Interview mit Professor Wolfgang Holzgreve „Mit der Gesundheitskarte erhoffen wir uns eine wesentliche Verbesserung“

Bonn · Mehr als 11 000 Flüchtlinge leben zurzeit in der Region Bonn/Rhein-Sieg, und viele müssen mehr oder weniger intensiv behandelt werden. Detaillierte Gesamtzahlen fehlen zwar noch, aber in der Bonner Uniklinik, mit mehr als 1200 Betten das größte Krankenhaus in der Region, registriert man bereits Behandlungsschwerpunkte.

Wie viele Flüchtlinge wurden zuletzt in der Uniklinik behandelt?
Wolfgang Holzgreve: Wir haben seit vergangenem September pro Monat ungefähr 25 stationäre sowie ungefähr 30 ambulante Behandlungen durchgeführt.

Zeichnen sich Schwerpunktbereiche ab?
Holzgreve: Ja, in der Kinderheilkunde, der Inneren Medizin und der Geburtshilfe. So waren bis Mitte Januar 2016 von den Flüchtlingen, die wir stationär versorgten, 31 Patienten in der Kinderheilkunde, 24 in der Inneren Medizin und zehn in der Geburtshilfe. Die Schwerpunkte sind nicht verwunderlich. Nur etwa vier Prozent der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, sollen über 60 Jahre alt sein. Insgesamt waren bis Januar 137 Flüchtlinge stationär bei uns in Behandlung.

Die Behandlungszahlen scheinen nicht so hoch, als dass ihr Klinikalltag hätte umorganisiert werden müssen.
Holzgreve: So ist es. Wir haben pro Jahr etwa 50 000 stationäre und über 300 000 ambulante Patienten sowie 30 000 Notfallpatienten. Unser OP-Manager hat mir berichtet, dass die zusätzliche Patientenzahl von Flüchtlingen nicht besonders aufgefallen ist.

Immer wieder war zu hören, dass unter den Flüchtlingen auch Personen mit ansteckenden Krankheiten wie Tuberkulose (TBC) sein sollen.Holzgreve: Das ist eher ein generelles Problem durch die Globalisierung. Auch deutsche Touristen können sich im Ausland mit Keimen anstecken. Darum werden hier in der Uniklinik Patienten, die stationär aufgenommen werden, einem Screening unterzogen. Insbesondere wenn sie vorher in Kliniken waren in Risikogebieten. Damit werden sogenannte multiresistente Keime frühzeitig erkannt, und bei Flüchtlingen schließen wir natürlich auch eine möglicherweise ansteckende Tuberkuloseerkrankung aus.

Die Abrechnung für die Behandlung von Flüchtlingen war in der Vergangenheit nicht immer ganz einfach.
Holzgreve: Ja, da ist es mitunter zu Verzögerungen gekommen, weil es oft nur eine mündliche Zusage der zuständigen Kommune oder der Bezirksregierung Arnsberg, die für uns zuständig ist, gab. Mit der Gesundheitskarte, die ja jetzt auch in Bonn eingeführt wird, erhoffen wir uns eine wesentliche Verbesserung, weil die Frage der Kostenübernahme damit klar ist.

Gleich für welche Art der Erkrankung?
Holzgreve: Eine Grenze nach oben gibt es nicht und natürlich werden auch Patienten mit chronischen Krankheiten betreut, nicht aber etwa kosmetisch-plastische Operationen ohne absolute medizinische Notwendigkeit.

Sie haben die Flüchtlinge aber nicht nur medizinisch unterstützt. Warum?
Holzgreve: Weil wir als Klinik auch viele soziale Aufgaben übernehmen. Darum haben wir zum Beispiel unser großes Gelände an der Wilhelmstraße, auf dem lange Zeit die Poliklinik, stationäre Bereiche und die Intensivstation der Inneren Medizin ihren Sitz hatten und das wir vor zwei Jahren freigemacht haben, bis auf Weiteres für die Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung gestellt. Die Stadt konnte auch dadurch länger vermeiden, Turnhallen zu belegen. Zudem sind für die Flüchtlingsunterbringung noch Wohnheime auf unserem Gelände in der Diskussion, die eigentlich abgerissen werden sollten. Aber bevor das geschieht, bin ich dafür, dass die Lasten auf dem Stadtgebiet fair verteilt werden. Fest steht aber, dass man auf uns bei wirklicher Not immer zählen kann.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort