Migration in Bonn Kriegsflüchtling aus Syrien wartet auf seine Familie

Bonn · Langwierige Verfahren in Verwaltung und Justiz haben den Nachzug der Verwandten von Naief Taan Alkhalid verzögert. Jetzt könnte es dafür zu spät sein.

Für ein Glas süßen Tee ist Platz in der kleinsten Hütte. Ungefragt hängt Naief Taan Alkhalid Teebeutel in schmucklose Gläser mit Henkel und gießt heißes Wasser darüber. Es geht um seine Zukunft, sein Leben und das seiner Frau Ghanam Salma, seiner Tochter Raghad und seines Sohnes Abdrahman. Ihre Chancen auf einen Neuanfang fern des ausweglos scheinenden Bürgerkriegs sind gestiegen, aber dann auch wieder nicht. „Schwierig“, sagt Alkhalid. Dieses deutsche Wort hat der Syrer schon gelernt. Erstmal kocht er Tee. Abwarten und Tee trinken, sagt man schließlich in Deutschland.

Die Binnen-Düne in Alt-Tannenbusch ist ein Naturschutzgebiet mitten in der Stadt. Ringsum haben die amerikanischen Besatzer kasernenartige Bauten hinterlassen. Einige Häuser haben einzelne Zimmer mit Gemeinschaftsduschen und einer zentralen Küche. „Früher schliefen dort Fahrer oder Boten, die nur kurz in Bonn waren“, sagt Anwohner Norbert Höfer, der sich ehrenamtlich bei den Dünenfüchsen für den Zusammenhalt im Quartier engagiert. Jetzt wohnt dort Naief Taan Alkhalid neben Migranten aus Afghanistan, Nigeria oder Algerien.

Ein verschlissener roter Orient-teppich, eine Schlafcouch, Kühlschrank, Mikrowelle, ein Regal und ein kleiner Fernseher vermitteln nicht eben den Eindruck von Wohlstand. „Niemand gibt doch grundlos sein Zuhause auf. Hier wartet nicht das Paradies“, sagt Höfer, der zum Übersetzen Beistand leistet.

Ältester Sohn floh in den Libanon

Alkhalid hatte Gründe. 2013 klopften Mitglieder einer Volksmiliz des Assad-Regimes an die Haustür in seinem Heimatdorf bei Homs. Im Auftrag des Diktators wollten sie den damals 44-Jährigen und seinen ältesten Sohn im Kampf gegen ihre Gegner rekrutieren. Kurze Zeit später hätten Kämpfer der Shabia-Miliz seinen ältesten Sohn entführt, um ein Lösegeld zu erpressen. Der Textilarbeiter in einer Uniformfabrik, ein Araber und sunnitischer Muslim, zahlte eine Million syrische Pfund, umgerechnet rund 1500 Euro, eine Menge Geld für ihn.

Trotzdem marschierte drei Tage später die Jugendmiliz von Diktator Baschar al-Assad auf und forderte nun das Haus. Der älteste Sohn floh direkt in den Libanon. Der Rest der Familie wohnte noch 18 Monate in einem von der radikal-islamischen Al-Nusra-Brigade kontrollierten Gebiet im Norden. Dann ging die Familie in die Türkei. Alkhalid selbst schlich sich über die grüne Grenze.

13 K 6600/17.A – diese Chiffre bestätigt Alkhalids Geschichte. Unter diesem Aktenzeichen hat die 13. Kammer am Verwaltungsgericht Köln dem Syrer in einem 23-seitigen Urteil von Mitte Januar Recht gegeben. Einen Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hob die Kammer auf. Seine Bonner Anwältin Barbara Pitzen, die viele Asylverfahren begleitet, hatte zuvor auf eine mündliche Verhandlung verzichtet, um das Verfahren zu beschleunigen. Auch schriftlich äußerte sich die Behörde nicht. „Unter normalen Umständen wäre es sonst erst im August oder September zu einem Urteil gekommen“, sagt Pitzen.

Alkhalid will als Busfahrer arbeiten

Alkhalid ist jetzt anerkannter Flüchtling. Als wehrdienstfähiger Mann sei er in Syrien politisch gefährdet, glaubt das Gericht – im Unterschied zum nächsthöheren Oberverwaltungsgericht Münster. Doch die Einspruchsfrist der Behörde ist abgelaufen. Nur mit der entsprechenden Urkunde könne es dauern, schrieb ihm seine Anwältin. Das Bundesamt lasse sich damit „gerne sehr viel Zeit, um den Familiennachzug weiter hinauszuzögern“. „Schwierig“, sagt Alkhalid.

Von den Beschlüssen der geschäftsführenden Regierung ist der Syrer in Bonn zunächst nicht betroffen, denn er hat weder nur eine Duldung noch subsidiären Schutz. Wenigstens die nächsten drei Jahre darf er in Deutschland bleiben. Damit kann er auch seine Kernfamilie nachholen. Frau und Kinder sitzen im türkischen Kilis auf gepackten Koffern. Gerne wäre gleich die ganze Familie nach Deutschland gekommen. Alkhalid sagt, er habe aber nur die 1200 US-Dollar für eine Fahrt über die Balkan-Route gehabt.

Gerne möchte der Syrer, der jüngst an Diabetes erkrankt ist, mit seiner Familie ein neues Leben beginnen. Als Busfahrer will er vielleicht arbeiten oder in einem Postverteilzentrum. Seit Mai darf er einen Sprachkurs besuchen. Der Erfolg ist bislang überschaubar. In Tannenbusch genießt er die Ruhe und die Grünflächen. Aber die Familie fehlt. Kontakt gibt es seit zwei Jahren nur am Telefon. Und das könnte womöglich noch länger so bleiben. Abdrahman, der jüngste Sohn, ist am 19. Januar 18 Jahre alt geworden. Damit ist er volljährig. Nach dem Ausländerrecht erlischt damit sein Recht auf Familiennachzug. Soll der junge Mann nun allein im Lager in Kilis bleiben?

Alkhalid ist sichtlich angeschlagen. Die Mühlen der Verwaltung und Justiz haben zu langsam gemahlen. Nur neun Tage lagen zwischen dem Urteil aus Köln und dem Stichtag für seinen Sohn. Jetzt kann die Familie nur hoffen, dass ein Sachbearbeiter Abdrahman als außergewöhnlichen Härtefall anerkennt. „Die Chancen stehen schlecht“, sagt seine Anwältin, „Bürgerkrieg ist keine außergewöhnliche Härte“. Wenn sich für Abdrahman der Schlagbaum nach Deutschland nicht öffnet, möchte auch seine Mutter Ghanam Salma lieber gar nicht kommen. Nachdem der Krieg ihnen ihr Zuhause genommen hat, wolle sie nicht noch ihre Kinder verlieren, sagt ihr Mann. Schwierig alles. Bleibt nur Abwarten und Tee trinken.

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