Pflegepersonal im Dauerstress Krankenpflegeschülerin aus Bonn erschreckt über Klinik-Alltag

Bonn · Eine Krankenpflegeschülerin aus Bonn berichtet, wie sie der Alltag im Krankenhaus erschreckt. Vor allem die unbeliebten Stationen wie Intensivpflege, Chirurgie oder Geriatrie seien so knapp besetzt, dass eine richtige Ausbildung gar nicht möglich sei.

 Eine Krankenschwester versorgt in einem Krankenhaus einen Patienten.

Eine Krankenschwester versorgt in einem Krankenhaus einen Patienten.

Foto: epd

Am Tag nach der Operation gibt es oft ein böses Erwachen. Nicht nur für die Patienten, sondern auch für Krankenpflegerinnen wie Marie-Kristin Rehbach. Wenn das Pflegepersonal in die Zimmer der chirurgischen Abteilung kommt, um die Vitalfunktionen zu messen, sind die meisten Patienten noch gar nicht ausgeschlafen. „Vor allem, wenn sie lange wach gelegen oder andersherum, wenn sie ein Schlafmittel bekommen haben“, sagt Rehbach. Tatsächlich heißt die junge Frau anders. Weil sie in einem Bonner Krankenhaus arbeitet und keinen Ärger mit ihrem Arbeitgeber bekommen soll, haben wir ihren Namen geändert.

Steif und verschlafen werden die meist älteren Patienten ab 6.30 Uhr gewaschen – mehr oder weniger freiwillig. „Wir sollen jeden waschen, damit kein Wundgeschwür oder etwas anderes übersehen wird“, erklärt Rehbach. Gar nicht so einfach für die zierliche Frau. 60 Kilo Pflegekraft kümmern sich bisweilen um 120 Kilo Patient, der oft kaum mithelfen kann. Kräne zum Wenden gebe es nur wenige, sagt die Schwester. Oft bleibe ihr nichts anderes übrig, als die Patienten etwas robuster durchs Bett zu rollen. Denn länger als maximal eine halbe Stunde dürfe das Prozedere nicht dauern, wenn sich zwei Schülerinnen und eine Schwester um acht Patienten kümmern.

Marie-Kristin Rehbach hat vor gut zwei Jahren ihre Ausbildung in der Pflege begonnen. Ein Beruf mit Zukunft. Einer, der jetzt in der Corona-Krise öffentlich Applaus erhält und einen einmaligen steuerfreien Bonus von 1500 Euro. Doch das Geld sei ihr nicht so wichtig, sagt Rehbach. Das Ausbildungsentgelt ist in Deutschland mit 950 bis 1150 Euro brutto vergleichsweise gut. 140 Euro zahlt Rehbach fürs Wohnheimzimmer. „Mir bleibt genug Geld für Essen und so“, sagt sie.

Auch das Einstiegsgehalt – zumindest im öffentlichen Dienst – ist mit 2800 bis 2900 Euro nicht so schlecht wie oft kolportiert. Tatsächlich ist in den vergangenen 20 Jahren auch die Anzahl der Schwestern, Pfleger und Sanitäter um rund 300.000 Personen gestiegen. Am 31. März 2019 waren 1.084.283 Pflegekräfte in Deutschland tätig.

Aber es seien an vielen Stellen trotzdem viel zu wenige, sagt Rehbach. Vor allem auf den unbeliebten Stationen wie Intensivpflege, Chi­rurgie oder Geriatrie. Eine richtige Ausbildung sei so gar nicht möglich, glaubt sie. „Aber ohne die Schülerinnen würde das Krankenhaus nicht funktionieren“. Auf einer Station mit 40 Betten seien zwei examinierte Kräfte, dazu Aushilfen und Schüler. Oft sei die Schwester angesichts des Pensums so im Stress, dass für Anleitung kaum Zeit bleibe. „Dann fragt man irgendwann gar nicht mehr und kann bei vielem auch nur zusehen, weil man es noch nicht darf.“ Wie es werden soll, wenn die vielen Schwestern in höherem Alter in den nächsten Jahren in Rente gehen, kann Rehbach sich nicht vorstellen.

Dazu kommt die Diskrepanz von Theorie und Praxis, mit der Auszubildende auch in anderen Berufen hadern. „In der Schule lernen wir Dinge oft ganz anders“, bestätigt Rehbach. Da fütterten unerfahrene Neulinge Patienten mit Schluckbeschwerden, ohne zu wissen, was im Ernstfall zu tun ist. Außer die Schwester zu rufen und zu hoffen, dass die schnell kommt. Da werde Hygiene zwar offiziell großgeschrieben, in der Praxis aber bleibe dafür keine Zeit. Zum Beispiel soll das Personal jedes Mal vor und nach dem Anziehen von Schutzhandschuhen die Hände desinfizieren. „Es dauert aber 40 bis 60 Sekunden, bis das trocknet. Mit feuchten Fingern im Handschuh bekommt man Ausschlag. Also lässt man die Desinfektion oft weg“, sagt die Schwesternschülerin, die doch eigentlich nur alles richtig machen möchte.

Dafür hat sie in den vielen Monaten in der Chirurgie auch fragwürdige Therapien wahrgenommen. Gerade bei Älteren mit Demenz werde Angehörigen oft zu Operationen geraten. „Danach soll alles besser werden, aber es wird dann nicht besser. Und die Folgen der Narkose werden unterschätzt“, glaubt Rehbach. Häufig wollten die Patienten diese Behandlungen gar nicht, würden aber als nicht zurechnungsfähig abgestempelt und nicht ernst genommen. „Dabei bezahlen die das alles im Grunde doch. Man sollte sie als Kunden sehen und wertschätzen.“

Dazu kommen auch die hilflosen Versuche vieler Krankenhausträger, Personal auch im Ausland anzuwerben. Die deutsche Schwesternschülerin hat das selbst wiederholt erlebt. Oft würden Kräfte eingesetzt, noch bevor sie ihren Deutschkurs abgeschlossen hätten. „Die Patienten verstehen sie nicht. Und die Kollegen verstehen auch nicht, was die Patienten möchten. So machen sie einfach ihre Arbeit nach Schema F.“

Zudem vermisst die Schwesternschülerin medizinische Aufklärung. Die Folgen einer Behandlung und wie man sich danach verhalten solle, würden kaum vermittelt. Für solche Gespräche bleibe selten Zeit. Auch gesellschaftlich gebe es Defizite. Rehbach ist sicher: „Wenn im Supermarkt wie mit den Bildern auf Zigarettenpackungen auch vor zu viel Fleischkonsum gewarnt würde, würden viele Menschen später gar keinen Darmkrebs entwickeln.“

Im nächsten Jahr wird die junge Bonnerin nach ihrer Prüfung in den regulären Dienst wechseln. Ihre Ideale hat sie noch nicht aufgegeben. Allerdings möchte sie künftig mit Kindern arbeiten. Die haben meist ein Elternteil als Begleitung dabei. „Das macht vieles einfacher – für alle Seiten“, sagt Rehbach.

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