Interview mit Kabarettist Konrad Beikircher über seine Zeit als Bonner

Bonn · Wer könnte treffender über die Befindlichkeiten der Godesberger gegenüber den Bonnern sinnieren als der Kabarettist Konrad Beikircher? Er weiß um die Wunden durch die Gemeindeordnung und die Auflösung von Bad Godesberg und Beuel als eigenständige Städte.

Über die Bad Godesberger und ihre Mythen weiß Konrad Beikircher einiges zu erzählen.

Über die Bad Godesberger und ihre Mythen weiß Konrad Beikircher einiges zu erzählen.

Foto: Benjamin Westhoff

Herr Beikircher, Sie sind Mitte der 60er Jahre aus Ihrer Heimat Südtirol als Student nach Bonn gekommen. Wann ist Ihnen die Gebietsreform erstmals untergekommen?

Konrad Beikircher: Ich habe tatsächlich recht schnell beim General-Anzeiger als freier Mitarbeiter angefangen. Und da haben die mich 1967 auch nach Bad Godesberg geschickt. Da habe ich mich zum ersten und nicht zum letzten Mal in die Nesseln gesetzt.

Erzählen Sie mal!

Beikircher: Ich hab' von „Bonn 2“ geschrieben, weil ich es nicht besser wusste. In Bonn hieß es formal: „Bonn 3“ für Beuel, „Bonn 2“ für Godesberg und „Bonn 1“ natürlich für Bonn. Nach der Veröffentlichung kam böse Post von den Lesern. Ich hatte damals keine Ahnung von der Gemeindepolitik und von den diversen Feinfühligkeiten. Heieiei. Die Leser haben Kübel über mich ausgeschüttet. Das sei immer noch Bad Godesberg und so weiter und so fort. Da hatte ich unfreiwillig den Nerv getroffen. Der damalige Redaktionsleiter Kümpel hat mich aber in Schutz genommen.

Sollten Sie neutral berichten?

Beikircher: Inhaltlich war das so, dass der Auftrag lautete, die Atmosphäre ein bisschen zu befrieden. Die Wellen sind da schon hochgekocht. Plötzlich war das nicht mehr Godesberg, so war zumindest das Gefühl. Da kamen dann andere Geschichten schnell dazu: die Gestaltung des Theaterplatzes durch die Hauser-Dynastie und der Abriss des umliegenden Knollenviertels hat die Leute sehr bewegt. Da sah es bis dahin so ähnlich aus wie in Muffendorf mit vielen Fachwerkhäusern. Es war heimelig und rheinisch.

Städtebaulich ist die Betonwüste bis heute kein architektonisches Highlight.

Beikircher: Es ist furchtbar. Ich glaube, das war vielleicht unbewusst der Anfang vom Rückbau Godesbergs. Das war ein Nackenschlag für die Godesberger, diese Betonwüste. Der Platz war schließlich ein zentraler Punkt. Ein bisserl genierte man sich aber auch: Man wollte ja mit den ganzen Botschaften einerseits weitläufig sein wie Düsseldorf, aber andererseits ist da immer wieder dieses rheinische Element spürbar. Ich will ein Beispiel nennen: Ein Godesberger Maler hat mal vor ein paar Jahren eine Fotomontage veröffentlicht, auf der das alte Knollenviertel mit Grundschülern vor dem Umbau zu sehen war. Da schwang ein ordentlicher Schuss Nostalgie mit, das löste etwas aus in den Menschen.

Sind die Bad Godesberger eigentlich von einem besonderen Schlag?

Beikircher: Das ist in Bonn ähnlich wie in Düsseldorf: Die höfische Vergangenheit spielt eine große Rolle. Godesberg war immer am Rand der Residenz. Kurfürstlich ja, aber eben an der Peripherie. Ein Echo ist mit der Redoute geblieben. Da hat man sich getroffen, es gab ab den 1770er Jahren auch Veranstaltungen. Haydn hat zum Beispiel ein Konzertchen gemacht. Dann war da der Draitschbrunnen, der von den Bonnern frequentiert wurde, und natürlich das Glücksspiel. Die Leute kamen aus dem Ahrtal, um im Spiel ihr Glück zu versuchen. Godesberg hat dann den Dünkel bekommen mit den Kronprinzen, die in Bonn studiert haben. Die haben ihre Saufabende am Ännchen gemacht. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben hohe Regierungsbeamte ihre Alterssitze in Godesberg gebaut. Das Gefühl der Godesberger war also, man sei etwas vornehmer als die Bonner. Das hat sicher zu einer gewissen Hochnäsigkeit mit beigetragen.

