Ungewöhnliche Aktion zum Tag des Buches Lektüre auf die Hand

Bonn · Postbotin Stefanie Salzmann gibt einen Tag die Bücherfee und verschenkt in der Bonner City Literatur. Nicht jedem der Passanten gefällt das.

 Postbotin Stefanie Salzmann verchenkte 25 Neuerscheinungen an Bonner Passanten. Auch Christina Gialouris und Sohn Noa durften sich etwas aussuchen.

Postbotin Stefanie Salzmann verchenkte 25 Neuerscheinungen an Bonner Passanten. Auch Christina Gialouris und Sohn Noa durften sich etwas aussuchen.

Foto: Martin Wein

Große, kleine, dicke, dünne, schlaue und weniger schlaue: Rund 90 000 Bücher kommen Jahr um Jahr neu in den deutschen Handel. Doch angeblich liest die ja niemand mehr, heißt es. Nach Informationen der Frankfurter Buchmesse lag Lesen bei Freizeitbeschäftigungen 2015 auf Platz 14.

Andererseits macht die Branche noch immer mehr als neun Milliarden Euro Umsatz jährlich. Kurz vor dem Welttag des Buches am kommenden Sonntag macht Stefanie Salzmann am Dienstagmorgen in der Bonner City die Probe aufs Exempel. Die Stiftung Lesen und der Post-Konzern als Sponsoren einer bundesweiten Aktion haben der Postbotin 25 Neuerscheinungen in die Fahrradtaschen gepackt. Mit denen darf sie Passanten beglücken – einfach so. Ob die sich freuen?

„Ich mache gerne mal so etwas mit“, sagt Salzmann, die sonst mit Taschen voller Rechnungen, Werbesendungen und Briefen durch die Innenstadt zieht. Charlotte Link, J. R. Tolkien, Kriminalromane – die 43-Jährige greift wie etwa jeder fünfte Deutsche auch selbst regelmäßig zur Feierabendlektüre. „Ich würde hier schon fündig“, meint sie.

„Ich habe lange kein echtes Buch mehr in der Hand gehabt“, sagt die erste Passantin entschuldigend. Sie lese nur noch E-Books. Die kaufe sie im Internet. „Fast etwas schade“, sagt sie achselzuckend. Den „Lehrling des Magiers“ nimmt sie aber doch mit nach Hause. Die zweite Dame greift zielsicher zu „Totenfang“ von Simon Beckett, nachdem ihr die Tochter routiniert die Lesebrille gereicht hat. „Den kenne ich schon“, freut sie sich. Im Urlaub lese sie jeden Tag ein neues Buch. Nach der Arbeit sei sie meist zu kaputt.

Zeit für einen Fantasy-Schmöker

Andere sind deutlich skeptischer. Ein Geschenk auf der Straße schreit ja förmlich nach dem Hinterhalt. Ein älterer Herr wühlt lustlos im Angebot. „Ein Krimi über Naturwissenschaften – na gut“, sagt er und zieht davon. Andere wollen von Gedrucktem nichts wissen. „Bei so viel Papier wird man ja irre“, ruft eine Frau. „Ich hätte mir das einfacher vorgestellt“, sagt Bücherfee Salzmann.

Ein Familienvater mit einer Jumbotüte Mäusespeck in der Hand nimmt sich dagegen lächelnd Jan Weilers Bericht „Im Reich der Pubertiere“. „Das kommt mir gerade recht“, sagt er schmunzelnd, während seine Tochter im Hintergrund eine Grimasse schneidet.

Christina Giralouris ist mit Sohn Noa in der Stadt. Der Grundschüler bekommt das Welttags-Buch „Das geheimnisvolle Spukhaus“ von Henriette Wich geschenkt. Insgesamt 1,2 Millionen Mal haben die Sponsoren es drucken lassen und zudem für Migrantenkinder mit einer Bildergeschichte ergänzt. Ein Traum für jeden Autor. „Wir lesen jeden Tag“, sagt Giralouris. Eine Gutenacht-Geschichte gehöre zum Familienalltag. So war es schon bei ihren Eltern. Für sich selbst sucht die Mutter in Salzmanns Schatzkiste eher nach Unkonventionellem. Der Aufdruck „Spiegel-Bestseller“ sei schließlich kein Qualitätsbeweis.

Einen Klassiker hätte gerne auch ein junge Mann, der seinen kleinen Sohn unter der Sweatshirtjacke spazieren trägt. Aus Bayern will er im Oktober zu seiner Freundin nach Bonn ziehen. „Und jetzt gibt es hier schon ein Buch geschenkt. Das ist doch ein guter Einstand.“ Für einen Fantasy-Schmöker sei schließlich immer Zeit.

Welttag des Buches - Zahlen und Fakten zum Buchmarkt

Deutschland ist ein Land der Leser. Als weltweit zweitgrößter Buchmarkt verfügt die Bundesrepublik über eine sehr vielfältige Struktur von Autoren, Verlagen und Buchhandlungen. Am kommenden Sonntag begeht die Branche bundesweit den "Welttag des Buches".

Wie hoch ist der Umsatz auf dem Buchmarkt?

Der Umsatz ging 2015 um 1,4 Prozent auf 9,2 Milliarden Euro zurück. Damit ist der Umsatz trotz großer Umbrüche und massiver Medienkonkurrenz seit zehn Jahren weitgehend stabil.

Wie viel Geld geben deutsche Haushalte für Bücher aus?

Private Haushalte haben nach den aktuellsten vorliegenden Zahlen im Jahr 2013 durchschnittlich 432 Euro für Bücher, Zeitungen und andere Druckerzeugnisse ausgegeben. Das entspricht 14 Prozent der 3132 Euro, die jährlich im Schnitt für Freizeit, Unterhaltung und Kultur aufgewendet werden. Für Romane, Sach-, Kinder- und Lehrbücher gaben die Haushalte laut Statistischem Bundesamt demnach 132 Euro aus.

Wo kaufen die Bundesbürger ihre Bücher?

Der wegen des Internets schon totgesagte klassische Buchhandel hat sich in den vergangenen Jahren überraschend gut behauptet. 2015 gewann er einen Marktanteil von 48,2 Prozent; im Jahr zuvor waren es allerdings noch 49,2 Prozent. Zugleich sank der Umsatz der rund 6000 stationären Buchhandlungen von 4,58 Milliarden Euro auf 4,43 Milliarden. Einen deutlicheren Umsatzanstieg von sechs Prozent verzeichnete der Internethandel: Er erzielte einen Umsatz von 1,6 Milliarden Euro und damit einen Marktanteil von 17,4 Prozent.

Wie entwickeln sich die E-Books?

E-Books gewinnen kaum noch zusätzliche Nutzer hinzu. Die Anzahl der E-Book-Käufer blieb mit 3,9 Millionen Menschen auf demselben Niveau wie 2014.

Wer kauft Bücher?

Laut Allensbach-Umfrage haben 2014 rund 60 Prozent der Bundesbürger mindestens ein Buch gekauft. 43 Prozent packten drei und mehr Bücher in den Einkaufskorb, 26 Prozent deckten sich mit fünf und mehr Büchern ein.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort