Bonner Grünen-Kandidaten Julia Höller und Tim Achtermeyer „Wir brauchen einen Booster für die erneuerbaren Energien“

Interview | Bonn · Die Direktkandidaten der Bonner Grünen Julia Höller und Tim Achtermeyer wollen vorausschauende Politik im Land machen. Klimakrise und Artenvielfaltskrise beschäftigen sie besonders.

 Im GA-Interview: Tim Achtermeyer und Julia Höller kandidieren für die Grünen in den Bonner Landtagswahlbezirken.

Im GA-Interview: Tim Achtermeyer und Julia Höller kandidieren für die Grünen in den Bonner Landtagswahlbezirken.

Foto: Benjamin Westhoff

Julia Höller und Tim Achtermeyer treten bei der Landtagswahl am 15. Mai als Direktkandidaten der Bonner Grünen an.

Was ist aus Ihrer Sicht in den vergangenen fünf Jahren gut in Düsseldorf gelaufen und was schlecht?

Dr. Julia Höller: Gut gelaufen ist ein Veränderungsprozess aus meinem Themenfeld, der schon vor 2017 angestoßen wurde: die Einstellungszahlen bei der Polizei. Da sagen auch wir als Grüne: Das wollen wir beibehalten, das wollen wir unbedingt verstetigen.

Tim Achtermeyer: Schlecht gelaufen ist, dass NRW zu einer Art Verwaltungsebene degradiert wurde. Es werden mal hier Projektmittel reingegeben und mal da, aber aus meiner Sicht fehlt die Vision, wo diese Landesregierung eigentlich hin will. Wie reagieren wir auf die Klimakrise? Wie kriegen wir die Verkehrswende in Nordrhein-Westfalen hin? Da brauchen wir ambitioniertere Pläne.

Höller: Ich habe die Zeit aus zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven erlebt. Anfang dieses Jahres war ich im Corona-Krisenstab der Bundesregierung tätig, da habe ich die sehr professionelle Arbeit seitens des Bundes wahrgenommen. Auf der anderen Seite bin ich auch Mutter von zwei kleinen Kindern und habe festgestellt: Im Krisenmanagement des Landes fehlte die Perspektive von Familien. Gerade wenn es jetzt um die Fragen von Hotspot-Regelungen oder Maskenpflicht in Schulen und Innenräumen geht, fehlt mir der Schutz der Schwächeren.

Gibt es Themen, mit denen Sie sich im Land besonders einbringen möchten?

Achtermeyer: Ganz entscheidend unter den aktuellen globalen Vorzeichen ist, dass wir unabhängig werden von russischem Gas im Besonderen und fossilen Brennstoffen im Allgemeinen. Dafür müssen wir jetzt einen echten Booster für die erneuerbaren Energien vorantreiben, das heißt auch, dass die Abstandsregel von 1000 Metern für die Windenergie fallen muss. Wir haben in Nordrhein-Westfalen Abstandsregeln für Mülldeponien von 500 Metern. Dieser Unterschied ist nicht erklärbar. Und wir brauchen Photovoltaik auf jedem verfügbaren Dach in NRW.

Höller: Mein Motto ist „NRW krisenfest machen“. Das ist auch der Schwerpunkt, wo ich mich unbedingt einbringen möchte. Ich habe jahrelange Berufserfahrung in dem Themenfeld, und ich glaube, dass wir in NRW eine Politik brauchen, die in ganz vielen Themenfeldern vorsorgt. Wir stehen vor der größten Krise, der Klimakrise. Da ist es sehr, sehr wichtig, dass wir vorausschauend denken und eine Politik machen, die für unsere Kinder und für unsere Enkelkinder ist.

Höller: Ich sehe jeden Tag, was für einen hervorragenden Job Erzieherinnen und Erzieher machen, unter wahnsinnig herausfordernden Bedingungen, gerade in der Pandemiezeit. Wir müssen an den Mangel von verschiedenen Seiten aus ran, das ist ein strukturelles Problem. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir Kitas als multiprofessionelle Teams aufstellen. Wir brauchen Menschen, die die Erzieherinnen und Erzieher von Verwaltungsaufgaben entlasten, wir brauchen Menschen, die in der Küche arbeiten, wir brauchen Heilpädagoginnen und Logopäden. Alle zusammen bilden ein gutes Team. Und wir müssen gucken, dass der Personalschlüssel, der berechnet wird, auch der Lebensrealität entspricht. Durch diese vielen kleinen Stellschrauben würde man auch die Attraktivität des Jobs erhöhen.

