Fabio Sánchez Copane und Thomas Rauch von Volt „Alle großen Probleme müssen grenzübergreifend gedacht werden“

Interview | Bonn · Die junge Partei Volt will grundlegende Reformen anstoßen. Im Interview erläutern die Kandidaten für die NRW-Landtagswahl Fabio Sánchez Copano und Thomas Rauch ihr Wahlprogramm.

 Fabio Sánchez Copano und Thomas Rauch treten für Volt bei der Landtagswahl in NRW an.

Fabio Sánchez Copano und Thomas Rauch treten für Volt bei der Landtagswahl in NRW an.

Foto: Meike Böschemeyer

Sie sitzen im Bonner Stadtrat und im niederländischen Parlament. Jetzt will die junge Partei Volt, die gleichzeitig auch eine europäische Bewegung ist, auch in den NRW-Landtag einziehen. Mit Nicolas Ottersbach sprachen die Bonner Kandidaten Fabio Sánchez Copano und Thomas Rauch darüber, welche Rezepte sie gegen steigende Mieten haben, weshalb das Land den Strukturwandel im Ruhrgebiet bewältigen muss und aus welchen Gründen sie an einer Maskenflicht festgehalten hätten.

Was unterscheidet Sie eigentlich von den Grünen?

Fabio Sánchez Copano: Der größte Unterschied ist unser weitgehend ideologiefreier, offener, pragmatischer Ansatz. Bestes Beispiel ist die Atomkraft. Es gibt viele Contra-, aber auch Pro-Argumente. Wenn man sich den Klimawandel anschaut, muss man technologieoffen schauen, was die Möglichkeiten sind. Für Deutschland ist Atomkraft keine Option mehr, aber Frankreich ist darauf angewiesen.
Thomas Rauch: Wir wollen einen europäischen Bundesstaat, der zunehmend Entscheidungen fällt, die heute noch von den Nationen gefällt werden. Alle großen Probleme müssen grenzübergreifend gedacht werden. Die Grünen haben ein anderes Thema, mit dem sie groß geworden sind.

Es gibt noch eine Sache, die Sie von den Grünen unterscheidet. Die sitzen im Landtag, Sie nicht. Was machen Sie, wenn Volt nicht in den Landtag einzieht?

Sánchez: Das wäre nicht schlimm. Wir verstehen uns nicht nur als Partei, sondern auch als Bewegung. Ein Mitglied von Volt hat zum Beispiel eine Hilfsorganisation gegründet, die Spenden für die Flüchtlingscamps in Lesbos gesammelt hat. Wenn es nicht für den Landtag reicht, dann machen wir außerparlamentarisch Druck, um das Thema Europa voranzubringen.

Europa, schön und gut. In NRW sind aber Kita-Plätze rar, Erzieherinnen und Erzieher fehlen. Wie wollen Sie dieses Problem angehen?

Sánchez: Wir müssen das Berufsbild attraktiver machen. Das betrifft die Vergütung von Erzieherinnen und Erziehern, aber auch ihre Qualifikation ist wichtig. Wir brauchen mehr Studienplätze für Soziale Arbeit. Es ist hierfür genauso schwierig, einen Platz zu bekommen, wie für Psychologie. Gleiches gilt für die Ausbildungsplätze, da braucht es mehr Förderung für die Betriebe. Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz funktioniert nur, wenn genügend Personal da ist.

Ist das eine Sache, die man schnell umsetzen kann?

Sánchez: Da muss man ehrlich sagen, dass wird wahrscheinlich nicht von heute auf morgen passieren. Das ist bei Fachkräftemangel immer so. Aber wir müssen jetzt beginnen, damit die Probleme in zehn Jahren gelöst sind.

Volt hat sich schon bei der Kommunalwahl für Digitalisierung stark gemacht. Im Klassenzimmer hapert es noch. Wie wollen Sie die Digitalisierung in den Schulen vorantreiben?

Rauch: Wir sind nicht da, wo wir schon längst sein sollten. Das hat die Pandemie gezeigt. Letztendlich ist es ein reines Investitionsthema. Wir haben seit vielen Jahren in NRW zu geringe Bildungsinvestitionen im Verhältnis zu den anderen Bundesländern, doch die Herausforderungen sind in allen Bundesländern gleich. Wir reden hier nicht nur von Tablets sondern von einer schulübergreifenden IT-Infrastruktur.

Und die Lehrer? Die müssen sich ja auch damit auskennen.

Sánchez: Wir dürfen die Lehrkräfte nicht alleine lassen. Die brauchen IT-Personal, das die Technik betreut. Durch bezahlte Fortbildungen muss man die Lehrkräfte zusätzlich befähigen.

