Nach gefährlicher Geisterfahrt in Bonn Kritik an der Sicherheit der Linie-66-Bahnübergänge

Bonn · Nach der Geisterfahrt der Linie 66 gibt es weiter Kritik an der Sicherheit der Bahnstrecke zwischen Sankt Augustin und Bonn. So sind die Bahnübergänge beispielsweise nicht überwacht. Bezirksregierung wartet unterdessen den Untersuchungsbericht ab.

 Bahnübergang Vilich-Müldorf: Hier sind die Schranken geschlossen, am Unglückstag hatte die Bahn jedoch ein solch hohes Tempo drauf, dass die Schranken wahrscheinlich geöffnet blieben.

Bahnübergang Vilich-Müldorf: Hier sind die Schranken geschlossen, am Unglückstag hatte die Bahn jedoch ein solch hohes Tempo drauf, dass die Schranken wahrscheinlich geöffnet blieben.

Foto: Benjamin Westhoff

Infolge der Geisterfahrt der Linie 66 wird die Kritik an der Sicherheit des Verkehrsmittels lauter. So werden die Bahnübergänge zwischen Sankt Augustin und Bonn nicht von der Leitstelle überwacht. Und lediglich magnetische Kontakte sind dafür zuständig, ob die Schranken schließen. Fahren die Bahnen zu schnell, sind die Schranken nicht rechtzeitig unten – was wahrscheinlich dafür gesorgt hat, dass sie bei der Geisterfahrt geöffnet blieben. Aber auch im regulären Stadtverkehr kommt es zu heiklen Situationen.

Bahnübergangsanlagen werden in der Regel als Inselsysteme betrieben, zumindest wenn es sich um Gleise von Straßenbahnen handelt. Die Männer und Frauen sind auf sich gestellt und fahren auf Sicht, beschleunigen und bremsen selbstständig. Die Leitstelle bekommt nur eine Meldung, wenn eine Anlage ausfällt – aber nicht, wann und von wem sie passiert wird.

Vereinfacht muss man sich das so vorstellen: Abhängig von der zulässigen Geschwindigkeit der Züge befindet sich ein Kontakt im Gleis, der die Bahnübergangstechnik aktiviert. Der Abstand zum Bahnübergang ist so berechnet, dass bei einer bestimmten Geschwindigkeit ausreichend Zeit für alle Schaltvorgänge und die Schrankenschließung bleibt. Hinter dem Bahnübergang befindet sich dann ein weiterer Kontakt, der die Schranken wieder hochfahren lässt. Ist der Zug zu schnell – für gewöhnlich ab einer Geschwindigkeit von etwa 40 Stundenkilometern – stimmt diese Berechnung nicht mehr.

Nach ersten Erkenntnissen war Bahn schneller unterwegs

Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Schranken bei der Geisterfahrt nicht geschlossen waren. Laut Polizei war sie nach ersten Erkenntnissen schneller unterwegs. Für einen langjährigen SWB-Bahnführer offenbart das Mängel: „Da ist alles passiert, was nicht hätte passieren dürfen.“ Und das, obwohl in den vergangenen Jahren immer wieder darüber diskutiert worden sei, ob der betroffene Streckenabschnitt nicht sicherheitstechnisch aufgerüstet werden müsse. Grundsätzlich sehen er und seine Kollegen die Linie 66 als sicher an, auch was die bisherigen Maßnahmen betrifft. „Aber jetzt sehen wir, dass es Lücken gibt, um die man sich kümmern muss.“ Schließlich könne es trotz regelmäßiger Gesundheitschecks jedem Fahrer passieren, dass er ohnmächtig werde. Dann müsse die Technik einspringen.

Wie diese Technik für die Bonner Straßenbahnen auszusehen hat, ist Sache der Bezirksregierung Düsseldorf, bei der die Technische Aufsichtsbehörde angesiedelt ist. Sie hält sich an die bundeseinheitliche Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung, kurz BOStrab. Und die besagt laut SWB-Sprecher Michael Henseler: „Die Sicherung einer Strecke mit Zugsicherungsanlagen ist nur notwendig, wenn die Bahnen im Tunnel fahren oder die Strecke für mehr als 70 Stundenkilometer ausgelegt ist.“ Auf allen übrigen Strecken – zum Beispiel zwischen Sankt Augustin und Bonn – dürften Bahnen auf Sicht gefahren werden.

Erst am Stadthaus, kurz bevor es in einen Tunnel geht, ändert sich das. Überfährt die Bahn hier ein rotes Stoppsignal, werden die Wagen automatisch angehalten. So ist es auch auf der Bahnstrecke Richtung Köln, da hier die Sicherheitsmaßnahmen der Deutschen Bahn gelten. Wie dort verfahren wird, konnte man zuletzt am Bahnübergang Ollenhauerstraße sehen, als die Schrankenanlage defekt war. Die Züge stoppten davor, hupten laut, und konnten nach einer Pause nur mit Schrittgeschwindigkeit weiterfahren.

Suboptimales Sicherheitsfahrsystem und supoptimale Bremsen

„Die Bahnen haben aktuell ein suboptimales Sicherheitsfahrsystem und suboptimale Notbremsen“, sagt Rainer Bohnet, Vorsitzender der Bonner Gruppe des Verkehrsclub Deutschland (VCD) über die Linie 66. Infrastrukturell gebe es keine Hauptsignale, so wie auf der Strecke Bonn-Köln, und zwischen Sankt Augustin und Bonn keine direkte Überwachung durch die Betriebsleitzentrale. „Allein diese Aufzählung der Schwachpunkte zeigt, dass dort etwas passieren muss.“ Er und andere Bonner berichten zudem darüber, dass die Schranken erst knapp vor der Ankunft der Bahn schließen.

Die Stadtwerke Bonn sind für den Betrieb zuständig, die Behörde für die Genehmigungen. Bei der Linie 66 sind letztlich die Stadt Bonn als Gesellschafterin der SWB Bus und Bahn sowie der Rhein-Sieg-Kreis verantwortlich: Die elektrischen Bahnen der Stadt Bonn und des Rhein-Sieg-Kreises GmbH, die die Linie 66 betreiben, sind ein kommunales Unternehmen der SWB Bus und Bahn und des Kreises. Beide sind jeweils zur Hälfte am Unternehmen beteiligt.

Die Bezirksregierung hält sich bei Fragen zur Sicherheit mit dem Verweis auf den ausstehenden Untersuchungsbericht zur Geisterfahrt bislang bedeckt. „Unser Ziel ist es, zu prüfen, ob möglichst kurzfristig durch technische oder organisatorische Verbesserungen ein derartiger Vorfall in Zukunft vermieden werden kann, die Bahnen somit noch sicherer werden können. Das schließt auch die Notbremsfunktion ein. Mehr können wir dazu im Moment noch nicht sagen“, erklärt Pressesprecherin Dagmar Groß.

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