Digitalisierung an Schulen ist ein weiteres wichtiges Thema...

Achtermeyer: Auf jeden Fall. Ich finde, ein Grundfehler der aktuellen Digitalisierungsstrategie des Landes ist, dass man denkt, Digitalisierung wäre eine einmalige Investition.

So nach dem Motto: Jetzt haben doch alle Tablets.

Achtermeyer: Ja, aber es reicht eben nicht aus, dass die meisten Kinder jetzt ein Tablet im Schulranzen haben. Man muss sicherstellen, dass die Software aktualisiert und die Datenspeicherung gut organisiert wird, dass man Medienpädagogik macht und die Geräte irgendwann austauscht. Da sind wir erst am Anfang, denn Digitalisierung ist am Ende eine kontinuierliche Transformation. Diese Auffassung von Digitalisierung vermisse ich aktuell.

Höller: Wenn es beispielsweise um Fördermittel geht, müssen wir die Kommunen für eine kontinuierliche Aufgabe ausstatten, statt wahnsinnig komplizierte Förderprogramme aufzusetzen.

Ist das Land ein verlässlicher Partner für Kommunen?

Achtermeyer: Aktuell ist es so, dass die Landesregierung uns in Bonn finanziell nicht genug unterstützt. Die Änderung der Kommunalfinanzierung bedeutet für Bonn Millionen weniger Einnahmen. Ein anderes Beispiel: Wenn wir hier in Bonn die Verkehrswende vorantreiben wollen, dann muss das Land mit einsteigen bei der ÖPNV-Finanzierung. Das tut es aktuell nicht. Und wenn wir Radwege planen, dann hören die Radfahrer nicht an der Stadtgrenze auf und steigen vom Fahrrad ab. Sie wollen weiterkommen. Da gibt es den Plan in NRW, ein überregionales Radnetz zu bauen. Von den sieben geplanten Radschnellwegen ist einer befahrbar, und von diesem sind 115 Kilometer geplant und erst 15 Kilometer fertig. Das zeigt den Fokus der aktuellen Landesregierung in Verkehrsfragen. Wir müssen den Fokus von der Verbreiterung von Autobahnen, beispielsweise dem Tausendfüßler, hin zur ÖPNV-Finanzierung und zu Radschnellwegen legen.

Wie wollen Sie den Wohnungsbau in NRW fördern?

Höller: Wir haben gerade in den Ballungsräumen ein Problem mit bezahlbarem Wohnraum. Auch da ist es so, dass das Land durchaus die Spielräume hätte, Rahmenbedingungen zu setzen. Das Land muss diese Spielräume endlich nutzen. Es kann beispielsweise durch die Ausweitung der Mietpreisbremse agieren oder eigene Flächen und Gebäude den Kommunen zur Verfügung stellen, statt an den Meistbietenden zu verkaufen. Wir müssen davon wegkommen, dass derjenige die Fläche bekommt, der am meisten dafür zahlt. Stattdessen muss das Gemeinwohl gestärkt werden. Wir müssen nicht nur ökonomische, sondern auch soziale, städtebauliche und ökologische Kriterien berücksichtigen. Dann profitieren alle davon. Mietraum darf nicht länger Spekulationsobjekt sein.

 Das Tarifsystem im ÖPNV soll einfacher werden, so die Grünen.

Das Tarifsystem im ÖPNV soll einfacher werden, so die Grünen.

Foto: Benjamin Westhoff

Auch Tickets für den ÖPNV sind in unserer Region relativ teuer, vor allem wenn man über die Stadtgrenzen fährt. Muss das Land in die Finanzierung einsteigen?

Achtermeyer: Aktuell zahlen die Kommunen und die Fahrgäste. Das reicht bei Weitem nicht, denn wir müssen ja sowohl das Angebot ausweiten als auch die Preise senken. Das sind zwei große Aufgaben gleichzeitig. Das geht nur, wenn das Land sich dauerhaft daran beteiligt. Das System der Verkehrsverbünde ist nur für die wenigsten Menschen verständlich. Wir brauchen ein einheitliches Ticketsystem.

