Wohlfahrtsverband bringt Politik die Probleme der Hilfseinrichtungen nahe Mit dem „Sozial-Shuttle“ auf Tour

Bonn · Das erste „Sozial-Shuttle“ des Paritätischen Wohlfahrtsverband bringt Politiker zu verschiedenen sozialen Einrichtungen, die viele Probleme haben. Ein Problem ist vor allem der Wohnraummangel.

 Im Gespräch vor dem Wohnheim am Dickobskreuz (v.l.): Roland Krichel (CDU), Nelly Grunwald (VfG), Petra Nöhring (FDP), Julia Höller (Grüne), Susanne Seichert, Laura Dörken (VfG).

Im Gespräch vor dem Wohnheim am Dickobskreuz (v.l.): Roland Krichel (CDU), Nelly Grunwald (VfG), Petra Nöhring (FDP), Julia Höller (Grüne), Susanne Seichert, Laura Dörken (VfG).

Foto: Benjamin Westhoff

Fachkräftemangel, mangelhafte Finanzierung, fehlende Wertschätzung – die Liste der Probleme, mit denen soziale Einrichtungen und Bildungseinrichtungen zu kämpfen haben, ist lang. Um Schwierigkeiten und Versäumnisse aus erster Hand und aus verschiedenen Perspektiven zu erfahren, ist am Donnerstag der erste sogenannte Sozial-Shuttle des Paritätischen Wohlfahrtsverband Bonn gestartet.

Mit einem Kleinbus fuhren Kommunalpolitiker mit der Kreisgruppengeschäftsführerin des Paritätischen Verbands, Susanne Seichter, zu vier sozialen Einrichtungen. Mit an Bord waren die Landtagsabgeordnete Julia Höller (Grüne), die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende und sozialpolitische Sprecherin Petra Nöhring, Max Biniek, Sozialarbeiter und stellvertretender SPD-Vorsitzender, Peter Kox, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender und Roland Krichel (CDU), Bezirksverordneter von Bad Godesberg. „Wir zeigen an vier Beispielen, wie der Alltag in sozialen Organisationen aussieht“, sagte Seichter. „So sollen Politik und Träger ins Gespräch kommen.“

Finanzierungsprobleme und Fachkräftemangel

Dass es Gesprächsbedarf gibt, wurde schnell klar: In der inklusiven Kita Spatzennest in Dottendorf, eine der 36 Elterninitiativen im Verband, haben die Leitung und Erzieherinnen mehrere Anliegen. „Elterninitiativen sparen der Stadt Bonn Geld“, sagte die Leiterin Kristin Massing. „Wir fordern, dass die Kommune Teile des Trägeranteils übernimmt, wie es auch in anderen Kommunen der Fall ist.“ Zudem sei eine Verwaltungspauschale nötig, damit eine Verwaltungskraft eingestellt werden könne. „Wir führen hier ein mittelständisches Unternehmen und müssen viele Dinge, die dafür nötig sind, quasi nebenbei machen“, ergänzte Erzieherin Susanne Stöckigt.

Das berichteten auch die Leitung der Offenen Gesamtschule Marktschule in Pützchen und Mitarbeiterinnen des Trägers für das Ganztags-Programm der Schule, die Jugendfarm. Während der Bedarf für Ganztagsschulplätze stetig wachse – aktuell besuchen knapp 90 Prozent der 300 Kinder den Offenen Ganztag – fehle im Tagesgeschäft die Zeit für Elternarbeit, Teamsitzungen und Dokumentation. „Das sind alles Dinge, die wir brauchen, wenn wir mehr sein wollen als nur Betreuung und Verwahrung“, sagte Andrea Steuernagel, Vorstandsmitglied der Jugendfarm. Das Problem werde durch den Fachkräftemangel verstärkt. Die Arbeit müsse durch bessere Bezahlung und mehr Wertschätzung attraktiver gemacht werden. „Zum August sind noch drei Fachkräftestellen offen“, so Steuernagel. „Wir machen schon Krisenpläne. Wenn sich nicht bald etwas ändert, bricht uns hier alles zusammen.“

Auch um das Frauenhaus „Hilfe für Frauen in Not“ steht es offenbar nicht gut. „Wir wünschen uns eine feste Finanzierung, damit wir nicht jedes Jahr darum kämpfen müssen, damit wir überleben können“, sagte eine langjährige Mitarbeiterin des Frauenhauses, die anonym bleiben möchte. Die Anlaufstelle für Frauen und Kinder, die oft vor häuslicher Gewalt fliehen, habe stets viele Anfragen, eine hohe Auslastung und nicht genug Platz.

Zudem werden die Kosten für die Unterbringung über Tagessätze bezahlt – für Frauen, die sozialleistungsberechtigt sind. Frauen, die keinen Anspruch auf Leistungen haben, wie Studentinnen oder Geflüchtete ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, blieben auf den Kosten sitzen, kritisierten die Mitarbeiterinnen. Und: „Wie in vielen Frauenhäusern leben bei uns mehr Kinder als Frauen, da die Mütter sie mitbringen“, sagt Julia Deike, Mitglied des Beirats des Frauenhauses und stellvertretende Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Bonn.Aber Kindergartenplätze und auch therapeutische Angebote fehlen.“

Fehlender Wohnraum sorgt für Probleme

Eines der größten Probleme sei zudem die Wohnungssuche für Frauen, die im Anschluss an den Aufenthalt im Haus eine Bleibe bräuchten, berichtet Deike. Der Wohnungsmarkt sei überteuert; wenn eine Wohnung gefunden werde, sei sie häufig unrenoviert.

Auch in der stationären Wohneinrichtung „Wohnheim am Dickobskreuz“ des Vereins für Gefährdetenhilfe (VfG) steht das Thema im Fokus: „Der fehlende bezahlbare Wohnraum ist ein Riesenproblem“, sagt VfG-Geschäftsführerin Nelly Grunwald. Dass Menschen obdachlos würden und es lange blieben – was auch in Bonn immer mehr zunehme – sei nicht die individuelle Schuld der Betroffenen. „Wenn ein suchtkranker Mensch heute in Bonn auf der Straße landet, findet er zehn Jahre lang keine Wohnung mehr“, so Grundwald.

Das VfG-Wohnheim nimmt Obdachlose, Haftentlassene und Suchtkranke auf, die sich rehabilitieren möchten, und ist somit von einer Notunterkunft zu unterscheiden. Grunwald und der Leiter der Einrichtung, Marcellus Haverkamp, haben viele Forderungen an die Politik: Im Zusammenhang mit der Wohnraumförderung müsse der Housing-First-Ansatz durchgesetzt werden: Die Prämisse, dass Wohnungslosen eine Wohnung erhalten, zusätzlich zu anderen Hilfsangeboten. Das sei der erste Schritt für eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft. „Es müssen keine 40, 50 Quadratmeter für einen Alleinstehenden sein, wir brauchen stattdessen mehr kleine Wohnungen“, so Grunwald. Zudem müsse die psychosoziale Betreuung zuverlässig finanziert werden, und Suchtkranke müssten endlich einen Rechtsanspruch auf Betreuung durch den örtlichen Träger der Sozialhilfe erhalten. Grunwald: „Wenn wir das nicht ändern, kriegen alle Städte ein Riesenproblem.“

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