reichen wird), für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe 167 Millionen, für das städtische Theater 30 Millionen.

Zu den Schulden addieren sich gewaltige Zukunftslasten, die von der Stadtverwaltung noch nicht einmal beziffert worden sind: der Sanierungsstau an kommunalen Gebäuden wie Stadthaus und Oper, an Bädern, Sportanlagen und Straßen ebenso wie der Investitionsbedarf in neue Schulgebäude und Kindergärten. Und für die künftigen Pensionen der städtischen Beamten existieren bis auf schlappe 10 Millionen Euro keinerlei reale Rücklagen.

Der Handlungsspielraum der Stadt wird deshalb immer enger. Beispiel öffentlicher Nahverkehr: Schon jetzt verursachen Bus und Bahn bei den Stadtwerken ein jährliches Defizit von etwa 37 Millionen Euro. Um den Verkehrskollaps auf Bonns Straßen zu verhindern und klimafreundlicher zu werden, muss und will die Stadt das Angebot aber weiter ausbauen. Verbesserungen im Fahrplan und neue Bahnen vergrößern das ÖPNV-Defizit nach Berechnungen der Stadtwerke ab 2023 auf rund 50 Millionen Euro. Kämmerin Heidler rechnet damit, dem kommunalen Konzern deshalb einen Verlustausgleich überweisen zu müssen. Was „auf Stadtseite schwer zu verkraften“ sei, wie sie kürzlich im Finanzausschuss des Rates anmerkte.

Das sind Lösungsansätze: Die meisten Fachleute sind sich einig, dass hoch verschuldete Kommunen nicht aus eigener Kraft aus ihrer Finanznot herauskommen werden, sondern mehr Geld vom Bund und vom Land brauchen. Das erscheint vor allem bei den Ausgaben logisch, die eine Stadt wie Bonn kaum selbst beeinflussen kann – bei den Sozialtransfers etwa. Hier hat der Bund jetzt einen wichtigen Schritt beschlossen und will seinen Anteil an den Kosten der Unterkunft für Langzeitarbeitslose dauerhaft von bisher 50 auf 75 Prozent anheben. Bonn plant in diesem Jahr mit Unterkunftskosten von mehr als 90 Millionen Euro. Tendenz wegen Corona auch hier: steigend.

Gleichzeitig muss die Kommune selbst sparen, um den Schuldenanstieg zu bremsen – ohne dabei wichtige Strukturen der Stadtgesellschaft zu vernachlässigen. Die Bezirksregierung ermahnt Bonn zum Beispiel seit Jahren, die Ausgaben für das städtische Personal und den Kulturbereich zu senken.

Dritter Weg: Kommunalsteuern erhöhen. Die Bonner Gewerbe- und Grundsteuern sind aber im NRW-Vergleich schon relativ happig. Die Parteien scheuen sich vor weiteren Erhöhungen.

■ Warum es noch keine Lösung gibt: Obwohl die Bundesregierung jetzt Milliarden-Kredite in schwindel-
erregender Höhe aufnimmt, um die Corona-Folgen zu bekämpfen, ist aus Berlin und Düsseldorf wohl auch in Zukunft keine ausreichende Finanzierung kommunaler Ausgaben zu erwarten. Um zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr dauerhaft über den Bund zu subventionieren, müssten außerdem erst Gesetze geändert werden. Die Idee aus dem Bundesfinanzministerium, Altschulden klammer Städte zentral zu übernehmen, scheitert wiederum am Widerstand von Bundesländern wie Bayern.

Gleichzeitig gelingt es Rat und Verwaltung bislang nicht, nennenswerte Einsparungen zu erzielen. Der frühere Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) und Ex-Kämmerer Ludger Sander hatten harte Einschnitte vorgeschlagen, kamen aber in den Fraktionen nicht damit durch. Weder mit der Schließung von vier Bädern noch mit einer neuen Sportstättengebühr noch mit einem Einsparziel von acht Millionen Euro bei Oper und Schauspiel ab dem Jahr 2022. Die Ratskoalition aus CDU, Grünen und FDP reduzierte die Sparvorgabe für das städtische Theater auf 3,5 Millionen Euro – von einer Umsetzung ist heute allerdings keine Rede mehr. Dafür strichen die Koalitionäre die Zuschüsse für das Kleine Theater und das Euro Theater Central.

Unter Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) erlahmte auch in der Verwaltung ganz offensichtlich der Wille, namhafte Summen einzusparen. Das drastischste Beispiel sind die eigenen Personalkosten: Die 2012 gestartete „Projektgruppe Verwaltung 2015“ unter Leitung von Stadtdirektor Wolfgang Fuchs versuchte zunächst, Einsparpotenzial bei den Planstellen zu finden. In den ersten Jahren wurden auch tatsächlich rund 50 Stellen gestrichen. Doch das ist vorbei: Im Schnitt schafft die Stadtverwaltung jetzt 50 neue Vollzeitstellen im Jahr, was sie mit zusätzlichen Aufgaben in einer wachsenden Stadt begründet. Zwischen 2015 und 2019 explodierten die Personalkosten von 270 auf 339 Millionen Euro jährlich. Obendrauf kommen noch die Pensionsauszahlungen. Bis 2024 kalkuliert das Personalamt mit einer jährlichen Kostensteigerung um drei Prozent.

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