Haben Sie davon tatsächlich noch etwas gespürt, als Sie nach Bonn kamen?

Beikircher: In der Bonner Republik hat das sogar zu einer Steigerung geführt. Die feinen Residenzen der Botschaften lagen in Bad Godesberg. In Bonn gab es keine guten Geschäfte, aber in Godesberg gab es vornehme Geschäfte. Das war so ungefähr der Tenor. Ich musste während der Studienzeit regelmäßig zum italienischen Konsulat. Da bin ich manchmal zu Fuß hingegangen, weil ich keine Kohle gehabt habe. Da war eine Klientel unterwegs, aber Hallo. Edel gekleidet und so. Die Saudis in blütenreinen Mänteln. Und man sah, nein, man ahnte, was ja viel schöner ist, dass die Betreffenden darunter edle Dessous trugen.

Die Fallhöhe war also gewaltig, als die Gemeindeneuordnung kam. Woran störte man sich im Verlauf?

Beikircher: Ob die Selbstständigkeit Bad Godesbergs bis dahin so toll war, kann ich nicht beurteilen. Bei kleinen Orten ist die Gefahr der Verflechtungen der Amigos vielleicht etwas größer als in Großstädten. Man nahm aber Kleinigkeiten mit äußerster Skepsis auf: Als es hieß, das Bürgeramt würde nach Bonn gehen, war die Unzufriedenheit sehr groß. Oder jüngst der Streit um die Schließung des Kurfürstenbads. Als der tödlich geendete Überfall auf einen jungen Mann vor drei Jahren bekannt wurde, ging eine Debatte los. Aber das Problem war längst bekannt. Einer unserer Söhne ist schon als Zwölfjähriger mehrmals in Bad Godesberg überfallen worden. 15 Jahre diskutierte man über Videokameras, passiert ist aber nichts. Herausgekommen ist, dass die Büsche und Hecken gestutzt wurden, damit man da gucken kann. Das ist natürlich eine Sicherheitsmaßnahme, die gewaltig ist.

Man fühlt sich also düpiert?

Beikircher: Das sind alles Geschichten, die den Nerv der Bad Godesberger empfindlich getroffen haben, ein kleiner Verschwörungstheorienerv: Das machen die Bonner ja mit Absicht, weil die kümmern sich ja null um Godesberg. Wir sind die Arschlöcher hier. Sicher stimmt das so nicht. Die Trägheit der Verwaltung kennt man ja, so etwas erfolgt nicht mit Hintersinn. In Bonn wäre es wahrscheinlich auch nicht anders gelaufen.

Wen meinen Sie denn eigentlich mit „Wir“?

Beikircher: Ich könnte es vergleichen mit der Stadt Bozen. Dort gibt es heute noch einen inneren Kreis der alten deutschen Bozener. Es ist kein wirklicher Adelskreis, aber sie verhalten sich so. Das Abzeichen ist ein besonderer grüner Mantel, den man trägt, und dazu kommt ein Haus oder eine Wohnung in Oberbozen. Dieser Kreis ist dicht. Du kannst nur raussterben oder reingeboren werden. Der innere Kreis in Godesberg erinnert mich an den Bozener Kreis. Man kommt sich besonders vor, ist gerne ein bisschen beleidigt und bleibt unter sich. Na ja, und dann kamen auch noch die Migranten, und hinzu gesellte sich das Gefühl der Überfremdung.

Sehen Sie eine Veränderung innerhalb dieser Gruppe?