Ein typisches Bonner Thema ist seit Jahren der Tausendfüßler. Halten Sie den Ausbau auf sechs Spuren ohne Radweg für die richtige Entscheidung?

Sánchez: Wir müssen wegkommen vom alleinigen Fokus auf das Verkehrsmittel Auto. Aber es wird immer Situationen geben, in denen man den motorisierten Individualverkehr braucht, vor allem in ländlichen Strukturen. Wenn wir Investitionsprojekte schnüren, die vor allem auf das Auto spezialisiert sind, wird das dazu führen, dass wir immer mehr Autos bekommen. Damit wird sich das Stauproblem nicht lösen. Natürlich muss es die Option geben, dass Menschen Autos nutzen können – in Zukunft natürlich gerne E-Autos. Aber es gilt die Vernetzung zu fördern, zum Beispiel mit Park and Ride. Viele Menschen würden auf Busse und Bahnen umsteigen, wenn die Tickets günstig wären. Zudem muss das Angebot passen.

Wie hätten Sie sich positioniert: Eine Autospur für den Radweg opfern oder nicht?

Rauch: Wenn dort oben jetzt eine Fahrradtrasse langläuft, ist das dann ein Mehrwert für das innerstädtische Radwegenetz? Eher nicht. Insofern kann ich sehr gut mit diesem sechsspurigen Ausbau leben. Wir sollten uns lieber auf die Themen konzentrieren, die wir konkret in der Stadt beeinflussen können. Das Rheinufer, den City-Ring oder auch die Seilbahn. Wir wollen jetzt die Verkehrswende. Wir wollen eine Verkehrsberuhigung der Innenstadt. Wir wollen mehr Möglichkeiten für Fußgänger und Radfahrer schaffen und den Verkehr insgesamt entlasten.

 Der Öffentliche Nahverkehr in Wien gilt als einer der besten in Europa. Busse und Bahnen fahren hier im Minutentakt, eine Jahreskarte gibt es für 365 Euro im Jahr.

Der Öffentliche Nahverkehr in Wien gilt als einer der besten in Europa. Busse und Bahnen fahren hier im Minutentakt, eine Jahreskarte gibt es für 365 Euro im Jahr.

Foto: Nicolas Ottersbach

In Wien gibt es ein Ticket für 365 Euro im Jahr, hier steigen die Preise dagegen stetig. Muss das Land NRW stärker eingreifen, um die Fahrgäste finanziell zu entlasten?

Sánchez: Ja. Vor allem müssen die Verkehrsbetriebe weg davon, allein gewinnorientiert zu arbeiten. Das Land NRW muss den ÖPNV stärker unterstützen, zudem muss das Angebot vereinfacht werden. Wir haben für ganz NRW mehrere Verkehrsverbünde mit komplett unterschiedlichen Tarifen. In Berlin und Brandenburg gibt es eine einzige Tarifzone.

In Österreich kann man für rund 1000 Euro alle öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Wäre das nicht auch was für NRW?

Rauch: Auf jeden Fall. Wir sind ein großes Bundesland, aber extrem vernetzt. Jede Stadt geht in die nächste über. Es ist logisch, dass wir irgendwann zu so einem Ticket kommen. Jeder hat auch mal außerhalb der eigenen Stadt Notwendigkeiten und es gibt Millionen von Pendlern.

In Wien fahren alle drei Minuten Bahnen. Haben wir da auch Nachholbedarf?

Sánchez: Ich glaube schon. Es gibt ja gute Konzepte, sogenannte Achterlinien zum Beispiel. Die fahren eine Acht und drumherum eine Ringlinie. Da wären viele Stationen und Städte abgedeckt. Auf den Hauptlinien gibt es dann Züge, die alle drei Minuten kommen. Das fällt unter den großen Titel intelligente Netze.

In Bussen und Bahnen gilt noch eine Maskenpflicht. Sonst sind die Corona-Maßnahmen sehr locker. Hätten Sie NRW zu einem Hotspot erklärt, um Maskenpflicht und andere Schutzmaßnahmen aufrecht zu erhalten?

Rauch: Definitiv. Gewisse Parteien versuchen mit den Lockerungen im Wahlkampf zu punkten. Die Infektionszahlen sind aber immer noch dramatisch hoch. Da ist die Maske Pflicht und die einfachste Übung.

Sánchez: Als Notfallsanitäter bin ich sehr durch das Thema betroffen. Man sieht die Zahlen nicht auf den Intensivstationen, aber das Personal, was für alle Patienten zuständig ist, wird jetzt auch krank und fehlt. Viele Arztpraxen laufen am Limit. Die Maske schränkt kaum ein, schützt aber perfekt.