Was halten Sie vom geplanten 9-Euro-Ticket?

Achtermeyer: Das 9-Euro-Ticket ist ein guter Anlass, dieses System aufzuweichen und Tarife verbundübergreifend zu denken. Aber auch da brauchen wir wieder die kontinuierliche Förderung vom Land, damit so ein Angebot nicht nur in Krisenzeiten da ist, sondern auch grundsätzlich.

Kritiker sagen, dass die Bahnen ohnehin schon überfüllt sind, vor allem im Berufsverkehr. Ist es möglich, die Kapazitäten da auszuweiten?

Achtermeyer: Ja. Aber nicht von heute auf morgen, weil über Jahrzehnte das Thema Ausbau des ÖPNV verschlafen wurde. Es wurde kaum in die Schiene investiert. Das müssen wir jetzt zügig nachholen.

Was sind die Themen auf der grünen Agenda, für die Sie persönlich besonders stehen?

Höller: Das dringendste Thema unserer Zeit ist die Klimakrise. Es ist ganz spannend, dass im Wahlkampf alle Parteien wieder über den Klimawandel und die Klimakrise reden. Aber es gibt nur eine Partei, die nachher dafür steht, diese Maßnahmen umzusetzen, und das sind wir. Wir brauchen die Energiewende, wir müssen aus der Kohle aussteigen, wir müssen wirklich in erneuerbare Energien investieren. Dann kommen wir, wenn wir das sozialverträglich machen, zu einem klimagerechten Wohlstand. Das ist unser wichtigstes Projekt für die kommende Legislatur.

Achtermeyer: Die aktuelle Landesregierung stellt Städte finanziell schlechter als den ländlichen Raum. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass Städte wie Bonn stärker vom Land unterstützt werden. Ein anderes Herzensthema von mir ist, die Kulturfinanzierung anders aufzustellen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen den bundesweit höchsten Anteil von Kulturkosten, den die Kommune am Ende trägt. Aus meiner Sicht muss das Land sich stärker vor die Kultur stellen und noch stärker bei der Kulturfinanzierung mit einsteigen.

Wo sehen Sie die Stärken unserer Region in NRW?

Höller: Bonn als internationale Stadt ist ein ganz wichtiger Standortfaktor, den wir unterstützen wollen. Die Vielfalt der international tätigen Organisationen ist auch für NRW einmalig. Die Region ist außerdem ein großer Innovationsstandort, sowohl auf der Unternehmensebene, als auch in Kultur und Wissenschaft.

Ein aktuell diskutiertes Projekt, das nicht ohne Landesförderung funktionieren wird, ist die Neugestaltung des Bonner Rheinufers.

Achtermeyer: Man muss Bonn zum Rhein hin öffnen. Wenn man sich anguckt, was Städte nördlich und südlich von uns gemacht haben, dann hängen wir hinterher. Ich bin sehr froh, dass wir eine Oberbürgermeisterin und eine Ratsmehrheit haben, die so mutig ist, mal etwas zu ändern.

Höller: Wir sind im Moment ganz viel auf der Straße unterwegs und sprechen mit Bürgerinnen und Bürgern. Wir bekommen sehr viel gutes Feedback zu den von Ratsmehrheit und OB angestoßenen Projekten. Die Menschen sagen, hier passiert endlich etwas.

Warum sollen die Bonner Sie direkt in den Landtag wählen?

Achtermeyer: Die großen Krisen wie die Klimakrise und die Artenvielfaltskrise lassen sich nur mit Grünen lösen. Wir sind die, die mutig umsetzen. Ich trete für diese Stadt mit meinem ganzen Herzen ein, ich mache seit zwölf Jahren hier Kommunalpolitik und möchte für Bonn arbeiten, im besten Fall ab dem 15. Mai in Düsseldorf.

Höller: Ich möchte meine langjährige Berufserfahrung im Bevölkerungsschutz und im Krisenmanagement einbringen, für eine vorausschauende, vorsorgende Politik in NRW. Ich stehe dafür, dass wir die Generationengerechtigkeit im Blick haben. Wir treffen für unsere Kinder und Enkelkinder die Entscheidungen für morgen und für übermorgen.

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