GA-Serie "Mobil in der Region" Mit dem Fahrrad entspannt am Stau vorbei

Bonn/Rhein-Sieg-Kreis · Das Fahrrad könnte für viele Pendler eine Alternative zum Auto sein - vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehören sichere Radwege ebenso wie Duschen und Umkleiden am Arbeitsplatz. Der GA war mit zwei Alltags-Pendlern unterwegs.

Es ist 17 Uhr an einem Donnerstagnachmittag. Regenwolken hängen drohend über der Viktoriabrücke. Eine Blechlawine wälzt sich im Schritttempo Richtung Bonner Innenstadt. „Das ist wirklich ein tolles Gefühl“, sagt Christian Lorenz und zieht mit kräftigen Tritten in die Pedale seines neuen Trekkingrades an den genervten Autofahrern vorbei. „Meistens bin ich mit dem Rad so schnell wieder zu Hause, dass auch die Schauer mir keine Angst machen.“ Christian Lorenz, 41, wohnt seit Kurzem in der Bonner Altstadt. Jahrelang war er im Auftrag der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit im Ausland, jetzt ist sein Arbeitsplatz im Gesundheitsministerium in Duisdorf. Nicht im Traum fiele dem Volkswirt ein, die gut fünf Kilometer Strecke mit dem Auto zurückzulegen. Lorenz hat gar keines. „Warum sollte ich auf dem Arbeitsweg im Auto hocken? Im Büro sitze ich lange genug.“

Trotzdem ist der Radverkehr in Bonn aus Sicht des Zugezogenen keineswegs optimal. „Fast jede Woche erlebe ich eine unangenehme, wenn nicht gar gefährliche Situation“, berichtet er. So ist auf seiner Route über die Viktoriabrücke und die Endenicher Straße nach Norden der Radweg auf langer Strecke auf die Fahrbahn gemalt. „Da erlebt man häufig fast Körperkontakt mit Pkw, Lkw oder Bussen, die beim Überholen über die Markierung fahren oder beim Abbiegen den Radweg als Abkürzung überqueren.“ Manchmal ist der Radweg auch zugeparkt, mal wird er an Bushaltestellen von Wartenden blockiert. „Ich kann durchaus verstehen, wenn manchem potenziellen Radfahrer diese Situationen zu heikel sind“, sagt Lorenz. Neuerdings nimmt er längere Routen in Kauf, um sicherer zu sein. So fährt er über den Probsthof und durch das Messdorfer Feld.

Ortswechsel. Am nächsten Morgen um kurz nach 8 Uhr steigt rund sieben Kilometer nordöstlich auch Peter Kespohl aufs Rad. 14 Kilometer Fahrtstrecke trennen den Meindorfer von seinem Arbeitsplatz bei der Telekom in der Gronau. Ein Pilotprojekt seines Arbeitgebers brachte ihn darauf, vom Auto auf das Fahrrad umzusatteln. Im vergangenen Jahr stellte der Konzern Mitarbeitern in einem Leasing-Modell zunächst 350 Räder als steuerbegünstigte Gehaltskomponente zur Verfügung. „Das war für mich Anlass, selbst aktiv zu werden“, erklärt Kespohl, während er am Siegdeich entlang mit viel frischem Wind in Richtung Bonn fährt. Den kürzeren Weg an der L 16 hat er verworfen. „Der ist viel zu schlecht gepflegt mit vielen ausbrechenden Wurzeln.“

Sportlichen Ehrgeiz verbindet der Meindorfer Ortsvorsteher mit dem Fahrradpendeln allerdings nicht. „Ich bin der Prototyp eines Genussfahrers“, so der 53-Jährige. Genuss heißt für ihn: „Statt grimmiger Autofahrer, die noch hektisch am Telefon Geschäftliches erledigen, sehe ich gerade auf dem Rückweg am Rhein oder auf dem Siegdeich nur in glückliche Gesichter“, erzählt er, während in der Rheinaustraße die blühenden Kirschbäume vorbeiziehen. Genuss heißt aber auch: Kalkulierbarkeit. Mit dem auf 25 Stundenkilometer eingestellten Pedelec, das Kespohl sich ausgesucht hat, und auf einer Strecke mit lediglich zwei Ampeln ist seine Fahrzeit exakt berechenbar. 35 Minuten braucht er von Tür zu Tür. Wenn er mit dem Auto gut durchkommt, braucht er nur 15 Minuten. Aber: Staus auf der Nordbrücke und der Reuterstraße verzögern die Fahrt schon mal auf eine Dreiviertelstunde. „Man muss beim Auto Pufferzeit einrechnen, um keinen Termin zu verpassen.“ Rund 25 000 Menschen drängten jeden Morgen zu den großen Arbeitgebern in der Gronau. Da sei der Stau programmiert.

Für Rad fahrende Mitarbeiter stellt die Telekom ebenso wie die Deutsche Post geschützte Fahrradparkplätze sowie Umkleiden und Duschen zur Verfügung. „Und den Akku darf ich offiziell im Büro aufladen“, sagt Peter Kespohl.

In diesen Wochen bietet die Telekom Mitarbeitern 2000 weitere Räder an – vom Mountainbike übers Trekkingrad bis zum E-Bike. „Das E-Bike macht Fahrrad-Pendeln auch auf Strecken von 10 bis 20 Kilometern attraktiv. Wenn wir dem Verkehrsinfarkt entgehen wollen, muss die Region die Infrastruktur dafür schaffen“, so Kespohl. 2014 scheiterte die Region mit einer Bewerbung bei einem Radschnellwege-Wettbewerb auf Landesebene. Das Projekt, an dem Bonn und mehrere Kreis-Kommunen beteiligt waren, war schon im Vorfeld geschwächt: Sankt Augustion wollte nicht mitziehen.

Viel Luft nach oben bei der Verbesserung der Bedingungen für Fahrrad-Pendler sieht auch Christian Lorenz. Sein neues Rad hat er sich ohne Zuschuss des Arbeitgebers gekauft. Zwar gibt es auf dem Ministeriums-Campus überdachte Stellplätze, doch Duschen oder Umkleiden fehlen. „Wenn es sein muss, fahre ich deshalb gleich im Anzug ins Büro“. Dafür habe er sich eine Regenhose mit Stulpen für die Lederschuhe gekauft. „Aber mit der Gleitzeit kann ich die meisten Regenfälle einfach abwarten“.

Welche Erfahrungen haben Sie im Fahrradalltag? Was ist positiv, wo ist Verbesserungsbedarf? Schreiben Sie uns, schicken Sie uns Fotos an die Adresse dialog@ga.de.

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