Was kann denn das Land NRW tun, um den Anstieg von hohen Mieten zu bremsen?

Rauch: Wir haben wirklich eine schwere Krise auf dem Wohnungsmarkt. Leider gibt es dafür kein Patentrezept. Unsere Forderung ist unter anderem, dass die öffentliche Hand insgesamt aktiver werden muss. Sie ist immer weniger als Bauherr aufgetreten und der soziale Wohnungsbau wurde zurückgefahren. Es müssen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften gefördert und die bürokratischen Hemmnisse aus dem Weg geräumt werden. Vielleicht erleben wir eine Renaissance von Werkswohnungen. Die könnte man attraktiver machen, indem man Unternehmen steuerliche Anreize bietet. Für den privaten Wohnungsmarkt wollen wir eine neue Wohngemeinnützigkeit einführen. Zudem brauchen wir eine Steuerung der Flächen. Potenziale dürfen nicht nur auf kommunaler Ebene, sondern müssen auch auf Länder-und auf Bundesebene erfasst und verknüpft werden. Das sind Lösungen, die eher mittelfristig greifen. Kurzfristig erfolgreich könnten Wohnraumtauschbörsen sein. Beispielsweise können Senioren, die in für sie zu großen Wohnungen leben, mit jungen Familien tauschen.

Sie sprechen viel über Europa, die Musik spielt aber in Düsseldorf. Was ist aus Ihrer Sicht bisher in Düsseldorf gut gelaufen und was schlecht?

Rauch: Ich fand gut, dass wir jetzt ein Fach Wirtschaft an weiterführenden Schulen haben. Was ich nicht gut fand, war die die Pandemie-Bekämpfung. Da hatten wir sehr viel unklare Linien bezüglich der Kitas und Schulen. NRW ist das größte Bundesland, gefolgt von Baden-Württemberg und Bayern. Wir stehen in den wirtschaftlichen Eckdaten mit Abstand am schlechtesten unter diesen dreien da. Ich habe auch von der CDU-FDP-Regierung, die sich immer auf die Fahnen schreibt, den Mittelstand zu fördern, Investitionen zu fördern, die Wirtschaft voranzubringen, keine spürbaren Verbesserungen bemerkt. Meines Erachtens liegt die Top-Priorität im Ruhrgebiet. Wenn wir da nicht beginnen, die sehr partikularen Interessen endlich zu bündeln - das ist weniger eine Frage der Wirtschaft als der Politik und der Verwaltung - werden wir mit dem Strukturwandel nie auf die Überholspur kommen.

Jetzt gehen wir mal davon aus, Sie ziehen in den Landtag ein. Wo wollen Sie sich besonders einbringen? Was sind Ihre Ziele und wie wollen Sie die erreichen?

Sánchez: Bei mir ist es aufgrund des beruflichen Kontextes die Gesundheitspolitik. Sie wird wirklich vernachlässigt, wir haben strukturelle Probleme. Die Patienten werden immer mehr, das Personal immer weniger.
Rauch: Ich setzte mich vor allem für Strukturfragen ein. Unser Einsatz für Europa ist vielfach ein Einsatz für grundlegende Reformen und neue Strukturen in den Gebietskörperschaften. Das kann man auch auf NRW runterbrechen. Die Regierungsbezirke sollten neu geordnet werden. Ein Großteil der Landespolitik wird auch nicht in Düsseldorf sondern im Bundesrat in Berlin gemacht. Wir wollen starke Bundesländer, die wirklich eigene Kompetenzen entwickeln können und auch ein bisschen im Wettbewerb stehen. Zusammen mit einer vielleicht reduzierten Anzahl von Bundesländern wäre dies eine wirkliche Föderalismusreform.

Warum sollten die Bonner Sie wählen?

Sánchez: Weil ich für ein Themenfeld einstehe, in dem ich Erfahrung habe. Ich bin eine Stimme für die Menschen, für die die Gesundheitspolitik lange vernachlässigt worden ist und die großen Verbesserungsbedarf sehen.
Rauch: Ich arbeite seit vielen Jahren im Bankwesen und dort inbesondere im Risikomanagement. Deswegen sind die Finanz- und Wirtschaftsthemen mein Gebiet. Ich bin kein Berufspolitiker und wir sind eine junge Partei. Aber ich finde, es zählt allein, welche Kompetenzen man mitbringt, und nicht wie lange man ein Parteibuch hat oder wen man gerade so kennt.

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