Beikircher: Langsam kommt ein Gefühl auf, dass es gar nicht so schlecht ist. Das finde ich positiv. Es gibt wieder mehr Veranstaltungen in Godesberg, viele kleine, die bemerkenswert sind. Ich glaube, dass das auch ein Verdienst von Dechant Picken ist. Man mag von ihm halten, was man will, aber er hat die Strahlenden und Wichtigen in seine Arbeit einbezogen. Damit hat er den Anfang zu einem Wir-Gefühl in Bad Godesberg gelegt. Wie viele Bücklinge er dafür machen musste, weiß ich nicht. Aber wenn du einen Schritt nach vorne machst, hast du immer die Kritiker, die sagen: Warum bist du nicht stehen geblieben.

Die Kommunalreform wurde von oben herab verordnet. Welche Rolle spielt Ohnmacht?

Beikircher: Der Bürger fühlt sich ausgeliefert, sicher. Die Kommunalreform hat aber nicht nur in Bonn Gräben aufgetan. Nehmen Sie mal Eschweiler und Weisweiler. Dass die einander nicht umbringen, ist aber auch alles. So etwas kann passieren, wenn von oben etwas aufoktroyiert wird. Zur Zufriedenheit ist das meines Wissens nirgends gelungen.

Was ist mit den Beuelern? Haben die sich anders verhalten?

Beikircher: Ich bin Fan von Beuel, auch weil ich dort einige Jahre gelebt habe. Beuel ist für mich viel mehr Rheinland als Bonn oder Godesberg. Dort lebt das Proletariat, das gefällt mir. Die haben sicher auch unter der Eingemeindung gelitten. In Beuel hat der damalige Bürgermeister Hans Lennarz aber auf sehr integrative Art und Weise zur Befriedung beigetragen. Da war man weniger beleidigt, sofern ich mich erinnern kann.

Die Beueler hatten ja gegenüber Godesberg den Vorteil, dass sie den Rhein zwischen sich und Bonn hatten. Wer den Rivalen den Hintern des Bröckeweibchens entgegenstrecken kann, leidet vielleicht weniger.

Beikircher: Für das Lebensgefühl sind das tatsächlich wichtige Dinge, auch wenn man es nicht glauben mag. Sozialpsychologisch hat das eine Wirkung. Jetzt haben wir es denen gezeigt – und paff.

Wann hört so ein nachtragendes Generationengedächtnis eigentlich auf?

Beikircher: Schwer zu sagen: Das sind Mythen. Wenn ich davon ausgehe, dass es eine emotionale Verschwörungsstimmung gibt: Der Godesberger gegen Bonn, weil die Kronprinzen und die Residenzen verloren gingen. Dann ist es eine logische Verhaltensweise, alles beizubehalten, was die Verschwörungstheorie stützt. Dieses Gefühl wird regelrecht tradiert. Da überprüft längst keiner mehr, ob das eigentlich alles so stimmt. Aber wie gesagt: Wir sind mit einigen aus dem inneren Godesberger Zirkel befreundet. Da hat sich die Stimmung ins Positive gedreht.

Die abgetretene Bürgermeisterin Stein-Lücke hat immer betont: Schaut doch mal, wie schön das hier ist!

Beikircher: Die richtige Richtung war das schon, nur am falschen Platz. Durch die Schluchten am Theaterplatz zu gehen und zu sagen: Ist es nicht herrlich hier! Na ja. Letztlich braucht es wahrscheinlich seine Zeit, um so einen Fall zu überwinden. Im Vergleich zur Bonner Situation kann man schon die Frage stellen: Was soll denn Hagen sagen, wo es wirklich unter den Gulli geht?

Herr Beikircher, Sie begeistern sich für Opern. Welches Stück würde Ihnen einfallen, um die Rivalitäten zwischen Bonn und den umliegenden Stadtbezirken treffend zu beschreiben?

Beikircher: Nabucco natürlich. Die babylonische Gefangenschaft ist da ja das Thema. Die Godesberger, gefangen von den Bonnern. Und dann kommt – „Flieg!, Gedanke“ – der Freiheitschor. Müsste man so mal inszenieren, dafür würden die Godesberger sogar nach Bonn fahren.

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